Aus dem Wipro Center for Business Resilience

8 Problemfelder in der digitalen Transformation

15.10.2014
Von Dr. Peter Kreutter und
Dr. Paul W.J. de Bijl ist Mitglied des neu gegründeten „Wipro Center for Business Resilience“ an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Als Thinktank und offene Plattform fokussiert sich das Wipro Center for Business Resilience auf Forschungsfragen zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges und den Einfluss neuer Technologien auf die Industriestrukturen sowie Unternehmensstrategien. Einer der Schwerpunkte der Forschungs- und Transferarbeit ist, wie sich diese Veränderungen in Familienunternehmen vollziehen.
Kaum ein anderes Thema dominiert die aktuelle Agenda von Unternehmen heute mehr als die Frage nach den Auswirkungen der "Digitalen Transformation". Wie radikal diese Konsequenzen sein können, zeigt die Krisenstimmung in Teilen der Handelsbranche oder der Medien- und Presselandschaft.
Peter Kreutter, Direktor, Stiftung WHU.
Peter Kreutter, Direktor, Stiftung WHU.
Foto: WHU

Der Umgang mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung gestaltet sich management-seitig zweifellos als eine äußerst sportliche Aufgabe. Wie gehen Manager nun damit um?

Zwei Beispiele aus dem Fußball verdeutlichen die möglichen Extrempunkte der Grundhaltungen, die die Führungsebenen diesbezüglich an den Tag legen. Das eine Extrem ist das Zitat des früheren Sportdirektors von Eintracht Frankfurt, Rolf Dohmen: "In Dortmund muss man auch mal einen 1:3-Rückstand halten können." So oder so ähnlich argumentiert ein Teil der Führungskräfte in Unternehmen. Schrumpfende Umsätze im Kerngeschäft werden schöngeredet. Der Wettbewerb wird schon von vornherein als verloren hingenommen. Man arrangiert sich mit der Rolle des Verlierers oder des Prügelknaben. Als Konsequenz werden Schritt für Schritt die Ansprüche an sich selbst reduziert und ersatzlos jegliche Ambitionen für eine Verbesserung der Situation gestrichen. Das langfristige Ergebnis dieser Geisteshaltung dürfte jedem klar sein - in der Wirtschaft wie im Sport. Eintracht Frankfurt verlor das Spiel gegen Dortmund übrigens am Ende mit 1:6.

Paul W.J. de Bijl, Professor and der WHU.
Paul W.J. de Bijl, Professor and der WHU.
Foto: WHU

Es gibt aber auch ein anderes Extrem, das sich ebenfalls mit einer fussballerischen Anekdote beschreiben lässt - der über den Alemannia-Aachen-Spieler Günter Delzepich. Der 1,91 Meter große und über 100 Kilo schwere Hüne war bekannt für seinen harten Schuss. Mit Mitspielern wettete er einmal, dass er einen Medizinball von außerhalb des 16-Meter-Raums ins Tor schießen könne, ohne dass der Ball den Boden berührt. Delzepich verlor diese Wette - er schoss den Ball über das Tor! Schiere Kraft allein oder - im übertragenen Sinne - marktbeherrschende Stellung und finanzielle Leistungsfähigkeit sind nur notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen. Erfolg bedarf letztendlich der konsequenten Umsetzung - oder wie die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach zu sagen pflegte: "Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun."

Auch bei strategischen Veränderungsprozessen gibt eine ganze Reihe von Stolpersteinen. In seinem vielfach zitierten Artikel "Leading Change: Why transformation efforts fail" aus dem Jahr 1995 skizziert Harvard-Professor John P. Kotter acht dieser zentralen Stolpersteine aus Management-Sicht und erarbeitet entsprechende Lösungsempfehlungen. Auch heute haben Kotters Argumente nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, sie sind gerade im Kontext der Digitalen Transformation aktueller denn je, wie bereits das erste Problemfeld, das Kotter sieht, unterstreicht.

WIPRO - Center for Business Resilience

Dr. Peter Kreutter und Dr. Paul W.J. de Bijl sind Mitglieder des neu gegründeten "Wipro Center for Business Resilience" an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Als Thinktank und offene Plattform fokussiert sich das Wipro Center for Business Resilience auf Forschungsfragen zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges und den Einfluss neuer Technologien auf die Industriestrukturen sowie Unternehmensstrategien. Einer der Schwerpunkte der Forschungs- und Transferarbeit ist, wie sich diese Veränderungen in Familienunternehmen vollziehen.

Weitere Information erhalten Sie per Mail von peter.kreutter@whu.edu.

Problemfeld 1

Die Notwendigkeit und die Dringlichkeit des Wandels werden nicht frühzeitig erkannt beziehungsweise nicht breit und konsequent ins Unternehmen transportiert.

Neben allen rationalen strategisch-wirtschaftlichen Argumenten wird häufig unterschätzt, mit welch hohen emotionalen und psychologischen Barrieren solche Veränderungen für die gesamte Belegschaft verbunden sind. So müssen Mitarbeiter bestehende, oft unbewusste über Generationen geprägte Weltbilder aufgeben. Wer beispielsweise im Möbelhandel mit dem Paradigma sozialisiert wurde, dass man Kunden vor allem mit noch mehr Auswahl auf noch mehr Ausstellungfläche in immer noch größeren Möbelhäusern gewinnt, wird sich mit den Geschäftsmodellen der neuen Wettbewerber wie Home24 schwertun. Deren - oft junge - Klientel braucht oft nicht einmal mehr den Flagshipstore, sondern "begnügt" sich mit innovativen Websites, die ein neues, eigenständiges Einkaufserlebnis schaffen. Ähnliches gilt für die deutsche Presselandschaft, wie jüngst drei Redakteure der FAZ in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel "Zeitungskrise: In eigener Sache" reflektiert haben. Sie erzählen die Geschichte der 23-jährigen Ella, die keine Zeitung kauft, sondern ihre Informationen ad hoc im Netz sucht. O-Ton: "Ella ist eine Gefahr für Verlage, unmittelbar und langfristig". Doch nehmen tatsächlich alle Mitarbeiter diese Gefahr so unmittelbar wahr? Heute in den Verlagen vielleicht - doch wie war es vor sechs Jahren? Wie schafft man es als Führungskraft, positives Momentum und Bereitschaft bei der Belegschaft für die Veränderungsmühen? Wie bringt man die eigenen Manager aus der "analogen Komfortzone"?

Zu warten, bis ausreichend hoher wirtschaftlicher Druck da ist, der für alle direkt erfahrbar ist, könnte eine scheinbar naheliegende Strategie sein. Zeigt doch die Praxis, dass sich in schwierigen Zeiten weitreichende, schmerzhafte Veränderungen leichter durchdrücken lassen. Man denke nur an die große Stahlkrise in den 1980ern und die folgenden massiven Zechenschließungen. Ein frühzeitiger Kapazitätsabbau in ähnlicher Größenordnung wäre ohne externen Druck nie denkbar gewesen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass gerade im Kontext des digitalen Wandels "Abwarten die Zukunft kostet". Einerseits sorgt ein negatives Umfeld für paralysierte Mitarbeiter. Die Kreativität, die es zum Umbau bestehender beziehungsweise zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle braucht, bleibt dann zwangsläufig auf der Strecke. Oder die besten Köpfe verlassen schnell das Unternehmen. Andererseits limitieren knappe Budgets den Spielraum für neue, zukunftsgerichtete Investitionsprojekte. Man arbeitet mit halbgaren Kompromisslösungen und spart sich zu Tode.

Das eigentliche Gegenargument ist jedoch ein anderes: Komplexe Veränderungsprozesse kosten viel Zeit. Wer also rechtzeitig fertig sein will, muss frühzeitig anfangen. Noch in guten Zeiten bereits den Wandel zu initiieren ist dabei nicht trivial. Insbesondere dann nicht, wenn die eigene Branche oder das eigene Unternehmen über Jahre mit attraktiven Wachstumsraten, Renditen oder gar der Marktführerschaft glänzen konnte beziehungsweise noch glänzt. Nicht umsonst gibt es im angelsächischen Raum das geflügelte Wort von "Leaders tend to lose".

Es ist ureigenste Führungsaufgabe rechtzeitig und mit Nachdruck das Gefühl für die Notwendigkeit der Veränderung zu erzeugen, ohne dabei gleichzeitig Angst und zu große Unsicherheit bei der Belegschaft und anderen Stakeholdern auszulösen. Gleichzeitig ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn wer zu häufig Feuer ruft, ohne dass es brennt, wird irgendwann nicht mehr gehört - selbst wenn dann die Hütte tatsächlich lichterloh brennt. Der Handwerkskasten erfolgreicher CEOs bietet in diesem Kontext den einen oder anderen Kniff, mit dem das Gefühl einer Krise provoziert wird, etwa durch gezielte (buchungstechnische) Verschlechterung der eigenen Zahlen. Doch selbst der charismatischste CEO kann die digitale Transformation eines Unternehmens nicht im Alleingang anschieben und stemmen, was sich in Problemfeld 2 widerspiegelt.

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