Cloud Computing


Wette im Reality Check

90 Prozent aus der Cloud? Eher nicht

Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Dieter Kempf Präsident, Bitkom: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden die Anwendungen gerne lokal vorhalten, wenn sie unterwegs sind."
Dieter Kempf Präsident, Bitkom: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden die Anwendungen gerne lokal vorhalten, wenn sie unterwegs sind."
Foto: Bitkom

"Was sind 90 Prozent?", fragt sich auch Gunter Dueck, ehemaliger Chief Technology Officer von IBMIBM und promovierter Statistiker. Bezogen auf die Vorgänge, also die Anwesenheitszeit eines Menschen in Anwendungen, könnten 90 Prozent schon stimmen, so der Publizist. Beziehe man jedoch die 90 Prozent rein auf die Anzahl der Enterprise-Anwendungen, sei das eine ganz andere Frage. Schließlich gründe die Geschwindigkeit einer neuen Technologie laut Dueck darauf, wie oft Ersatzbedarf bestehe. Bei Fernsehern könne man alle paar Jahre ("und mit der Ausrede einer Fußball-WM") eine neue Gerätegeneration kaufen. "Doch das Beharrungsvermögen von geschäftlichen Anwendungen scheint mir noch größer zu sein als von Fernsehern." Alles zu IBM auf CIO.de

Programme Cloud-fähig machen ist immens aufwändig

Gerade bei VersicherungenVersicherungen würden Basissysteme eingesetzt, die vor geraumer Zeit für Millionen von Euros entwickelt worden seien. Die Programme Cloud-fähig zu machen sei ein immenser Aufwand, so Dueck. "Wenn es schnell gehen soll, muss das Unternehmen viel Geld in die Hand nehmen." Dies geschehe jedoch nur, wenn die Anwendungen ohnehin geändert werden müssten und daher Investitionen fällig werden. Allerdings kommt von Gartner eine gute Nachricht für die Cloud: Laut einer aktuellen Anwenderumfrage sollen in den kommenden zwei Jahren 18 Prozent der geschäftlichen Applikationen in den Ruhestand geschickt werden, 35 Prozent erhalten ein Upgrade, und 24 Prozent werden ersetzt beziehungsweise modernisiert. Dass die Cloud für viele IT-Organisationen dann als alternatives Bereitstellungsmodell zumindest in Betracht kommt, überrascht nicht. Top-Firmen der Branche Versicherungen

Cloud: 83 Prozent offen für Services aus der Wolke.
Cloud: 83 Prozent offen für Services aus der Wolke.
Foto: cio.de

Dieter Kempf, Vorstandsvorsitzender der Datev in Nürnberg, Präsident des Branchenverbands Bitkom und "bekennender Cloud-Fan", äußert leichte Zweifel an den von Schneider gewetteten 90 Prozent. Es sei unbestritten, dass der Allianz-CIO mit dem Trend und dem inhaltlichen Teil der Aussage recht habe, aber wer einmal am Flughafen Tegel versucht habe, mobil im Unternehmensnetz zu arbeiten, "der bringt seine eigenen Daten künftig immer offline mit". Gerade seine Kunden wie Wirtschaftsprüfer und Steuerberater seien vor Ort bei ihren Mandanten zu 100 Prozent von einer verlässlichen TK-Infrastruktur abhängig. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden die Anwendungen gerne lokal vorhalten, wenn sie unterwegs sind", berichtet Kempf. Schließlich sei es immer noch kein Vergnügen, seine Daten hierzulande aus einem fahrenden Auto zu übertragen.

Zudem ließen sich einige Bedenken gegen die Cloud aus dem Bereich Sicherheit nicht wissenschaftlich beeinflussen, "weil sie etwas mit dem Bauchgefühl zu tun haben". In zehn Jahren könne sich das alles noch entwickeln, ist sich Kempf sicher, "aber angesichts der gewetteten 90 Prozent würde ich keinen hohen Einsatz wagen". Zwar sei in der IT-Branche die grundlegende Absicht vorhanden, Vorbehalte bezüglich der Sicherheit und der TK-Infrastruktur aus dem Weg der Cloud zu räumen. Ob es jedoch gelinge, alle Einzelmaßnahmen wie geplant umzusetzen und alle Eventualitäten zu berücksichtigen, sei in der IT immer fraglich. "Ein Großteil der Anwender", so Kempf, "wird in der Übergangsphase Hosenträger und Gürtel kombinieren."

Die Wette ist realistisch, springt aber "zu kurz"

Der Saarbrücker Wissenschaftler und Unternehmer August-Wilhelm Scheer hält die Wette für realistisch, wenn auch für "zu kurz gesprungen". Mit der Betonung der Virtualisierung habe sich Allianz-CIO Schneider stark auf die Infrastruktur bezogen sowie auf die finanziellen Skaleneffekte der Cloud durch die höhere Auslastung der ServerServer. "Aber spannend ist doch, wie sich die Architekturen verändern werden unter dem Einfluss nicht nur der Cloud, sondern auch durch mobiles Computing, neue Datenbanktechnologien, Interfaces durch Consumerization sowie Social MediaSocial Media." Diese Treiber seien genauso stark wie die reine Infrastruktur, sagt der ehemalige Bitkom-Präsident und Gründer von IDS Scheer. Schneiders expliziter Verweis auf die Virtualisierung wirke jedoch so, als wolle er alle Altsysteme weiterverwenden und nur die Kostenvorteile nutzen, kommentiert Scheer: "Private Cloud - das klingt ja fast ein bisschen innovationsfeindlich." Alles zu Server auf CIO.de Alles zu Social Media auf CIO.de

Softwareanalyst Frank Niemann von Pierre Audoin Consultants (PAC) will sich nicht auf eine konkrete Zahl festlegen, aber auch er geht wie Schneider davon aus, dass "in Zukunft viele Anwendungen aus dem Netz kommen werden - auch aus einer Cloud". Dies sei dringend nötig, so Niemann: "CIOs müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Anwender über stationäre und mobile Geräte auf miteinander vernetzte Applikationen zugreifen können." Es gelte, die heute üblichen Anwendungen für spezifische Aufgaben abzulösen und konsequent in Richtung einer umfassenden Prozessunterstützung zu denken. Einschränkungen bei der Vernetzung sowie bei Funktionen und Geräten müssten aufgebrochen werden, um das Ziel zu erreichen: "Kunden, Partner und Mitarbeiter können sich künftig mit allen Geräten an allen vorgesehenen Prozessen beteiligen."

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