Agrarchemie rollt den Weltmarkt auf

Das Geschäft mit dem Hunger

12.06.2016
Es ist das Grundproblem einer wachsenden Bevölkerung: Wie werden alle satt? Großkonzerne setzten auf modernste Chemie und ein Mehr an Produktion. Doch Kritiker warnen vor Umweltzerstörung, einem Rückgang der Artenvielfalt und noch mehr Hunger.

Auf dem Firmengelände von BayerBayer CropSience im rheinischen Monheim herrscht Campus-Idylle. Das 65 Hektar große Areal mit weitläufigen Rasenflächen, Teichanlagen und Gewächshäusern markiert einen Kontrapunkt zu stinkenden Dämpfen und brodelnden Kesseln eines Chemiestandortes. Hier am Stammsitz der Bayer-Tochter, die der Konzernvorstand mit der Übernahme von Monsanto an die Weltspitze im Pflanzenschutz- und Saatgutgeschäft katapultieren will, laufen nicht nur die Fäden der weltweiten Aktivitäten von Bayer in der Agrarchemie zusammen. Hier entwickeln Biologen, Chemiker und Ingenieure neue Wirkstoffe gegen Schädlinge und Pilzerkrankungen. Top-500-Firmenprofil für Bayer

Doch das Forschen in grüner Idylle ist trügerisch: Die Pflanzenschutzsparte von Bayer steht nicht erst unter Beschuss, seitdem Konzernchef Werner Baumann den höchst umstrittenen Saatgutspezialisten Monsanto aufs Übernahme-Radar genommen hat. Kritisch beäugen Umweltschützer das Unternehmen seit vielen Jahren. Wegen eines massiven Bienensterbens zum Beispiel, für das das Beizmittel Poncho verantwortlich sein soll, geriet Bayer vor einigen Jahren unter Druck.

Die Coordination gegen Bayer-Gefahren und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) verlangten erst vor ein paar Wochen ein Verbot des Pestizids Glufosinat Ammonium, dessen Herstellung Bayer in den USA für den dortigen Markt derzeit massiv ausbaut. Das Herbizid, das ähnliche Anwendung findet wie das derzeit umstrittene Glyphosat von Monsanto, soll angeblich Missbildungen hervorrufen können.

Für Bayer, Syngenta, Monsanto & Co gehören Pflanzenschutzmittel aber zum tragenden Geschäftsmodell, genauso wie die Gentechnik, das Saatgutgeschäft und die Züchtung ertragreicher Hybridsorten. "Gemeinsam mit Monsanto wollen wir helfen, die Ernten zu steigern", beteuert Bayer-Chef Baumann. Ihm schwebt vor, den Landwirten weltweit und in großem Maßstab alles aus einer Hand anbieten und sich von der Konkurrenz absetzen zu können. Und es geht auch um Kostenersparnis und die Bündelung teurer Forschungsaktivitäten.

Angesichts der enormen Marktchancen im Agrargeschäft, das von den großen Sechs (Syngenta, Bayer, BASFBASF, Dow Chemical, Monsanto, DuPont) dominiert wird, flüchten die Anbieter zunehmend in Fusionen und Übernahmen. Wer von den lukrativen Aussichten profitierten will, der muss fressen, um nicht gefressen zu werden. Möglicherweise hat diese Perspektive, selbst zu einem Übernahmeopfer zu werden, Bayer zum Angriff auf Monsanto getrieben. Top-500-Firmenprofil für BASF

In der Branche herrscht nämlich seit Monaten große Nervosität. Wer unternimmt welchen Schritt zuerst? So versuchte Monsanto zunächst den den Branchenprimus Syngenta zu schlucken, blitzte bei den Schweizern aber ab. Freundlicher empfangen wurde ChemChina, die für die Übernahme 43 Milliarden US-Dollar bot. In den USA steht zudem der Zusammenschluss von Dow Chemical und Dupont bevor; und Bayer geht nun bei Monsanto in die Offensive.

Ob solche Elefantenhochzeiten von den Wettbewerbsbehörden am Ende abgesegnet werden, steht noch auf einem anderen Blatt. Am Ende könnten zwei bis drei Anbieter übrig bleiben, die Branche fest im Griff haben, vor allem im Saatgutgeschäft - eine Schreckensvision für Umweltschützer, Nicht-Regierungsorganisationen und Aktivisten: "Es droht eine nie da gewesene Monopolisierung des Saatgut-Sektors", heißt es bei der Coordination für Bayer-Gefahren.

Angesichts der rasanten Zunahme der Weltbevölkerung - die UN rechnet bis zum Jahr 2050 mit 10 Milliarden Menschen - stellt die Industrie immer wieder die Frage: Wie kann die Ernährung in Zukunft gesichert werden? Nur ChemieChemie, Gentechnik, Hybride und Pflanzenschutz können das schaffen, wird argumentiert. Dabei geht es am Ende um viel Geld. Top-Firmen der Branche Chemie

Nach Angaben des Industrieverbandes Agrar erreichte der Weltmarkt im Pflanzenschutz 2015 ein Volumen von 46,1 Milliarden Euro; einschließlich Saatgut kommen 85 Milliarden Euro zusammen. Bis 2025 könnte sich das Marktvolumen beim Pflanzenschutz und Saatgut Bayer zufolge bereits auf 120 Milliarden Euro erhöhen.

Das sind verlockende Aussichten. Aber wohin nur mit der Produktion, wenn schon heute im Jahr nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel im Müll landen? Das sind ein Drittel der weltweiten Produktion jährlich. Der World Wildlife Fund (WWF) spricht von einer "Ressourcenverschwendung ungeheuren Ausmaßes".

Industrielle Landwirtschaft, Pestizide und Hybride - das sind für Valentin Thurn Kennzeichen eines Produktionssystems, das nicht länger als Vorbild dienen kann. Der Dokumentarfilmer und Buchautor ("Zehn Milliarden - Wie werden wir alle satt", "Taste the Waste") hat viele Entwicklungsländer bereist und resümiert: Viele Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu den Nahrungsmitteln oder können sich diese nicht leisten. "Wir brauchen nicht mehr Agrarindustrie und noch mehr Ungleichheit", folgert er, "sondern angepasste Technik und mehr klein-bäuerliche Strukturen". (dpa/rs)

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