Analysten-Kolumne

Denk ich an Deutschland in der Nacht…

Andreas Stiehler ist Principal Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC).

Dass sich viele Anbieter dennoch schwer tun, sich mit neuen Themen wie BPO und Offshoring im deutschen Markt zu etablieren, wird gern mit einer hier verbreiteten Angstkultur und Schwerfälligkeit begründet. So ganz abwegig ist dieses Argument nicht. Die schnelle Ausnutzung von Marktchancen ist durchaus nicht des Deutschen Stärke. Da sind uns Engländer und Amerikaner um Längen voraus. Herr Meier will es eben gaaaanz genau wissen. "Proof of Concept" ist ein geflügelter Begriff unter den Entscheidern in deutschen Unternehmen.

Zögernde IT-Entscheider

Ist diese deutsche Eigenart aber tatsächlich immer eine Schwäche? So sind deutsche Unternehmen mit ihrer Skepsis und Detailverliebtheit bei den vorherigen Revolutionen in der Wertschöpfung nicht schlecht gefahren. Obwohl sie weder das Fließband erfanden, noch Vorreiter bei der Reduktion der Fertigungstiefen waren, sind sie heute Exportweltmeister. Es dauerte eben alles etwas länger, wurde dann jedoch mit der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit umgesetzt. So wird der Automatisierungsgrad der deutschen Produktion heute gemeinhin als überdurchschnittlich hoch eingestuft. Die deutliche Reduktion der Fertigungstiefen in der deutschen IndustrieIndustrie während der letzten Jahre veranlasste einen Professor aus München sogar, Deutschland als "Basarökonomie" einzustufen. Top-Firmen der Branche Industrie

Die Erfahrungen im traditionellen IT-Outsourcing-Geschäft zeigen, dass eine gesunde Skepsis durchaus auch bei der "Dritten Revolution in der Wertschöpfung" angebracht ist. "Alles Commodity!", versprechen viele Provider, Berichte über das Scheitern von Auslagerungsvorhaben und eine weit verbreitete Unzufriedenheit von IT-Outsourcing-Kunden suggerieren das Gegenteil. Überzogene Erwartungshaltungen der Unternehmen spielen bei dieser Unzufriedenheit sicher eine wichtige Rolle. Diese wurden aber nicht zuletzt durch die vollmundigen Versprechen der Anbieter gespeist.

Da ist es durchaus verständlich, dass bei der Bewertung neuartiger BPO-Angebote genau nachgefragt wird, zumal diese typischerweise mit "Global-Delivery-Ansätzen" gekoppelt sind. Globale Liefermodelle sehen gut aus auf den Präsentationsfolien der Provider. Wie aber funktioniert die Umsetzung der Lieferprozesse in der Praxis, wie ist die Kommunikation zwischen den einzelnen Beteiligten und wie eine pünktliche und qualitätsgerechte Belieferung abgesichert? Die Gründung neuer Standorte, ob in Krakau, Budapest oder Mumbai, reicht für ein funktionierendes Offshoring-Modell noch nicht aus.

Wer die Konzentration auf Kernkompetenzen propagiert, muss sich zudem auch fragen lassen, woher er die Kompetenzen für die Realisierung von HR-, Procurement- oder Buchhaltungsprozessen nimmt. Alles Commodity? So spiegelt die Aufstellung vieler Outsourcing-Anbieter beim Thema BPO derzeit eher den Wunsch nach höheren Margen als die eigene Kernkompetenz wieder. Eine klare "Go-To-Market Strategy" im BPO-Umfeld ist dagegen nur bei Wenigen zu erkennen.

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