Snowden-Vertraute im Gespräch

"Desto einfacher wird es für den nächsten Whistleblower"



Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Aus Paranoiden werden Realisten

Diese Entwicklung, uns Aktivisten nicht mehr als Paranoide abzustempeln, sondern als Realisten anzuerkennen, finde ich interessant. Dass Wikileaks durch Kryptografie-Experten aufgebaut wurde, die sich mit den modernen Möglichkeiten der Überwachung auskennen, ist ein Glücksfall. Natürlich konnten wir uns früher nicht zu einhundert Prozent sicher sein, dass alles, was wir online tun, überwacht wird - aber zumindest gab es dank des technischen Vorwissens eine sehr starke Vermutung, dass dem so ist.

Denn wenn schon eine einzelne Privatperson mit etwas Spezialwissen, Zeit und Geld Überwachungs-Software bauen kann, wie leicht muss es dann erst für den größten Geheimdienst der Welt mit unendlich großem Budget sein? Auf dieser Annahme haben wir mit Wikileaks von Anfang an unsere Arbeit gegründet.

Und Sie als Privatperson? Wann haben Sie gemerkt, dass da wirklich etwas passiert, was man sich gar nicht so recht vorstellen wollte?

Sarah Harrison: Als ich Julian kennengelernt habe. Er hat mir die Totalüberwachung der Welt erklärt.

Wie geht es ihm?

Sarah Harrison: Ich habe ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, aber wir sind regelmäßig beruflich in Kontakt. Er arbeitet sehr hart und versucht, positiv zu bleiben. Immerhin haben die Schweden jetzt entschieden, dass sie zu einer Befragung nach London kommen werden. Das ist ein Lichtblick, nachdem so lange nichts mehr vorwärts gegangen war - diese Ohnmacht, nichts tun zu können außer Warten, ist das Schlimmste. Julian kann ja nicht einmal in ein Krankenhaus, ohne festgenommen zu werden.

Auch wenn Sie als Journalistin eine gewisse Distanz wahren sollten - sind Menschen wie Assange, Manning und Snowden für Sie Helden, weil sie der Welt die Augen öffnen?

Sarah Harrison: Ja, ich würde sie durchaus als Helden bezeichnen. Aber das mit der Distanz sehe ich anders. Wenn Sie Zugriff auf Quellen und Originaldokumente haben, gute journalistische Arbeit machen und sich entscheiden, die Informanten zu schützen, ist das nur richtig und hat mit tendenziöser Berichterstattung nichts zu tun. In Frage zu stellen wäre solch ein Vorgehen nur, wenn Sie Ihre journalistische Arbeit nicht gründlich genug gemacht hätten.

Aktiver Quellenschutz gefragt

Ein gutes Beispiel ist der "Guardian", der sich 2010/2011 weigerte, über den Fall Manning zu berichten, weil die Redaktion nach eigenen Worten keine Tendenzberichterstattung wollte, indem man Whistleblower in die Öffentlichkeit bringt. Später revidierte sie diese Meinung und unterstützt mittlerweile nicht nur Snowden, sondern auch Manning aktiv - über die Berichterstattung hinaus. Denn wenn wir als MedienMedien unsere Informanten und Quellen nicht auch aktiv schützen, haben wir in meinen Augen ein Problem. Top-Firmen der Branche Medien

Inwiefern haben Sie noch Hoffnung für Chelsea Manning, dass die Haftstrafe reduziert wird? Teilen Sie die Meinung, dass dieser Fall ein handfester Skandal ist, wie viele mit dem Geschehen Vertraute immer wieder betonen?

Sarah Harrison: Es ist traurig, dass viele Menschen diesen Fall nicht als Skandal ansehen. Gäbe es einen solchen Fall im Iran, bei dem die iranische Regierung einen iranischen Whistleblower verhaften, in einen Käfig sperren, ihm seine Brille wegnehmen und ihn nicht schlafen lassen würde, wäre die US-Regierung die erste, die laut "Skandal" rufen würde. Aber da dieser Fall nun einmal in den USA passiert ist, spricht kaum jemand darüber - zumindest nicht in der westlichen Welt. Schauen Sie sich doch nur Guantanamo Bay an - es ist unvorstellbar, dass es so etwas überhaupt gibt. Läge Guantanamo Bay in Russland, wäre das Geschrei sofort groß.

Was die Haftstrafe angeht, hoffe ich natürlich darauf, dass Chelsea bald freikommt. Ich glaube aber nicht daran, dass Barack Obama dafür sorgen wird. Erst hat er mit dem Einsatz für Whistleblower Wahlkampf gemacht, als Präsident hat er dann aber mehr verhaften lassen, als alle seine Vorgänger zusammen. Er hat versprochen, Guantanamo zu schließen - passiert ist nichts. Natürlich kann ich verstehen, dass er als Präsident zum Teil des militärischen und wirtschaftlichen Apparats wird und nicht alle seine Wahlversprechen umsetzen kann - dann soll er aber bitte auch nicht so viel versprechen.

Als Edward Snowden an die Öffentlichkeit ging, hat Obama wieder viel geredet - obwohl er keinerlei Not hatte. Es ist ziemlich eindeutig, dass Obama Whistleblower grundsätzlich zum Schweigen bringen möchte. Vielleicht haben wir mit einem der nächsten Präsidenten mehr Glück, was den Umgang mit Whistleblowern ganz allgemein angeht.

Zur Startseite