Top-Managerinnen

Die Chefinnen der Zukunft

16.12.2013
Von Kristin Schmidt

Die Kämpferin

Überweisungen prüfen, Kreditanträge bearbeiten, für die Berufsschule lernen: Wer, wie Selina Piening, eine Banklehre antritt, hat gut zu tun. Eigentlich. Doch während ihre Arbeitskollegen von der Stadtsparkasse München am Wochenende zum Tegernsee rausfuhren oder ins Kino gingen, hieß es für die damals 18-Jährige am Samstag ab ins Einrichtungshaus zum Möbelverkaufen. Und sonntags bügeln - zehn Stunden, in einer Reinigung. "Ich wollte meiner Mutter nicht länger auf der Tasche liegen, ich wollte unabhängig sein", erklärt Piening im Rückblick ihr für einen Lehrling ungewöhnliches Arbeitspensum. Dafür opferte sie ihre Freizeit - jahrelang.

"Dieser ungeheure Durchhaltewillen zieht sich durch Selina Pienings gesamte Biografie", sagt Personalberater Heiner Thorborg über die KarriereKarriere der heute 39-Jährigen, die mittlerweile als Vertriebsdirektorin bei der Privatbank Edmond de Rothschild arbeitet. Alles zu Karriere auf CIO.de

Piening kam 1974 in München zur Welt. Doch ihre alleinerziehende Mutter, die als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen war und in der Produktion bei Siemens arbeitete, hatte keine Zeit, sich um ihr Baby zu kümmern, gab es zur Oma nach Istanbul. Dort wuchs das Mädchen auf. Großmutter und Enkelin halfen sich gegenseitig. Ihr Talent für Zahlen zeigt sich früh: Schon mit elf Jahren machte Piening die Steuererklärung der Oma. "Wenn man mit einem alten Menschen lebt", so Pienings lapidare Erklärung, "übernimmt man früh Verantwortung."

Bis heute verlässt Piening sich am liebsten auf sich selbst. Ihr ganzes Leben hat sie für diese Unabhängigkeit gearbeitet - auch weil sie von Kindheit an mit Frauen umgeben war, für die diese Haltung selbstverständlich ist. Ihre Großmutter kümmert sich größtenteils alleine um die Enkelin, Pienings Mutter arbeitet Vollzeit in Deutschland, bringt Selinas kleinen Bruder ohne Mann durch. War der Fernseher kaputt, baute Selinas Mutter ihn eigenhändig auseinander, nahm Teile mit zur Arbeit und lötete sie dort. "Für mich war es selbstverständlich, dass eine Frau alles kann", sagt Piening.

Als Selina 15 ist, stirbt ihre Oma. Sie zieht nach München zu ihrer Mutter - ein Neustart. Sie kennt niemanden, auch innerhalb der Familie nicht, spricht kein Deutsch - ist dennoch voller Euphorie und Tatendrang. "Ich hatte ja keine Ahnung, wie viele Präpositionen und unregelmäßige Verben es im Deutschen gibt." Und das ist gut so: Piening besucht eine Realschule, hat zweimal pro Woche nachmittags Deutschunterricht und liest unentwegt laut aus der Zeitung vor, um zu prüfen, ob es sich wie bei den Nachrichtensprechern anhört. In nur drei Jahren lernt sie die Sprache so gut, dass sie eine Lehre als Bankkauffrau beginnen kann.

Drei Jahre kein Urlaub

Doch das ist ihr nicht genug. Piening absolviert ein Studium zur Finanzwirtin, arbeitet währenddessen als Anlageberaterin für vermögende Privatleute, steigt schließlich in den Vertrieb von Fonds ein. Erst bei DWS, dann bei Axa und heute bei der Privatbank Edmond de Rothschild. Seit 2011 ist sie dort mit dem Aufbau und der Leitung des Vertriebs in Deutschland betraut. Zwischen 2006 und 2009 sattelt sie neben dem Job ein zweites Studium drauf. Drei Jahre ackert sie jede freie Minute für den Abschluss als Finanzanalystin. Kein Urlaub, kaum ein entspanntes Wochenende.

Wozu das alles? Unterstützung vom damaligen Arbeitgeber gibt es nicht, die Qualifikation sei für ihren Job nicht nötig. Doch Piening will sich von der Konkurrenz abheben, freut sich auf das Fachgesimpel mit den Analysten. "Ich stelle mir immer vor, wie mein Ziel sehr konkret aussieht, und das treibt mich an", sagt Piening.

"Sie weiß, dass eine Herausforderung an ihre Grenzen geht, nimmt sie aber dennoch an", sagt Adam Lessing, Pienings Chef während ihrer Zeit bei der Axa. "Auch um zu sehen, ob ihre Grenzen nicht vielleicht doch noch etwas weiter liegen."

Im Gegenzug erwartet Piening hohen Einsatz auch von anderen. "Wer glaubt, alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, ist selbst schuld", sagt die Deutsche mit den türkischen Wurzeln. Sie ist sich sicher, dass in Deutschland für Frauen und Migranten alles möglich ist - solange man genügend Ehrgeiz mitbringt.

Trotz dieser vermeintlichen Härte kommt Piening bei Kunden und Mitarbeitern gut an. "Sie ist keine Lehnstuhl-Chefin, die Befehle gibt, selbst aber um 17 Uhr nach Hause geht", sagt Lessing.

Ihre Disziplin wirkt niemals verbissen, ihre Bestimmtheit immer freundlich. Und ihr Styling fällt auf in der Welt der grauen Anzüge: hohe Absätze, perfekt manikürte Nägel, stets geschminkte Lippen.

"Selina Piening geht genau den richtigen Weg", sagt Personalberater Thorborg. "Sie ist selbstbewusst, charmant und authentisch." Auch deshalb sieht er die Vertriebsdirektorin noch nicht am Ende ihrer Karriere. Die Prognose des erfahrenen Headhunters: "Sie kann es in den Vorstand einer kleineren Privatbank schaffen."

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