Gefahr für Juncker?

Die gigantischen Steuerdeals des kleinen Luxemburgs

06.11.2014
Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen: Das denken sich viele Bürger, wenn es um die Finanztricks großer Konzerne geht. Jetzt wurde enthüllt, wie Global Player mit Hilfe Luxemburgs Milliarden sparen. Der neue EU-Kommissionschef muss sich Fragen gefallen lassen.

Ein halbes Jahr wühlten weltweit über 80 Reporter, darunter Journalisten von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR, in einem Aktenberg aus 28000 Seiten. Jetzt haben sie enthüllt, wie es das kleine Großherzogtum Luxemburg in drei Jahrzehnten geschafft hat, mit unzähligen Steuersparmodellen das Who's who der Weltkonzerne anzulocken. Alles ganz legal - für den langjährigen Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker, inzwischen EU-Kommissionspräsident, aber womöglich ein ziemliches Problem.

Um was geht es?
Internet-Konzerne wie AppleApple, AmazonAmazon oder GoogleGoogle, aber auch andere Multis wie Ikea schieben mit Hilfe von BankenBanken und Steuerberatern Gewinne, Kosten und Aktivitäten über Ländergrenzen hin und her. Verlagert werden Patente, Markenrechte, Lizenzgebühren oder Darlehenszinsen in Tochterfirmen in Steueroasen. Das drückt den zu versteuernden Gewinn. Alles zu Amazon auf CIO.de Alles zu Apple auf CIO.de Alles zu Google auf CIO.de Top-Firmen der Branche Banken

Was ist neu an den Enthüllungen?
Das Ausmaß der Luxemburg-Deals beziehungsweise wie krass Konzerne ihre Gewinne vor dem Fiskus kleinrechnen. Das kleine EU-Land mit gerade mal 500000 Einwohnern soll Unternehmen dabei im großen Stil geholfen haben - alles aber im Rahmen der Gesetze. So berichten die beteiligten MedienMedien über den Fall des US-Logistikriesen Fedex, der auf künstlich nach Luxemburg verlagerte Gewinne nicht einmal 0,1 Prozent Steuern bezahlt habe - obwohl im Herzogtum die Unternehmensteuer offiziell bei rund 29 Prozent liegt. Top-Firmen der Branche Medien

Muss Juncker nun um seinen Job als Chef der EU-Kommission fürchten?
Derzeit erscheint das eher unwahrscheinlich. Selbst wenn herauskommen sollte, dass luxemburgische Steuerdeals gegen EU-Regeln verstießen, könnte Juncker behaupten, er habe dies nicht gewusst und den Fachleuten in den Behörden vertraut. Und: Eine vorzeitige Ablösung des Kommissionspräsidenten ist nur durch ein mit Zweidrittelmehrheit angenommenes Misstrauensvotum des EU-Parlaments gegen die gesamte Kommission möglich. Auch die große Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschefs dürfte kein allzu großes Interesse an der Ablösung Junckers haben. Sie müsste sich auf einen Nachfolger einigen.

Juncker ist Chef der Behörde, die für die Prüfung der Vorwürfe verantwortlich ist. Kann es da ein neutrales Verfahren geben?
Die EU-Kommission behauptet: Ja. Ein Sprecher sagt, die zuständige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager werde vollkommen unabhängig ermitteln. Juncker spiele dabei keine Rolle. Dieser erklärte bereits am Mittwoch: "Ich werde sie nicht behindern." Positiv kann gesehen werden, dass es durch das gewaltige Medieninteresse und die Veröffentlichung vieler Dokumente kaum Spielraum geben dürfte, Dinge zu vertuschen.

Wenn die luxemburgischen Behörden nicht rechtswidrig gehandelt haben sollten, bleibt dann alles beim Alten?
Vermutlich nicht. Mehrere Spitzenpolitiker großer EU-Staaten sprechen sich dafür aus, der Steueroptimierung à la Luxemburg einen Riegel vorzuschieben. Darunter sind Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein französischer Amtskollege Michel Sapin. Bis es soweit ist, könnte aber noch viel Zeit vergehen. Auch Länder wie die Niederlande, Belgien oder Großbritannien locken Investoren, Unternehmen und Superreiche mit attraktiven Steuersätzen oder anderen Vorteilen.

Steueroptimierung nur auf EU-Ebene zu unterbinden, dürfte nur dazu führen, dass Unternehmen anderswo hinziehen. Was tun?
Das Zauberwort lautet "BEPS" und steht für den Aktionsplan "Base Erosion and Profit Shifting". Er wird von der OECD erarbeitet und soll bis Ende 2015 von den führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) beschlossen werden. Erste Maßnahmen gegen die "aggressive Steuergestaltung" der Konzerne sollen bereits Mitte November auf dem G20-Gipfel in Brisbane auf den Weg gebracht werden.

Wie sollen die Steuerschlupflöcher gestopft werden?
Grundsätzlich sollen Firmen künftig dort Steuern zahlen, wo sie Produkte fertigen und Patente entwickeln - und nicht dort, wo Briefkastenfirmen unterhalten werden. Die Regeln zur Besteuerung von Betriebsstätten sind teils fast 100 Jahre alt. Konzerne sollen sich nicht mehr arm rechnen können, indem sich Mutter und Töchter völlig überhöhte Preise für interne Leistungen in Rechnung stellen. (dpa/rs)

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