Management-Strategien

Die Mitarbeiterführung der alten Griechen

13.07.2009
Von Olaf  Kraus
Im Visier: Für das Erreichen hoher Ziele ist nicht nur die Führungskraft an der Spitze, sondern auch das Kollektiv zuständig.
Im Visier: Für das Erreichen hoher Ziele ist nicht nur die Führungskraft an der Spitze, sondern auch das Kollektiv zuständig.
Foto: corbis

Diesen schnellen Sieg verspielt der damals 18-jährige Anführer Kyros allerdings sofort wieder. Als er von Weitem seinen verhassten Bruder sichtet, hält ihn nichts mehr. Er stürzt sich auf die Feldherrngruppe und wird von der Leibwache des Königs getötet. Daraufhin laufen die persischen Söldner des Kyros zu Artaxerxes über. Und die zuvor siegreichen Griechen befinden sich plötzlich in einer fast aussichtslosen Lage.

Antike Management-Lehre

Glücklicherweise trauen sich die immer noch vom Angriffslauf geschockten Perser nicht, die Griechen in offener Feldschlacht zu stellen. Nach einigen Scharmützeln schließen sie mit den Griechen einen Waffenstillstand und sagen ihnen freien Abzug zu. Um den Vertrag zu feiern, laden sie die griechischen Führer zu einem Gastmahl ein und ermorden alle hinterrücks. Die Annahme, das führungslose Heer wäre jetzt ein leichtes Opfer, erweist sich jedoch als Fehleinschätzung.

Es stellt sich heraus, dass die Griechen von einzelnen Führungspersonen unabhängig sind. Sie stellen eine neue Führungsmannschaft auf und wählen Xenophon und den Spartaner Cheiristophos zu den obersten Führungskräften. Die neuen Vorgesetzten führen das Heer unter verlustreichen Kämpfen durch das von wilden Bergvölkern bewohnte kurdische und armenische Bergland (in das sich das Heer des Artaxerxes nicht wagt), bis die ausgemergelten Truppen mit dem berühmten Ruf: "Thalatta, thalatta" ("das Meer, das Meer") das Schwarze Meer erreichen. Schließlich wird das Heer nach einem Marsch von insgesamt 15 Monaten und etwa 5000 Kilometern dem spartanischen Feldherrn Thibron übergeben, der es in den folgenden Jahren zu weiteren Territorialkämpfen in Kleinasien einsetzt.

Antike Management-Lehre

Dass die Griechen den Kampf gegen die Perser und den darauffolgenden Gewaltmarsch überlebt haben, verdanken sie ihrer einmaligen Art und Weise, Entscheidungen zu treffen, und ihrer Fähigkeit, sich auch unter schwierigen Bedingungen neu zu organisieren. Xenophon beschreibt auf den 250 Seiten seines Werks weniger die Details der Reise und der Schlachten. Ihm ging es nicht um einen Kriegs- oder Abenteuerbericht. So wie er in seinem anderen berühmten Buch, seiner "Reitkunst" (noch heute ein Standardwerk für Reiter) den richtigen Umgang mit Pferden zeigt, so legt er in seiner "Anabasis" dar, wie man mit Menschen umgeht, wie man sie führt und zu Höchstleistungen bringt. Die "Anabasis" ist ein Managementbuch, und die von Xenophon angesprochenen Themen erscheinen erstaunlich modern.

Die gesamte zweite Hälfte des Buches ist zum Beispiel eine Fallstudie über die Schwierigkeiten, die bei der Führung einer Organisation auftreten, wenn die strategische Grundausrichtung nicht allgemein akzeptiert wird. Denn während die Soldaten bis zum Erreichen des Schwarzen Meeres vor allem ihre Haut retten wollen, gibt es danach eher grundsätzliche Differenzen. Ein Teil der Soldaten will sofort in die Heimat reisen, ein anderer schlägt vor, am Schwarzen Meer eine griechische Stadt zu gründen, und wieder andere - schließlich die Mehrheit - wollen zunächst einmal Beute machen, bevor man an die Rückkehr denkt. Mehrere Male steht die gesamte Unternehmung wegen dieser strategischen Differenzen kurz vor dem Scheitern.

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