Aufräumer oder doch Visionär?

Ein Jahr Deutsche-Bank-Chef Cryan

27.06.2016
Sein Amtsantritt wurde gefeiert, danach machte sich Ernüchterung breit: Ist die Deutsche Bank wirklich so schlecht wie der neue Chef sagt? Inzwischen schlägt John Cryan moderatere Töne an. Doch die Probleme sind deshalb nicht verschwunden.
Deutsche Bank CEO John Cryan
Deutsche Bank CEO John Cryan
Foto: Mario Andreya - Deutsche Bank AG

"Lausige Systeme", "inakzeptabel hohe Kosten", teils überzogene Boni - deutlicher könnte die Kritik an der Deutschen BankDeutschen Bank nicht sein. Ausgerechnet der neue Chef nimmt kein Blatt vor den Mund. Schonungslos deckt John Cryan die Schwächen des größten deutschen GeldhausesGeldhauses auf. "Den Status quo beizubehalten, ist keine Option", lässt der Brite die konzernweit mehr als 100 000 Mitarbeiter nach seinem Amtsantritt am 1. Juli 2015 wissen. "Wir müssen einfach besser werden." Top-500-Firmenprofil für Deutsche Bank AG Top-Firmen der Branche Banken

Und Cryan mutete dem Institut viel zu - unter anderem nahm er gewaltige Abschreibungen vor, was zu einem Rekordverlust von 6,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr führte. Hinzu kommt der Abbau tausender Stellen, aus vielen Geschäften im Investmentbanking zieht sich die Bank zurück. Das warf bei Beobachtern die Frage auf, wie die Bank künftig überhaupt Geld verdienen will.

Inzwischen hat Cryan die Tonlage geändert. Nach einem Jahr an der Konzernspitze scheinen seine Berater ihm nahegebracht zu haben, die Schwarzmalerei zumindest ab und zu mit etwas freundlicheren Tönen aufzuhellen. "Mr. Grumpy" ("Herr Griesgram") - den Spitznamen sollen ihm britische Investmentbanker verpasst haben - hatte Mitarbeiter, Investoren und Öffentlichkeit verstört.

Bei einer Konferenz im März betont Cryan: "Ich sehe uns nicht im Verteidigungsmodus." Und er offenbart bis dato unentdecktes Verkaufstalent: Während seiner Rede reckt er sein Smartphone in die Höhe und lobt die neue Konto-App der Bank: "Die ist toll!" Bei der Hauptversammlung im Mai ruft der 55-Jährige den Aktionären zu: "Ich bin nicht bekannt dafür, zu Euphorie zu neigen. Aber ich sage heute aus voller Überzeugung: Wir sind besser als unser Ruf. Viel besser sogar!"

Auch an seinem persönlichen Image feilt Cryan. Er fühle sich "etwas falsch verstanden", wenn er ausschließlich als "Aufräumer" oder "Sanierer" gesehen werde, sagt der Banker. Im Frühjahr gestattet "der Mann, von dem es heißt, er meide die Öffentlichkeit" (Cryan über Cryan) einem "Handelsblatt"-Reporter, ihn eine Woche lang zu begleiten - von Singapur über London nach Frankfurt. Zum Frühstück präsentiert sich der Manager, der als detailversessener Analytiker gilt, bei dieser Gelegenheit auch mal ganz salopp: pastellblaue Hose, rosa Hemd, lederne Slipper.

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