Captive Nearshoring bei der Commerzbank

Entspannt in den Osten

Dr. Klaus Manhart hat an der LMU München Logik/Wissenschaftstheorie studiert. Seit 1999 ist er freier Fachautor für IT und Wissenschaft und seit 2005 Lehrbeauftragter an der Uni München für Computersimulation. Schwerpunkte im Bereich IT-Journalismus sind Internet, Business-Computing, Linux und Mobilanwendungen.
Statt auf China oder Indien setzt die Commerzbank beim Outsourcing auf das benachbarte Tschechien. Dort lässt die Bank Zahlungsbelege nachbearbeiten. Das eigene Nearshoring-Center lohnt sich für die nächsten drei bis vier Jahre.

Schlampig ausgefüllte Überweisungsfelder nehmen bei der Commerzbank den elektronischen Weg nach Prag. Kann der Scanner die Schrift nicht entziffern, wandern die kritischen Belegteile automatisch in das Bankcenter der tschechischen Hauptstadt. Dort bekommt ein Mitarbeiter am Bildschirm die unleserliche Handschrift vorgelegt. Er entscheidet dann, was der Kunde gemeint haben könnte. Die Mustererkennungssoftware unterstützt ihn mit einem Vorschlag, den der Prager Mitarbeiter oft einfach absegnen kann.

27 Millionen Belege im Jahr werden so der menschlichen Feldüberprüfung in Prag elektronisch zugeführt. Die meisten der 100 Mitarbeiter sind mit den Korrekturen beschäftigt, ein Teil ist für die IT zuständig. Kostenvorteile sind der Hauptgrund, warum die Commerzbank die Korrekturarbeiten ins Ausland verlagert hat. Etwa 50 Prozent spart das Bankinstitut bei diesem Prozessschritt, eingesparte Lohnkosten sind der Hauptfaktor.

Das Sourcing-Konzept, das die Commerzbank in Prag erfolgreich praktiziert, nennt sich „Captive Nearshoring“. „Nearshoring“, weil Unternehmensprozesse in nahe gelegene europäische Staaten ausgelagert werden und nicht wie beim Offshoring in ferne Länder wie Indien oder China. „Captive“, weil die Leistungserbringung durch eine Commerzbank-Einheit erfolgt und nicht durch externe Dienstleister.

Gute Gründe für Nearshoring

Frank Annuscheit, CIO bei der Commerzbank, hat gute Gründe für das selbst betriebene Nearshoring. „Wenn wir nach Indien oder China gegangen wären, hätte der mögliche zusätzliche Nutzen aus weiteren Einsparungen nicht im Verhältnis gestanden zu den Komplixitätskosten“, sagt Annuscheit. Kulturelle Hindernisse, Sprachbarrieren und die Zeitverschiebung hätten die Kostenvorteile in den fernen Ländern wieder zunichte gemacht.

Bei benachbarten Ländern des ehemaligen Ostblocks fallen die meisten dieser Nachteile weg. Zudem minimieren die konvergierenden Rechtssysteme der EU-Länder das Geschäftsrisiko, das in fernen Ländern vorhanden ist. Bei Tschechien kommt hinzu, dass dort deutschsprachiges Personal zur Verfügung steht und Personalkosten um 60 Prozent günstiger sind als in Deutschland.

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