Wolfgang Ischinger über den Cyberkrieg

"Früher hätte man Geiseln genommen"

16.12.2014
Von Christof Kerkmann

"Zur Verteidigung gehört Abschreckung"

In den USA gibt es die Diskussion Angriffe übers Netz als kriegerische Akte aufzufassen. Müssen wir in diese Richtung denken?

Ich denke ja. In dieser schönen neuen Welt ist es möglicherweise nicht so schädlich, wenn ein Aufklärungsflugzeug die deutsche Grenze überfliegt, als wenn ein erfolgreicher Lähmungsangriff auf eine größere Infrastruktur erfolgt. Politisch stellt sich eine sehr komplizierte Frage: Ist der Cyberangriff nicht genauso zu werten wie ein klassischer militärischer Angriff - und bedarf er dann nicht derselben Antwort? Können wir dem Gegner wie im Kalten Krieg sagen: Wenn ihr Cyber-Methoden einsetzt, haben wir auch welche? Die Nato würde ihr Klassenziel verfehlen, wenn sie sich damit nicht beschäftigen würde.

Wir müssen also offensive militärische Fähigkeiten entwickeln?

Aber natürlich, alle machen es schon. Unsere Regierungen haben den Auftrag, die Bürger zu schützen. Dieser Schutz muss in erster Linie durch bessere Verteidigung gewährleistet werden. Aber zu einer umfassenden Verteidigung gehört eine Abschreckung. Das geht am ehesten, wenn Sie dem Gegner drohen können, dass es für ihn noch viel schlimmer ausgeht. Wir müssen zumindest die Möglichkeiten einer offensiven Nutzung des Cyberraums entwickeln.

Braucht es denn Regeln für solche Konflikte?

Wir haben im klassischen militärischen Bereich vieles durch Verträge ausgeschlossen, was technisch möglich wäre - der Weltraum darf nicht benutzt werden zur Stationierung von Waffen. Die EU wäre der ideale Initiator, um Regeln vorzuschlagen. Inwieweit man Russland, China und die USA unter einen Hut bringen kann, wage ich nicht zu prognostizieren. Aber es wird ein langer und steiniger Weg. Das war zu Beginn der Rüstungskontrolle in den 60er Jahren ebenso - da dachten auch einige, das könne nie funktionieren.

Wie verändert sich Diplomatie dadurch, dass Angriffe schwierig zurückzuverfolgen sind, und durch Spionage?

Das erste und grausamste Opfer ist das internationale gegenseitige Vertrauen. Nicht nur der Bürger verliert das Vertrauen in die Technologie. Die Verunsicherung existiert auch auf der diplomatischen Ebene: Wir wissen nicht mehr, wem wir vertrauen können. Wir wissen nicht, ob der Verhandlungspartner unsere Vorgespräche für die eigene Strategie nicht längst kennt. Das ist sehr bedauerlich. Besonders ärgerlich war das für meine Berufsgruppe ...

... die Diplomaten ...

dass viele als vertraulich gedachten Erkenntnisse und Zusammenfassungen plötzlich öffentlich bei Wikileaks präsentiert wurden. Das führte und führt zu größerer Geheimhaltung und damit zu nichts Gutem. Ich verstehe die Beweggründe derer, die volle Transparenz schaffen wollen. Aber sie haben unterschätzt, dass die Folge nicht mehr Transparenz, sondern mehr Geheimniskrämerei ist - leider. (Handelsblatt)

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