Standpunkt

"IT kostet noch eine Million Jobs"

02.12.2002
Trotz Hartz-Konzept, Weiterbildungsmaßnahmen und - vielleicht späterem - Wachstum wird die Zahl der Arbeitslosen in den nächsten Jahren nicht sinken, sondern weiter wachsen. Der Grund, sagt Alfons Rissberger, sei die steigende Produktivität durch IT-gestützte Prozessoptimierung, zu der es gleichwohl keine Alternative gebe. Sein Motto: den Fuß auf dem IT-Gaspedal lassen!

Der IT-Einsatz wird in den nächsten Jahren mindestens eine Million Arbeitsplätze vernichten. Diese Behauptung war unpopulär, als ich sie 1996 zur Cebit aufgestellt habe. Sie ist immer noch geeignet, sich unbeliebt zu machen. Aber wer das sagt, steht heute zumindest nicht mehr allein da. Die Marktforscher von Gartner haben jüngst bestätigt: IT-Systeme, die manuelle Tätigkeiten automatisieren, würden "die Arbeitsbelastung des Geschäfts substanziell senken", so ein Zitat von Gartner-Forschungsdirektor Carl Claunch in der Computerwoche. Soll heißen: Die Produktivität der IT übertrifft stets das Umsatzwachstum einer Firma und fördert so den Arbeitsplatzabbau.

Bei den BankenBanken werden die Arbeitsprozesskosten um bis zu 40 Prozent sinken. Das ist nur ein Beispiel dafür, was uns bevorsteht. Insgesamt wird dieser Prozess, dem sich kein Unternehmen entziehen kann, mindestens eine Million Arbeitsplätze kosten. Top-Firmen der Branche Banken

Die Probleme werden weder durch Wachstum noch durch weitere Milliardeninvestitionen der Bundesanstalt für Arbeit in Weiterbildungsmaßnahmen gelöst. Einerseits werden Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit geschickt und kosten dann wegen psychosomatischer Erkrankungen die Gesellschaft mehr, als wenn sie im Arbeitsprozess bleiben würden. Andererseits werden die nicht entlassenen Mitarbeiter unter höheren Leistungsdruck gesetzt, der ebenfalls zu Krankheiten und Schädigungen des Unternehmensklimas führt.

Darum ist die Bundespolitik gefordert; sie muss neue Rahmenbedingungen schaffen. Es ist unverantwortlich, wenn Abgeordnete verschiedener Parteien sagen, dass sie diese Entwicklung zwar sähen, sich damit aber keine Wahlen gewinnen ließen. Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind beachtenswert, greifen aber zu kurz, weil sie auf Erfahrungen der Vergangenheit aufbauen. Was uns durch das IT-induzierte Produktivitätsplus am Arbeitsmarkt bevorsteht, ignorieren sie.

An vielen Stellen werden sich drei Arbeitnehmer zwei Arbeitsplätze teilen müssen. So spart man hohe Summen an Arbeitslosenunterstützung und Gesundheitskosten, und für zwei Drittel der Arbeitszeit könnten rund 90 Prozent des Lohns gezahlt werden. Rücken wir nicht zusammen, werden wir aus dem Weltarbeitsmarkt gedrängt: Es gibt weltweit hunderttausende qualifizierter Programmierer, die zu einem Bruchteil deutscher Lohnkosten arbeiten. In Zukunft führen selbstlernende, wissensbasierte Systeme zu einer weiteren Verschärfung der Konkurrenz.

Deshalb gibt es keine Alternative dazu, die IT-Nutzung weiter zu intensivieren und sie noch effizienter zu gestalten, obwohl damit binnen weniger Jahre eine Million Arbeitsplätze vernichtet werden. Versäumen wir das, fallen wir im globalen Wettbewerb in vielen Disziplinen weit zurück. Deutschland wäre dann keine wichtige Wirtschaftsnation mehr.

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