Alle Macht der Avantgarde

Keine Angst vor Innovationen

31.05.2006
Von Karl Ulrich

In der dritten Phase ist Innovation zu einer Art positivem Terror geworden. Auf den Produkt- und Servicemärkten drängen Anbieter ihre Kunden in immer schnelleren Wellenbewegungen dazu, Altes aufzugeben, um das Neueste zu besitzen, das wiederum nur einen Moment lang das Neueste bleibt. Der Chor sich gegenseitig überlagernder Werbebotschaften nährt zusätzlich die Verunsicherung. Innovationen müssen immer lauter und mit höherer Frequenz angepriesen werden, damit die überfütterten Konsumenten sie überhaupt noch wahrnehmen. Aus Unternehmersicht - wie in der Einführung beschrieben - eine Dauerbaustelle.

Avantgarde hingegen nimmt keine Bewertung vor und ist damit unabhängig und ergebnisoffen. Sie braucht den Mainstream lediglich als Spiegelfläche. Anstatt etwas im Labor des eigenen Systems und seiner Gesetze zu erfinden, richtet sie sich ausschließlich nach außen, beobachtet, macht das Gefundene zu ihrem eigenen Inneren, führt die Revolution und trägt sie wiederum nach außen - in den Mainstream.

Tanker und Schnellboote

Mit ihrer bewussten Differenzierung entsteht in der Avantgarde eine kollektive Identität, die durch gemeinschaftliche Projekte, Initiativen und Events gefestigt wird. Stellen Sie sich das Unternehmen als Tanker vor, der von einer Schar Schnellboote begleitet wird. Genau so müsste eine innovative Organisation strukturiert sein. Die Tanker unterstützen ihre Schnellboote mit Ressourcen, aber auch, indem sie sie von Regeln befreien, die auf dem Tanker gültig bleiben müssen. Warum?

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine brillante unternehmerische Idee, die Lösung für ein Problem in der bestehenden Organisation auftaucht, erhöht sich in dem Maße, wie Regeln dieser Organisation gebrochen werden. Um diese Lösung erfolgreich umzusetzen, bedarf es allerdings einer gewissen Abstimmung zwischen Tanker und Schnellboot, also eines flexiblen Netzes synchronisierter Aktivitäten.

Innovation ist auf flexible, dynamische Handlungsformen und auf dezentrale und kulturübergreifende Strukturen angewiesen. Im Zuge der Globalisierung ist kulturelle Identität kein passiv übernommenes, einheitliches Schema mehr, sondern eine produktive, offene Einstellung, die fortwährend neue Identifikationen entstehen lässt.

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