Alte Schule, neue Denke

Knigge 2.0

28.06.2012
Von Judith-Maria Gillies

Die schwere Kunst der Disziplin

Einfach ist dieser Spagat nicht - besonders nicht in einer Bürowelt, die von anziehendem Tempo, kurzfristigen Kontakten und Selbstorganisation geprägt ist. Die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter steigt. "Jeder muss sich selbst disziplinieren und lernen, Prioritäten zu setzen, damit die alten Tugenden erhalten bleiben", fordert Smid. Er weiß, wie schwer das ist - zum Beispiel im Meeting, wenn man noch rasch nebenbei etwas am Laptop fertigtippen will, aber dadurch andere Teilnehmer stört.

Gerade die technischen Möglichkeiten sind es, die Hemmschwellen abgebaut haben. Wer always on ist, hat oft mehr Gespür für seine Kommunikationspartner im Web 2.0 als für seine unmittelbare Umgebung. Im Großraumwagen eines ICE bleibt zwischen Notebook und Smartphone die Kinderstube schnell auf der Strecke. Doch nicht nur die Technik macht das Miteinander manchmal schwer. Mittelbar sieht Heiko Mell, Personalberater aus Rösrath bei Köln, auch die Globalisierung dafür verantwortlich: "Das Geschäft wird härter, der Druck nimmt zu, die Ellenbogen werden ausgefahren." Dadurch verhärte sich das Betriebsklima, der Ton werde rauer. "An die Aufweichung traditioneller Höflichkeitsformen werden wir uns gewöhnen müssen", so Mell. "Wer andererseits die alte Schule perfekt beherrscht, kann punkten."

Markus Albers, Buchautor: "Der Respekt vor der Zeit der anderen wird wichtiger."
Markus Albers, Buchautor: "Der Respekt vor der Zeit der anderen wird wichtiger."
Foto: Max Miller

Die neue Arbeitswelt bietet dazu sogar allerlei Chancen. Etwa beim mobilen Arbeiten. "Unverbindlichkeit kann sich hier niemand erlauben", sagt Buchautor Markus Albers. Während im Büro immer wieder Kollegen zu spät zu Konferenzen kämen, wäre das in einer Skype-Sitzung undenkbar. "Pünktlichkeit beim Einwählen ist oberstes Gebot", so Albers. Generell sei die Hemmschwelle, Menschen im digitalen Kommunikationsprozess zu unterbrechen, hoch. Im Büro störe man die Kollegen häufig, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Kollegen, die aber von unterwegs aus arbeiteten, würden seltener belästigt. Auch nehme die Zahl der telefonischen Unterbrechungen ab, seitdem es E-Mail und andere Kommunikationsmittel gebe.

Das Urteil der Mutter

So parkettsicher, wie viele glauben, bewegen sie sich nicht in der neuen Arbeitswelt. Dazu verändert sich zu viel - im Internet, am Heimarbeitsplatz oder auch im mobilen Büro. Um sich in allen Umgebungen korrekt zu verhalten, gilt es dauernd dazuzulernen. Angemessene Umgangsformen berücksichtigen auch die Welt der Klingeltöne, der Notebooks und der Musik to go. Eine Regel daraus: "Stelle nur Bilder ins Netz, die deine Mutter freigeben würde." Freiherr von Knigge hätte es nicht besser formulieren können.

Knigge 2.0

Moderne Umgangsformen für unser Leben im Web 2.0.

  • Starre nicht auf fremde Bildschirme. Verhalte dich wie an einem FKK-Strand: Persönliches geht dich hier nichts an.

  • Lege dein Handy in Restaurants immer mit dem Display nach unten auf den Tisch. Sobald eine Tischdecke aufliegt, sollte das Telefon in der Tasche bleiben.

  • Stelle nur Bilder ins Netz, die deine Mutter freigeben würde.

  • Die erste "kostenfreie" Stunde WLAN in einem Café kostet mindestens einen Cappuccino und einen Muffin. Die zweite Stunde nur noch einen Schokokeks.

  • Dein Handy auf Beerdigungen, Hochzeiten oder in einem Yoga-Kurs nicht auszuschalten ist genauso bedenklich wie mit starkem Husten ein Klavierkonzert zu besuchen.

  • Entschuldige dich, bevor du mitten in einer Unterhaltung einen dringenden Anruf entgegennimmst.

  • Eine U-Bahn ist kein Plattenladen. Wenn du unterwegs Musik hörst, stelle sicher, dass nur du sie hören kannst.

  • Halte mindestens drei Meter Abstand zu anderen Menschen, wenn du in der Öffentlichkeit mit dem Handy telefonierst.

  • Es ist in Ordnung, während des Essens eine SMS zu verschicken, solange dies alle am Tisch tun. Verwechsele jedoch nicht die Gabel mit dem Handy.

  • Digitales Lächeln in Form von Smilies kann private Türen öffnen :), aber auch professionelle schließen :-(.

Auszug aus: 101 Leitlinien für die digitale Welt, entwickelt vom Creation Center der Telekom Laboratories zusammen mit dem Royal College of Art in London sowie weiteren Internet-Fachleuten, Juli 2010, mehr unter www.eEtiquette.de. (Computerwoche)

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