Strategien


Umbau, Rücktritt, Nokia

Microsoft im Urteil von Analysten und CIOs

Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.
Analysten hätten eher Dropbox und Evernote statt Nokia auf die Einkaufsliste genommen. Und CIOs hoffen auf ein Ende der Lizenz- und Roadmap-Konfusion.
Ted Schadler Analyst, Forrester Research: "Der potenzielle Windows-8-Nutzer darf nun umso mehr von einem ernst gemeinten Engagement bei Geräten und Services ausgehen."
Ted Schadler Analyst, Forrester Research: "Der potenzielle Windows-8-Nutzer darf nun umso mehr von einem ernst gemeinten Engagement bei Geräten und Services ausgehen."
Foto: Forrester Research

Das Donnergrollen aus Redmond war zwischenzeitlich sehr laut, und gleich dreimal hat der Blitz eingeschlagen. Da kündigte Microsoft-CEO Steve Ballmer erst einmal seinen Rückzug binnen Jahresfrist an, ehe der Kauf der Nokia-Handy-Sparte für mehr als 5,4 Milliarden Euro bekannt wurde. Kurz zuvor hatte Ballmer noch den strategischen Umbau des Software-Riesen angekündigt, der demnach auch ein starker Anbieter von Geräten und Services sein will - gegliedert in die vier Funktionsbereiche Betriebssysteme, Applikationen und Dienste, Cloud ComputingCloud Computing und Enterprise Engineering sowie Devices und Hardware. Alles zu Cloud Computing auf CIO.de

Drei Einschläge also, die für sich gewaltig genug sind. Zusammen wirken sie wie ein heftiges Spätsommergewitter. Ob es die Luft gereinigt oder dauerhafte Schäden angerichtet hat, ist für den Moment offen. Die Analystenwelt sucht nach Antworten, die Geschäftskunden schwanken zwischen Erleichterung und vagen Hoffnungen.

"Der Wechsel an der Führungsspitze war überfällig", sagt Bernd Sengpiehl, Vorstandssprecher des Anwendernetzwerkes MicrosoftMicrosoft Business User Forum (mbuf). Zu viele Entwicklungen wie etwa die Internetökonomie oder Mobility habe Microsoft in den vergangenen Jahren verschlafen. Alles zu Microsoft auf CIO.de

"Wir hoffen auf mehr Klarheit in der Ausrichtung", so Sengpiehl. Zuletzt habe der Anbieter stark auf Produkte gesetzt, deren Nutzen für die angestammten Geschäftskunden fragwürdig sei: die Touchscreen-Technologie und das Modern UI in Windows 8 etwa, die Unternehmen eher vor neue Probleme stellt als vorhandene zu lösen; oder die Cloud-Only-Strategie für Office, die Anwender zum häufig unerwünschten Online-Sein ohne Unterbrechung zwinge.

Roadmap? "Wir erfahren dazu nichts"

"Stattdessen würden wir uns eine klare Roadmap wünschen, wie die Zukunft von Lösungen wie Windows, Office oder Dynamics aussehen soll - aber dazu erfahren wir nichts", moniert Sengpiehl. Mbuf kritisiert außerdem Chaos bei den Lizenzen.

Selbst Mittelständler seien inzwischen wegen der komplexen Lizenzierung dazu gezwungen, teure Enterprise Agreements mit Microsoft abzuschließen. Anders habe man kaum eine Chance, compliant zu bleiben, so Sengpiehl. Hinzu komme, dass Upgrades per Software Assurance (SA) mit 30 Prozent der Lizenzkosten überproportional zu Buche schlagen und der Support bei Microsoft auch noch extra kostet. Ob sich an der Vernachlässigung der Business-User nach den jüngsten Entwicklungen etwas ändert? Sengpiehls Antwort: drei große Fragezeichen.

Die Übernahme des Kerngeschäftes von Nokia immerhin sei für die IT-Chefs eine gute Nachricht, meint Ted Schadler von Forrester Research. „Den CIOs, mit denen ich täglich zu tun habe, dürfte diese Übernahmen die Arbeit erleichtern", so Schadler. Die Doppelung der Mobility-Kräfte sei deshalb eine gute Sache, weil man als potenzieller Windows 8-Nutzer nun umso mehr von einem ernstgemeinten Engagement von Microsoft im Bereich Geräte und Services ausgehen dürfe. Erhöhte Planungssicherheit also für die Anwender - aber vielleicht ein nächstes Eigentor des einst in der Ära Bill Gates so erfolgsverwöhnten Imperiums?

Chance links liegengelassen

Praveen Chandrasekar, Analyst bei Frost & Sullivan, stichelt jedenfalls in diese Richtung. Auffällig sei, dass die Kalifornier den Finnen die Geschäftssparte "Here" überlassen hätten, die umbenannte Karten- und Verkehrsmanagementsparte von Navteq. „Das Hinzufügen von Here mit seinen standortbezogenen Komponenten sowie Mirrorlink hätte die Microsoft-Linie zum vernetzten Auto zu einer interessanten Möglichkeit für Auto-OEMs werden lassen", argwöhnt Chandrasekar. Und das umso verwunderter, weil Microsoft mit Plattformen wie SYNC oder Blue&Me bereits Bande zu Autoherstellern wie Ford, Fiat oder Kia geknüpft habe. Ein Randaspekt, vermutlich. Aber erschiene das Linksliegenlassen einer guten Chance im Zukunftsmarkt Automobile IT nicht geradezu für typisch für Microsoft in den vergangenen Jahren?

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