Polen und der Brexit

Polnische Migranten in Großbritannien: Gehen oder bleiben?

27.06.2016
Nach dem Brexit-Votum blicken Hunderttausende polnische Migranten in Großbritannien in eine ungewisse Zukunft. Auch wenn der Abschied der Briten von der EU ein längerer Prozess ist, fragen sich viele schon jetzt: Gehen oder bleiben?
Hilflos und ängstlich betrachten viele Polen sowohl in Großbritannien als auch im Lande selbst die Situation der "Polonia" auf der Insel. Während Politiker beruhigen und sogar um Rückkehrer werben, plagen die Betroffenen in Großbritannien Zukunftssorgen. Sie stehen vor der Frage: Bleiben, zurück nach Polen oder weiter ziehen in ein neues Land?
Hilflos und ängstlich betrachten viele Polen sowohl in Großbritannien als auch im Lande selbst die Situation der "Polonia" auf der Insel. Während Politiker beruhigen und sogar um Rückkehrer werben, plagen die Betroffenen in Großbritannien Zukunftssorgen. Sie stehen vor der Frage: Bleiben, zurück nach Polen oder weiter ziehen in ein neues Land?
Foto: anetlanda - Fotolia.com

Mehr als zwei Millionen Polen sind nach dem EU-Beitritt ihres Landes im Jahr 2004 ausgewandert - vor allem nach Großbritannien, Irland und Schweden, den ersten Ländern, die ihren Arbeitsmarkt für Neuankömmlinge aus dem Osten öffneten. Viele blieben nur so lange, bis sie genug Geld für ein Haus oder ein eigenes Geschäft in der Heimat hatten. Doch Hunderttausende blieben, holten ihre Familien nach.

Auch wenn sie der Familie weiter Geld nach Polen schickten, stieg in den vergangenen Jahren die Zahl derjenigen, die in Großbritannien Häuser oder Wohnungen kauften, sich aufs Bleiben einrichteten. Gegen Heimweh halfen polnische Kirchengemeinden und Kulturzentren, polnischsprachige Medien und Geschäfte, in denen Kabanossi, Pierogi, Kascha und polnische Biersorten die Regale füllten.

Als die ersten Diskussionen über osteuropäische Immigranten aufkamen, die angeblich vor allem Sozialleistungen kassieren wollen, fühlten sich viele Polen tief gekränkt. Sie waren schließlich auf die Insel gekommen, um hart zu arbeiten und stolz auf ihren Ruf. Für ihre Liebe zur neuen Heimat ließen sie buchstäblich Blut: Mit einer Blutspendeaktion für das britische Gesundheitswesen demonstrierten die Polen, dass sie in Großbritannien gebraucht werden.

Julia Szczechowicz, eine 20-jährige Lehramtsstudentin, ist von der Entscheidung der Briten enttäuscht. "Was sich einmal als mein Zuhause anfühlte, ist es nicht mehr so recht", schrieb die 20-Jährige auf ihrem Facebookprofil, das am Samstag in polnischen Medien zitiert wurde. "Ich würde mich nie eine Engländerin nennen, aber das ist mein Land. Hier leben meine Familie und Freunde, hier bin ich aufgewachsen und für diese 52 Prozent bin ich nicht mehr willkommen."

Gegen diese Enttäuschung können auch die Versicherungen polnischer Politiker, sich für die "Polonia" im Königreich einsetzen zu wollen, nichts ausrichten. "Nun muss alles unternommen werden, damit die Rechte der polnischen Einwanderer in Großbritannien nicht geschmälert werden", betonte etwa Präsident Andrzej Duda in seiner ersten Stellungnahme.

"In der nächsten Zeit gibt es keine Veränderungen für die Polen, die in Großbritannien leben", beruhigte am Samstag der stellvertretende Arbeits- und Sozialminister Stanislaw Szwed. Der für wirtschaftliche Entwicklung zuständige Vize-Regierungschef Mateusz Morawiecki appellierte dagegen in einem BBC-Interview an die Landsleute auf der Insel: "Kommt zurück nach Hause!"

Angesichts der nach wie vor niedrigeren Löhne in Polen ist die Rückkehr aber längst nicht für alle Insel-Polen attraktiv. Im "Polish Express" erschienen schon vor dem Referendum Tipps, nun schnell mit dem Einbürgerungsprozess zu beginnen und einen britischen Pass zu beantragen. Vor allem, da Polen eine doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt.

In den Internetforen polnischer Auswanderer werden schon am Tag nach dem Brexit-Votum Sorgen laut. "Mein Vermieter hat mir heute gesagt, dass er meinen Vertrag nicht über den Herbst hinaus verlängert", schrieb ein Nutzer namens Marian. Eine Frau sorgt sich im Fall einer Rückkehr vor allem um ihre Kinder: "Die kennen nur die englische Schule und müssten in Polen bei Null anfangen." Enttäuschung klingt auch in einem anderen Kommentar an: "Wacht auf Leute, sie (die Briten) hassen uns. Wir haben zwei Jahre, um Kohle zu machen, Qualifikationen zu erwerben und dann in ein Land zurückzukehren, das uns wirklich braucht: Polen." (dpa/rs)

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