Stress statt Anerkennung

So leiden IT-Mitarbeiter

19.07.2016
Von Nicolas Zeitler

Manager ahnungslos über Befinden ihrer Mitarbeiter

Sie fordern neue Monitoring-Ansätze. Ist es denn realistisch, dass sich so etwas in der derzeitigen Wirtschaftslage umsetzen lässt?

Tobias Kämpf: Wir sehen dringenden Handlungsbedarf. Die Gesundheit vieler hängt am seidenen Faden. Heute fristet die Gesundheitsförderung häufig nur ein Nischendasein, das allenfalls in betrieblichen "Sonderveranstaltungen" praktiziert wird. Ein grundsätzliches Umsteuern ist deshalb notwendig. Nachhaltige Gesundheitsförderung muss von einem Thema am Rande zu einem grundlegenden Bestandteil von Organisationsentwicklung und Firmenpolitik werden.

Die Chance ist tatsächlich da. Die Manager, mit denen wir gesprochen haben, zeigten sich besorgt und betroffen und waren erstaunlich offen für das Thema. Bisher fehlt ihnen oft das Wissen über die Lage der Mitarbeiter. Deshalb ist ein innovatives Monitoring der Gesundheits- und Belastungssituation wichtig. Heute ist es oft üblich, lediglich die Arbeitsunfähigkeitstage zu zählen. Die Zahlen signalisieren meist keine dramatischen Ergebnisse. Die Messung hat aber eine strukturelle Blindstelle. Gerade dort, wo hoher Leistungsdruck herrscht, wird nämlich trotz Krankheit gearbeitet. Man bräuchte neue Verfahren, um die tatsächliche Belastungssituation der Mitarbeiter transparent zu machen.

Was sind typische Belastungen und Erkrankungen der Befragten?

Tobias Kämpf: In krassen Fällen Burnout, Hörsturz, Tinnitus und Depressionen. In leichteren Fällen leiden viele an Schlafstörungen oder Magenproblemen. Sie können nicht mehr abschalten, denken schon beim Aufwachen an die Arbeit. Wir waren erschrocken über den Anteil derer, die an manifesten Belastungen leiden. Viele haben schon einen Zusammenbruch erlebt oder fühlen sich oft an der Belastungsgrenze.

Im Team über Stress reden

Wie geht Ihre Studie weiter?

Tobias Kämpf: Die Analyse-Phase ist abgeschlossen. Jetzt starten wir in Firmen Pilotprojekte zur innovativen Gesundheitsförderung. Ein Ansatz ist es zum Beispiel, die individuelle Stress- und Belastungssituation zum regulären Thema in Team-Sitzungen zu machen. Es gehört dann zur Tagesordnung, dass jeder sagt, wie es ihm mit Blick auf seinen aktuellen Stress-Level gerade geht.

Das kann ein gutes Mittel sein, Belastungen überhaupt transparent zu machen. Die Teams müssen dabei lernen, mit Belastungen gemeinschaftlich und solidarisch umzugehen. Unter hohem Arbeitsdruck kann ein Team dein "größter Feind" sein, es kann zu Gruppenzwang und Mobbing kommen. Auf der anderen Seite erweisen sich jedoch funktionierende Teams mit einem kollegialen Miteinander als die wichtigste Ressource, die dem einzelnen bei hohen Arbeitsbelastungen hilft.

Was die Führungskräfte angeht: Es ist wichtig, auch sie als Belastete wahrzunehmen. Der nächste Schritt ist Empowerment: Ein Manager muss handlungsfähig gemacht werden, nach oben zurück funken zu können: Mein Team ist ausgelastet - ohne deswegen negative Konsequenzen erwarten zu müssen.

Zur Startseite