Strategien


Bertelsmann ICS

Taschenbuch-Server statt Mainframe-Schwarte

05.04.2004
Die IT-Tochter des österreichischen Buchclubs hat den Großrechner durch verteilte Server abgelöst und alle Cobol-Programme 1:1 migriert - ohne Leistungsverlust und zu halbierten Kosten. Jetzt steuert ein Virtual Data Center die Club-Landesgesellschaften.

Das alte System war an seine Leistungsgrenze gekommen. Mehr als 100 Millionen Kontenbewegungen jährlich verursachten mittlerweile die rund 1,6 Millionen aktiven Kunden (4,5 Millionen Adressen gesamt) des Bertelsmann Buchclubs in Österreich, Polen, Kanada und der Schweiz. Die Crux für Günter Bodner, CIO der IT-Tochter ICS Competence Center in Wien: Das neue System musste er schnell einführen, die Leistung erhalten und - so die Vorgabe des Managements - dabei noch Geld sparen. In den vergangenen Jahren waren die Anforderungen des Clubgeschäfts der fünf Gesellschaften in der Schweiz, Österreich, Polen und Kanada an die IT stark gewachsen. Es stieg weniger die Anzahl der Produkte wie Bücher und CDs, vielmehr ließ das Marketing das Datenvolumen durch immer aufwendigere Angebote in die Höhe schnellen: Für die verschiedenen Kundengruppen gibt es spezielle Kataloge, die unregelmäßig erscheinen. Sonderkonditionen und Kombinationsangebote machen die Kundenverwaltung nochmals komplizierter. Kommt das Marketing mit einer neuen Idee, muss die IT die entsprechenden Geschäftsprozesse sofort umsetzen können.

Zunächst schlug Bodner einen neuen Weg bei der Hardware ein. Tests für eine neue DB2-Datenbank von IBMIBM kamen schnell zu einem eindeutigen Ergebnis: Nicht nur die Speicherkapazität des bestehenden System reichte nicht mehr aus, auch die Laufzeiten musste Bodner um das Vierfache steigern. Allerdings wollte er kein Geld mehr für die notwendigen Erweiterungen des IBM-Großrechners in der Gütersloher Bertelsmann-Zentrale investieren. "Wir verkaufen kein Buch mehr, nur weil wir DB2 einführen", so Bodner. "Die IBM-Plattform weiterzuentwickeln hätte viel Geld gekostet. Das wurde vom Management gestoppt." Für die Abkehr vom Mainframe sprachen auch technische Gründe. Den Anforderungen des Clubs hätte er über kurz oder lang nicht mehr genügt. "Das IBM-Betriebssystem VSE für Mainframes war am Ende seines Lebenszyklus angelangt", so Bodner. Alles zu IBM auf CIO.de

Das gesamte Wissen steckt in Cobol

Die wichtigste Anforderung an die Migration bestand jedoch darin, alle rund 2900 in Cobol geschriebenen Anwendungen 1:1 in das neue System zu überführen. Zwar prophezeien viele Experten Cobol keine große Zukunft mehr, doch stand in den Codezeilen das gesamte Geschäftswissen des Clubs. "Die großen Summen, die wir im vorigen Jahrzehnt in die Anwendungsentwicklung investiert hatten, durften nicht verloren gehen. Das Clubgeschäft hat im Grunde zwei Anlagevermögen: die Mitglieder und das Business-Know-how, das in der Software steckt." Auf rund fünf Millionen Euro taxiert Bodner den Wert seiner Anwendungen.

Darüber hinaus sollte die neue Lösung flexibel und skalierbar sein. Somit stand Bodner vor der Frage: Wie sieht eine sinnvolle Plattform für die Zukunft aus? Dazu prüfte er vier Szenarien. Ein Umschreiben der Anwendungen auf Java-Basis schied aus Zeitgründen aus: 15 Mannjahre hätte die Aufgabe gedauert, so das Ergebnis einer beim Institut für Informatik der Universität Klagenfurt in Auftrag gegebenen Studie. Ein Wechsel auf die Standard-Kundenbindungssoftware (CRMCRM) von SAPSAP kam auch nicht in Frage. Das CRM-System von SAP deckte nur 50 Prozent der benötigten Funktionen des Buchclubs ab. "Anwendungssoftware für Buchclubs ist um ein Vielfaches komplexer als jedes Warenwirtschaftssystem", erläutert Bodner. Alles zu CRM auf CIO.de Alles zu SAP auf CIO.de

Weil eine Migration auf Mainframe MVS schon aus Kostengründen keine Option darstellte, entschied sich Bodner auch gegen einen Wechsel auf AS/400-Server von IBM. Technisch wäre es zwar möglich gewesen, doch für das hierfür notwendige neue Transaktionssystem wären Änderungen nötig gewesen - ähnlich teuer wie eine erneute Mainframe-Lösung. Letztlich setzte Bertelsmann auf eine dezentrale Serverlösung mit Windows-Betriebssystem. Der Hauptgrund dafür lag in den Kosten: Verschlang der Betrieb des alten Großrechners rund 1,4 Millionen Euro im Jahr, so kostet der Betrieb der Server inklusive Migrationskosten heute rund 680 000 Euro jährlich. Die Clubs sparen 60 000 pro Monat.

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