Strategien


Besuch im Data Lab

Volkswagen: Können, was Google nicht kann

In München hat das erste Data Lab des Automobilkonzerns die Arbeit aufgenommen. Hier läuft alles anders als bisher in der IT. Lab-Leiterin Cornelia Schaurecker und Volkswagen CIO Martin Hofmann berichten.
  • Das Data Lab hat Volkswagen wie ein Startup aufgebaut: von der Kultur, Arbeits- und Denkweise her
  • Im Lab dürfen die Mitarbeiter experimentell mit einen hohen Fehlertoleranz arbeiten
  • Deswegen wurde die klassische IT vom experimentellen Lab getrennt und eine Two Speed Organisation geschaffen: anders ginge nicht, sagt CIO Hofmann
  • Design Thinking stellt eine zentrale Arbeitsmethode: der Kunde steht bedingungslos im Mittelpunkt
  • Auch der Betriebsrat unterstützt das Lab als Forschungslabor für das Arbeiten in der Zukunft, er finanziert es sogar mit
In München sollen die Spezialisten IT-Lösungen für Big Data und Internet of Things entwickeln.
In München sollen die Spezialisten IT-Lösungen für Big Data und Internet of Things entwickeln.
Foto: Volkswagen

Der Werksschutz kennt kein Par­don. Routiniert machen die Mitarbeiter ihre Runde durch Flure der MAN Holding in München. Um 22 Uhr schließen sie die Räume ab, und alle Mitarbeiter müssen das Haus verlassen. Schließlich sitzt hier auch der gesamte Holding-Vorstand des Lkw-Herstellers MAN, der zum Volkswagen-Konzern gehört.

Das wussten die Mitarbeiter des gerade neu gegründeten Data Labs von VolkswagenVolkswagen nicht, als sie in der ersten Woche ihre Arbeit aufgenommen hatten. Allerdings wussten sie, was jetzt zu tun war. Vier Mitarbeiter setzten sich in einen Golf und fuhren alle Wege rund um die Holding ab. Als sie die Stelle mit dem besten Wifi-Empfang gefunden hatten, arbeiteten sie im Auto mit ihren Laptops auf dem Schoß weiter. Auf diesem Parkplatz stand danach jeden Abend der Golf. Top-500-Firmenprofil für Volkswagen

Anders ticken als die Konzern-IT

Im Data Lab läuft noch viel mehr anders, und das ist auch so gewollt. "Wir haben entschieden, ein Lab in München aufzubauen, das anders tickt als die IT in Großkonzernen", erklärt Volkswagen-CIO Martin Hofmann. Deswegen hat er sich auch schon mal seinen Schlips abgebunden - das Lab ist krawattenfreie Zone. Zusammen mit der Lab-Leiterin Cornelia Schaurecker sitzen wir in einem kleinen gläsernen Konferenzraum mitten im Lab. Direkt nebenan stehen und hocken 20 Leute in einem Glaskubus und diskutieren über ein Projekt. "Anders ticken heißt, wir wollen experimentell arbeiten und wie ein Start­up agieren, das sehr schnell und agil an Themen herangeht. Und das mit einer hohen Fehlertoleranz: Alles wird probiert. Wenn etwas nicht funktioniert, geht's in die Tonne", führt Hofmann aus.

Ein spezialisiertes Beratungsunternehmen half, das Lab wie ein Startup aufzubauen: von der Kultur, Arbeits- und Denkweise her. Zudem wollte Volkswagen die besten Mitarbeiter am Markt für sich gewinnen, weshalb sich die IT nach einer Analyse für den Standort München entschied.

Synergien fehlten

Gut eineinhalb Jahre dauerte es von den ersten Ideen im Frühjahr 2013 bis zur offiziellen Eröffnung im November 2014. Zwar liefen schon lange viele BI- und Big-Data-Projekte in den einzelnen Konzerngesellschaften, Synergien ergaben sich dadurch aber kaum. Deshalb fiel die Entscheidung, diese Aktivitäten an einem zentralen Ort zu bündeln. "Wenn wir einen richtigen Sprung machen und das Thema systematisch ausrollen wollen, geht das nur mit vereinten Kräften", sagt Hofmann.

Im Lab versammelt Volkswagen nun alle Kompetenzen rund um das Thema Data Analytics. Hier arbeiten je nach Projekt mehrere Dutzend interne und externe Data Scientists, Robotikspezialisten, Wissenschaftler und Experten aller Fachrichtungen zusammen. "Das ist geballte Kompetenz, zum Beispiel in Statistik, Mathematik, Informatik und BWL. Unsere interdisziplinären Teams ergänzen sich hervorragend", sagt Cornelia Schaurecker.

Was kann Google nicht?

Die Spezialisten sollen IT-Lösungen für die aktuellen Hype-Themen wie Big DataBig Data und Internet of Things entwickeln. Denn neue Wettbewerber sind aufgetreten, die den AutobauernAutobauern Marktanteile streitig machen wollen. Die DigitalisierungDigitalisierung bedroht bisherige Geschäftsmodelle. "Wir fragen uns immer: Was können wir, was Google nicht kann?", formuliert Hofmann den Anspruch. Alles zu Big Data auf CIO.de Alles zu Digitalisierung auf CIO.de Top-Firmen der Branche Automobil

Man kann die Frage auch abwandeln: Was hat ein Autobauer wie Volkswagen, was Google nicht hat? Und das sind die Fahrzeugdaten. Smartphone-Daten reichten für viele Anwendungen nicht, erläutert Hofmann. So arbeiten beispielsweise die Data Scientists an Apps, die frühzeitig erkennen, wo ein Parkplatz in der Stadt frei wird.

Aber nicht nur Mitarbeiter von Technologieanbietern kommen immer wieder temporär ins Lab. Auch Leute von Startups oder aus der Wissenschaft schauen für ein paar Wochen vorbei. Wenn das Lab eine Technik nicht hat, dann lädt es sich ein Startup ein und erarbeitet mit ihm Lösungswege. "Technische Restriktionen wie vor zehn Jahren gibt es nicht mehr. Was heute zählt, sind clevere Ideen", sagt Hofmann.

Und wenn es sehr gut läuft, dann schafft ein getestetes Tool auch den Weg ins Business, wie beispielsweise bei der Fehlerfrüherkennung. Kommt ein Kunde mit einer Beanstandung zu einem der Händler, gibt der Händler die Daten in seinen Rechner ein. Jährlich kommen so einige Millionen Meldungen zustande.

Machine-Learning-Tool im Rollout

Ein Tool erkennt nun durch automatische Übersetzungen der Landessprachen, durch Matching von Begriffen und durch statistische Analyse, ob sich im Markt ein Thema aufbaut. Wenn das System Auffälligkeiten frühzeitig erkennt, kann der Autohersteller schneller reagieren. "Wir haben das mit einem Machine-Learning-System umgesetzt. Damit haben wir den Analysezeitraum von mehreren Monaten auf wenige Wochen verkürzt", erklärt Hofmann. Das vom Data Lab entwickelte System wird gerade in den Konzern überführt, in den Rollout investiert Volkswagen viel Geld: mehrere Millionen Euro.

Zur Startseite