Fragen über Fragen

Was folgt auf den schwarzen Brexit-Freitag?

27.06.2016
Europa versucht nach dem Liebesentzug der Briten seine Schockstarre zu überwinden. Mit einem Treffen in Berlin beginnt die EU die Brexit-Scherben zusammenzukehren. Viele Krisentreffen werden folgen.
Die politischen Brexit-Folgen sind im Moment wenig abzusehen.
Die politischen Brexit-Folgen sind im Moment wenig abzusehen.
Foto: nito - shuterstock.com

Der Kurssturz des Pfunds gibt eine erste Ahnung davon, was der EU-Austritt Großbritanniens für die Wirtschaft bedeutet. Was wird aus dem Generationenprojekt, das erst 2012 mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde? Sieben Fragen, die an diesem Wochenende und in den Tagen danach in den Fokus rücken dürften.

Impuls aus den Gründerstaaten?

Nach den entsetzten, mahnenden, auch beruhigenden Äußerungen am schwarzen Brexit-Freitag blicken die sechs "Gründerstaaten" der Europäischen Union von 1957 nach vorn. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat seine Kollegen aus Frankreich, Italien und den Benelux-Ländern nach Berlin eingeladen. Im Gästehaus des Auswärtigen Amts wollen die EU-Zugpferde Deutschland und Frankreich am Samstag gemeinsame Vorschläge zur Weiterentwicklung einer Gemeinschaft von künftig 27 Staaten vorlegen. Im Entwurf für eine gemeinsame Erklärung ist von einer "flexiblen Union" die Rede, die den Partnerländer mehr Raum für Integrationsschritte geben soll.

Neuanfang kontra Niedergang?

Nach dem ersten Schock dürften in den nächsten Tagen auch radikale Lösungen auf den Tisch kommen. Einen Vorgeschmack lieferte Frankreichs konservativer Parteichef und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der nur wenige Stunden nach dem Brexit-Votum eine weitreichende EU-Neugründung verlangte. Diese Frage sei dringlich, denn die Briten stünden mit ihrer Ablehnung eines kriselnden Europas wohl kaum alleine da. "Was das britische Volk gesagt hat, hätten auch andere Völker sagen können." Sarkozy werden Ambitionen auf eine neue Präsidentschaftskandidatur 2017 nachgesagt.

EU-Verträge unter Druck?

Überzeugte Europäer wie der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger lehnen rasche Änderungen strikt ab. "In den nächsten vier Jahren sehe ich keine Chance, das Primärrecht zu ändern", sagte er der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die britische Ausstiegsphase. Denn damit könnten alle Dämme brechen: "Das wäre für Rechtspopulisten eine Steilvorlage, um das Projekt Europa zu demontieren." Eine Vertiefung der EU könne jetzt in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Entwicklungspolitik angestrebt werden.

Wie weiter mit den Wirtschaftsbeziehungen?

Hier sind schnell ganz praktische, die Unternehmen und den Bürger interessierende Dinge zu klären. "Investoren sind an einem Binnenmarkt mit klaren Regeln interessiert", sagte Oettinger. "Was passiert, wenn ein Auto von Großbritannien nach Deutschland transportiert wird?" Solange die Briten noch in der EU sind, ändert sich an den Handelsbeziehungen erstmal nichts. Für die Zeit danach sind aber Verhandlungen nötig, die jetzt nicht auf die lange Bank geschoben werden können.

Zeitspiel der Briten?

Es gibt Befürchtungen, die Briten könnten nach dem Votum versuchen, die EU auszutricksen. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), warnt vor einer "Hängepartie über Jahre". Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sagte dem "Westfalenblatt": "Ich halte es für Trickserei, dass Premierminister David Cameron bis Oktober im Amt bleiben will. Dann kommt der neue Regierungschef und sagt vielleicht, dass er den ganzen Brexit-Vorgang erst einmal prüfen müsse - und schon ist ein Jahr vorbei." Wenn schon Austritt, dann schnell - und die EU dürfe sich dabei nicht erpressen lassen. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker droht: "Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen."

Brexit-Kater auf der Insel?

Viele Briten jubeln: Jetzt kriegen wir unser Land zurück. Aber es gibt auch viel Trauer, gerade bei jungen Leuten, die sich um ihre Zukunft in einem offenen Europa betrogen fühlen. Sie haben zu 70 Prozent für den EU-Verbleib votiert, hebt der deutsche Außenminister Steinmeier hervor. Und es formiert sich Wut - so wird der Brexit-Motor Boris Johnson nun in seiner Stadt, der pro-europäischen Finanzmetropole London, attackiert. Im Gegensatz zu Johnson ist Cameron ein Mann von gestern: Er will nur noch einige Wochen für Stabilität sorgen. Die Nachfolger laufen sich schon warm.

Rechtsaußen im Vormarsch?

Das bleibt abzuwarten - obwohl rechtsextreme, fremdenfeindliche Politiker wie Marine Le Pen in Frankreich oder Geert Wilders in den Niederländen die Abschottungstendenzen aus dem Brexit-Votum sogleich für sich nutzen wollen. Auch in der rechtspopulistischen AfD wird versucht, auf den Zug der britischen EU-Gegner aufzuspringen. Deren Thüringer Fraktionschef Björn Höcke spricht von einem "Freudentag für Europa". (dpa/rs)

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