Entzauberte Mythen

Die Generation Y gibt es gar nicht



Christoph Lixenfeld, seit 25 Jahren Journalist und Autor, vorher hat er Publizistik, Romanistik, Politikwissenschaft und Geschichte studiert.

1994 gründete er mit drei Kollegen das Journalistenbüro druckreif in Hamburg, schrieb seitdem für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel, Focus, den Tagesspiegel, das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche und viele andere.

Außerdem macht er Hörfunk, vor allem für DeutschlandRadio, und produziert TV-Beiträge, zum Beispiel für die ARD-Magazine Panorama und PlusMinus.

Inhaltlich geht es in seiner Arbeit häufig um die Themen Wirtschaft und IT, aber nicht nur. So beschäftigt er sich seit mehr als 15 Jahren auch mit unseren Sozialsystemen. 2008 erschien im Econ-Verlag sein Buch "Niemand muss ins Heim".

Christoph Lixenfeld schreibt aber nicht nur, sondern er setzt auch journalistische Produkte ganzheitlich um. Im Rahmen einer Kooperation zwischen Süddeutscher Zeitung und Computerwoche produzierte er so komplette Zeitungsbeilagen zu den Themen Internet und Web Economy inklusive Konzept, Themenplan, Autorenbriefing und Redaktion.
Nach-1980-Geborene sind ganz anders, wollen Sinn und Selbstbestimmung statt Status und Sicherheit? Eine aktuelle Studie entlarvt das Klischee als Mythos.

Artikel und Bücher über Wertewandel und Paradigmenwechsel bei der sogenannten Generation Y türmen sich seit Jahren zu bedrohlich anschwellenden Halden. Zentrales Material dieses Abraums einer Geisterdebatte sind Klischees: Jüngere Angestellte legen Grundsätzlich Wert auf freie Zeiteinteilung und insgesamt weniger Arbeit, Glück sei wichtiger als Geld, deshalb nähmen auch Väter dieser Altersgruppe immer öfter Elternzeit in Anspruch.

Generation Y: Wir wollen alles - und wir kriegen es auch.
Generation Y: Wir wollen alles - und wir kriegen es auch.
Foto: lassedesignen - Fotolia.com

Weil die Generation so viele Krisen erlebt hat, hält sie sich selbst für besonders flexibel und an die Erkenntnis gewöhnt, dass es den Job auf Lebenszeit und die damit verbundene Sicherheit sowieso nicht gibt.

Und wir müssen nicht nur ständig lesen, was diese neuen Menschen wollen, sondern auch, was sie nicht wollen beziehungsweise nicht sind: Nicht status- und sicherheitsfixiert, nicht scharf auf Überstunden und dem daraus folgenden Herzkasper.

Zeit-Autorin Kerstin Bund, selbst Angehörige jener Generation, hatte diese Verklärung vor einiger Zeit auf die Spitze getrieben. Zitat: "Was also erwarten junge Beschäftigte von der Arbeitswelt? Jedenfalls keinen DienstwagenDienstwagen mit Vollausstattung, keinen Privatparkplatz in der Firmengarage und auch kein aufgeglastes Eckbüro mit Ausblick. Mit den alten Insignien der Macht können wir wenig anfangen. Harte Anreize wie GehaltGehalt, Boni und Aktienpakete treiben uns weniger an als die Aussicht auf eine Arbeit, die Freude macht und einen Sinn stiftet." Zitat Ende. Alles zu Dienstwagen auf CIO.de Alles zu Gehalt auf CIO.de

60 Prozent wollen Geld und Sicherheit

Diese Selbststilisierung sagt viel darüber aus, wie die Generation YGeneration Y das Gemüt und den Charakter der anderen, älteren Arbeitnehmer einschätzt. Nämlich als geldgierig, statusfixiert und total unfähig, sich ein paar sinnvolle Gedanken über die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns zu machen. Alles zu Generation Y auf CIO.de

Statusdenken adé? BWM ist bei jungen Menschen Deutschlands begehrtester Arbeitgeber.
Statusdenken adé? BWM ist bei jungen Menschen Deutschlands begehrtester Arbeitgeber.
Foto: BMW Group

Eine aktuelle, breit angelegte Untersuchung im Auftrag des Personalvermittlers und Dienstleisters Orizon GmbH räumt mit dieser schubladenhaften Abgrenzung gründlich auf: Durchgeführt wurde die Studie "Arbeitsmarkt 2014 - Perspektive der Arbeitnehmer" vom unabhängigen Marktforschungs- und Analyseunternehmen Lünendonk GmbH.

Ihre Ergebnisse korrigieren vor allem die Legende von der Neu- und Andersartigkeit der Generation Y. Und zeigen stattdessen, dass unsere Arbeitswelt insgesamt einen massiven Wertewandel erlebt, einen, der alle Generationen von Arbeitnehmern gleichermaßen erfasst.

Wünsche der Generationen unterscheiden sich kaum

Im Rahmen der Untersuchung wurden mehr als 2000 Angestellte und Arbeitssuchende nach jenen Leistungen befragt, die einen Arbeitgeber aus ihrer Sicht besonders interessant machen. Ergebnis: Unter den 20 bis 29-Jährigen nennen 60 Prozent Sicherheit als einen der fünf Top-Attraktivitätsfaktoren, ebenfalls 60 Prozent wollen unbedingt eine gute Bezahlung und 49 Prozent flexible Arbeitszeiten.

Die Studie zeigt, dass sich die Präferenzen zwischen den Altersgruppen fast gar nicht unterscheiden: Alle Befragten zwischen 20 und 65 Jahren nannten Jobsicherheit, leistungsgerechte Bezahlung, flexible Arbeitszeiten und die Nähe des Arbeitsplatzes zum Wohnort als die vier beliebtesten Arbeitgeber- beziehungsweise Arbeitsplatzqualitäten. Das Kriterium ‚flexible Arbeitszeiten‘ findet sich dabei stets auf dem dritten Platz.

Der Wertwandel betrifft nicht nur Junge

"Das spricht für einen breiten Wertewandel der ganzen Gesellschaft", findet Orizon-Geschäftsführer Dieter Traub. Heute erwarteten eben alle Arbeitnehmer, dass sich Arbeitszeiten an das Privatleben anpassen und nicht umgekehrt.

Erst auf dem fünften Platz der Liste treten Unterschiede zwischen den Altersgruppen zutage. 38,1 Prozent der Befragten aus der Generation Y (20-29-Jährige) halten eine abwechslungsreiche Tätigkeit für besonders wichtig, damit landet dieses Kriterien an fünfter Stelle.

Bei Vertretern der sogenannten Generation X (30-39-Jährige) rangieren hier mit 30,9 Prozent Weiterbildungsprogramme. Offenbar wollen Über-30-Jährige durch viele Schulungen auch langfristig auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleiben. Für die 50-65-jährigen Baby Boomers dagegen liegt - wenig überraschend - eine gute betriebliche Altersvorsorge an fünfter Stelle der Prioritätenliste.

Davon, dass für junge Arbeitnehmer Sinn mehr zählt als Status, wie die bereits zitierte Zeit-Autorin Kerstin Bund euphorisch schrieb, kann also keine Rede sein. Und es handelt sich bei der Studie im Orizon-Auftrag keineswegs um eine irrelevante Momentaufnahme. Sondern um eine repräsentative Betrachtung, die soziodemographische Merkmale wie Alter, Geschlecht und Schulbildung durch entsprechende Gewichtung mit einbezieht.

Ab in den öffentlichen Dienst

Bemerkenswert ist auch, dass die Studenten unter den Befragten den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber favorisierten. Ob es das ist, was Kerstin Bund mit "Glück schlägt Geld" gemeint hat? Wenn Status, Geld und Dienstwagen für die Jungen nicht mehr wichtig sind warum landen dann bei der Befragung von Schülern, Absolventen und jungen Berufstätigen nach den begehrtesten Arbeitgebern BMW, Audi und Porsche auf den Plätzen eins, drei und vier - und GoogleGoogle auf Platz zwei. Unter den angehenden Ingenieuren lautet die Reihenfolge Audi, BMW, Porsche, Volkswagen. Alles zu Google auf CIO.de

Die Macht der Knappheit

Autonomie, Selbstbestimmung, Freiheit? Der renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann stellte anlässlich des "Weltspartages" fest: "Viele haben den Wunsch nach einem Haus mit Garten, wörtlich und übertragenen Sinn." Junge Menschen, so Hurrelmann, sparten wieder gerne und seien gerne spießig. Auch mit der Mobilität, so das Ergebnis einer anderen Studie, ist es bei den Jungen nicht weit her: Die meisten von ihnen wollen einen Job in der Nähe ihres Studienortes.

Vielleicht ist ja der wichtigste Unterschied zwischen der Generation Y und ihren Vorvätern, dass die heute Jungen viel mehr Wahl- und Wunschmöglichkeiten haben, weil sie demographische Entwicklung mit der "Macht der Knappheit" ausgestattet hat, wie in der Zeit zu lesen war. Man könnte auch mit Jugendforscher Klaus Hurrelmann sagen: "Die Ypsiloner haben die Beweislast umgekehrt. Nicht nur sie müssen einem potentiellen Arbeitgeber erklären, warum er sie einstellen sollte. Der Arbeitgeber muss auch ihnen erklären, warum sie für ihn arbeiten sollten."

Lean back statt Lean Management: Auch junge Menschen träumen von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.
Lean back statt Lean Management: Auch junge Menschen träumen von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.
Foto: Carolin Seeliger

Und da gibt es aus Sicht junger Führungskräfte nur wenig überzeugende Argumente: "Leaders of Tomorrow" sind zu einem Gutteil der Ansicht, dass die "Leaders of Today" falsche strategische Prioritäten setzen, schlechte Personalentscheidungen treffen, sich handwerkliche Fehler leisten und insgesamt weniger nachhaltig handeln.

Das ist das Ergebnis der Studie "Global Perspectives Barometer 2014", die die Konsumforscher des GfK Vereins zusammen mit der Management-Nachwuchs-Konferenz St. Gallen Symposium erstellt haben.

Selbstüberschätzung ist keine Frage des Alters

In diesem Rahmen wurde der Führungsnachwuchs auch gefragt, wie er bestimmte persönliche Eigenschaften seiner Generation im Vergleich zu den Älteren einschätzt. Das Ergebnis: Sich selbst empfinden Ypsiloner als weit vertrauenswürdiger und altruistischer als die Generation der amtierenden Führungskräfte. Die Jungen taxieren sich zudem als weniger materialistisch und weniger statusfixiert als der Rest - aber zugleich als fleißiger.

Was das beweist? Vielleicht das Selbstüberschätzung von Chefs keine Frage des Alters ist.

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