Datensicherheit und Händler

Die Zukunft des vernetzen Autos

15.07.2014
Von Michael Kallus
Beim Roundtable von Automobilwoche und CIO-Magazin diskutierten ITler mit Vertretern der Autobranche, was künftig beim Auto zählt - und wie Händler die Käufer überhaupt noch erreichen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die IT muss sich nicht hinter der Autobranche verstecken. Obwohl letztere wegen ihrer Innovationskraft als vorbildlich gilt, schlittern die Autohersteller langsam in die gleiche Krise, wie sie die IT schon lange kennt: Wenn alles funktioniert, halten die Nutzer das für selbstverständlich. Sie suchen den Mehrwert. Das Besondere. Das Extra. Wo dies liegt, diskutierten:

  • Reinhard Clemens, der als Geschäftsführer von T-Systems aufs Engste mit den Autoherstellern verbandelt ist (T-Systems hat mit debis und gedas die IT-Töchter von Daimler und Volkswagen geschluckt),

  • Thomas Hausch, der als Geschäftsführer von Nissan Europe die Bedeutung der Händler vor Ort betont,

  • Thomas Henkel vom Sportartikelhersteller Amer Sports, der sehr genau zwischen Online-Vertrieb und Händlerloyalität abzuwägen weiß,

  • Guido Reinking, der als Chefredakteur der Automobilwoche ständig beobachtet, welche OEMs sich mit welchen Services in der Szene hervortun,

  • Ralf Tomczak, der als Director Technology des Gebrauchtwagenhandels Mobile.de sehr genau weiß, wonach Autokäufer suchen,

  • Günther Weinrauch, der als CIO des ADAC mit darauf angewiesen ist, dass beide Branchen anständig performen,

  • Bernhard Winkler, der als CIO von Automotive Lighting die Zulieferer vertritt.

Das vernetzte Fahrzeug ist in aller Munde. Was wünschen die Käufer von morgen?

Ralf Tomczak: Konnektivität ist ein klarer Trend und wichtiger als die Zahl der Zylinder. Gefragt sind auch Sicherheitsfunktionen.

Thomas Hausch: Bluetooth, USB und die Integration von SmartphonesSmartphones sind fast schon Standard. Die Kunst ist, an dieser Konnektivität etwas zu erschaffen, das die Kunden begeistert. Wir haben beispielsweise eine "360 Grad Rundumsicht" entwickelt, die das Fahrzeug von oben in der Landschaft zeigt wie in einem Videospiel - als würde eine kleine Drohne darüberfliegen. Das System arbeitet mit zwei Kameras in den Außenspiegeln und je einer vorne und hinten. Von diesem Effekt sind unsere Kunden begeistert. Bei externen Vernetzungen müssen wir einen ähnlichen Kundennutzen schaffen. Alles zu Smartphones auf CIO.de

Ralf Tomczak: Die große Frage ist: Wie wird Konnektivität in Fahrzeugen die verschiedenen Lebenszyklen von IT und Autofahrzeugen zusammenbringen? Wie bringt es die virtuelle Welt der Software mit der Physik eines Autos zusammen?

Thomas Hausch: Die IT wird sicher ein Impulsgeber sein für Fahrzeug-Updates oder After-Sales-Services. Die Automobilindustrie wird dabei nicht an der Spitze stehen. Wir entwickeln ein Auto für sechs Jahre und beginnen mit der Entwicklung bis zu fünf Jahre vorher. Es lohnt sich nicht wie bei einem Handy, jedes halbe Jahr ein neues System einzubauen. Wir müssen also die Konnektivität so intelligent machen, dass sie noch nach Jahren gut zu nutzen ist.

Bernhard Winkler: Dabei könnten die Autohersteller über die Konnektivität schon heute viel mehr Daten erhalten. Jeder, der ein Smartphone hat, verbindet es mit seinem Fahrzeug, und diese Nutzer sind oft mit Social MediaSocial Media, FacebookFacebook verlinkt. Gibt der Nutzer diese Daten frei, haben Automobilhersteller theoretisch Zugriff darauf. Da steckt ein großes Potenzial drin. Alles zu Facebook auf CIO.de Alles zu Social Media auf CIO.de

Aber wie bauen Sie so viel Vertrauen auf, dass der Nutzer die Daten zur Verfügung stellt?

Thomas Hausch: Ich würde zum Beispiel meine Positionsdaten offenlegen, wenn es eine Funktion erleichtern würde, meinen Wagen nach einem Diebstahl wiederaufzufinden. Man müsste also eine App herstellen und daran einen Zusatznutzen verknüpfen. Eine weitere simple, aber hilfreiche Applikation ist beispielsweise Smart Mirroring, dabei visualisiert man die Daten auf dem Smartphone direkt auf dem Display im Auto.

Ralf Tomczak: Genau, an solche Funktionen ist oft die Zusage des Nutzers gebunden, gewisse Daten bereitzustellen. Der Kunde muss dann grundlegend Vertrauen haben. Aber auch einen Mehrwert sehen, der in der Verknüpfung dieser beiden Welten liegt.

Günther Weinrauch: Die Möglichkeiten sind zweifellos vielfältig, können aber auch nach hinten losgehen. Was, wenn der Kunde keine Daten preisgeben möchte und sich deshalb für ein anderes Modell entscheidet? Das kann das Kerngeschäft der Hersteller beeinträchtigen. Aus meiner Sicht sollten Risiken und Potenziale abgewogen und in die Unternehmensstrategie eingebettet werden, um Ruf und Marke dauerhaft zu schützen.

Reinhard Clemens: Das Potenzial ist jedenfalls enorm, über Konnektivität kommen interessante Services ins Auto. Besitzt das Fahrzeug eine Diagnosefunktion, und der Händler weiß, wo es zu welcher Zeit steht, kann er es aufsperren, abholen, reparieren und wieder zurückstellen. Dazu müssten die Händler dann in der Lage sein, an solche Daten heranzukommen.

Guido Reinking: Wir nennen den Händler auf dem Land bei uns in der Redaktion immer Günter. Günter ist Mitglied im Schützenverein und kennt alle seine Nachbarn. Er weiß besser als jedes CRM-System, wann sie ein neues Auto brauchen. Die Frage ist nur: Kann Günter die komplexen Funktionen, die Sie gerade beschrieben haben, überhaupt verkaufen?

Thomas Hausch: Eine gute Frage. Denn Günter soll seine Kunden ja auch von der Funktionalität begeistern. Die ganzen Antriebskonzepte, die Ausstattungsoptionen und nun Nissan Connect mit 15 Apps muss er auch erst kennenlernen. Da sind Konzepte nötig, die dieses Kennenlernen und den Verkauf erleichtern.

Thomas Henkel: Das können Videos auf Youtube sein, mit denen ein Hersteller in 20 Sekunden eine neue Funktion erklärt. Diese Videos bringen viel, wenn man sie smart einsetzt. Da helfen zusätzliche Kanäle, die so etwas konsistent und mit der gleichen Botschaft rüberbringen. Damit sind die Hersteller nicht mehr so weit davon abhängig, ob der Händler das begeisternd vermitteln kann.

Ralf Tomczak: Diese Rollen im Verkaufsprozess eines Fahrzeugs, in Kontaktaufnahme, in der Beratung, in After-Sales, erfordern immer differenziertere Partnerschaften. Manche Schritte übernehmen die Händler. Manche Schritte der Hersteller, weil es der Händler vor Ort in dieser Komplexität nicht leisten kann. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen ein Standort mit einem Glaspalast reichte. Im Autohandel brauchen sie heute eine digitale Strategie.

Welche technologie-bedingten Umbrüche zeichnen sich denn momentan im Handel ab?

Thomas Henkel: Die große Neuerung in Social Media ist das Netzwerk. In Instagram, WhatsApp, Facebook wird viel über die gefühlte Qualität von Produkten und Services diskutiert. Das macht diese Communities zu modernen Verkaufstheken. Denn ich traue weder Nissan noch Günter. Was jedoch meine 20 Freunde sagen, das zählt.

Reinhard Clemens: Die Wirkung dieser Communities ist enorm. Damit verschiebt sich die Macht zu Top-Playern wie Facebook oder GoogleGoogle mit all ihrem Know-how über ihre Kunden. Steigt Google mit seinem Kundenwissen in einen Markt ein, wird Verkaufen personalisiert. Auch der Kanal wandelt sich, weil man Kunden über Location Based Services zum richtigen Zeitpunkt erreichen kann - wenn er die Kaufentscheidung treffen will. Das gab es früher so nicht. Und diese Mittel sind für Günter unerreichbar. Alles zu Google auf CIO.de

Ralf Tomczak: Man muss tatsächlich ein analytisches Verständnis für Märkte entwickeln. Der HandelHandel will heute genau verstehen, wofür er sein Geld ausgibt. Automobilhändler analysieren etwa, wie sich ihr Fahrzeugbestand an einem Standort optimieren lässt. Das betrifft natürlich auch die Hersteller. Dabei können wir mit unseren Marktdaten helfen. Auch einschlägige Suchmaschinen und andere MedienMedien sollten nicht nur als Vermarktungskanal genutzt werden, sondern auch, um die Kundenansprache und Fahrzeugausstattung langfristig zu entwickeln. Top-Firmen der Branche Handel Top-Firmen der Branche Medien

Thomas Hausch: Diese Intelligenz im Internet ist gerade einmal zehn, 15 Jahre alt. Ständig treten neue Spieler und neue Regeln auf. Da verliert man, wenn man nicht jederzeit dabei ist und versteht, wohin es gehen kann. Wir kommen von einem 100 Jahre alten Vertriebsmodell, aber heute nimmt die Halbwertszeit erfolgreicher Marketing-Modelle deutlich ab.

Wie gehen Sie diesen Wandel an?

Thomas Henkel: Die ganzen Instrumentarien fordern uns auf, herauszufinden, was sich für welches Thema eignet. Wir sind da bei Amer Sports in der Experimentierphase. Über einen Kanal schicken wir nur Produktinformationen. Ein anderer Kanal dient für After-Sales-Services: Hat ein Kunde einen Tennisschläger gekauft, bieten wir ihm sechs Monate später eine Besaitung an. Und dann betreiben wir Communities, die viral arbeiten, wo die Besucher etwa ein cooles Video weiterempfehlen. Das Instrumentarium wird größer, komplexer und verlangt völlig andere Konzepte.

Bernhard Winkler: Wir überlegen ständig, wie die IT das Business in Richtung Social Media unterstützen kann. Andere Branchen sind uns da einen Schritt voraus, weil wir in der Automobil-Branche stark aus einer Fertigungsindustrie kommen. Generell hat sich der Vertrieb im Fahrzeug- und Ersatzteilgeschäft stark in Richtung Endkunden verschoben und wird sich weiter verschieben.

Reinhard Clemens: Wir erwarten einen weiteren Wandel: Retail und die Logistik entwickeln sich enorm. Bald lassen sich Waren innerhalb von zwei Stunden in ganz Deutschland ausliefern. Das bedeutet: Einkaufen wird zu einem Event. In schönen Shops mit Kaffeebar. Das wird auch die Automobilhandel treffen. Und ich bin gespannt, wann die Automobilbranche in die Stadt zieht, dort findet das nämlich statt - und nicht in einem Industriegebiet.

Bernhard Winkler: Wir sprechen über Facebook, über Google und Youtube. Da fragt sich der Händler doch: Was soll ich noch alles machen?

Thomas Hausch: Das gehört zur Herausforderung, die wenigen relevanten Initiativen herauszusuchen und richtig zu machen. Für den Händler wie für den Hersteller. Wir betreiben in England einen Pilotladen, den wir bei Apple abgeschaut haben. Da sitzt keiner hinter der Theke. Der Händler geht am Produkt ins Gespräch und nutzt ein iPadiPad dabei. Darauf kann er die Funktionen spannend und kurzweilig erklären. Alles zu iPad auf CIO.de

Wie kann die IT das Wissen über Kunden erweitern und so den Abstand zum Kunden verringern?

Thomas Hausch: Data-Mining ist ein unglaublich großes Spielfeld. Wir identifizieren beispielweise mit Google Analytics Kunden, die sich für einen Wagen eines koreanischen Wettbewerbers interessieren. Wir versuchen dann, sie für eine Seite zu interessieren, auf der sie diesen Wagen mit unserem Modell vergleichen können. Denn es hilft, wenn man die richtigen Kunden auf seine Webseite bringt und ihnen dann nicht nur Standardthemen präsentiert. Man muss sich für jeden Kunden und Wettbewerber gezielt etwas überlegen. Dann erreicht man eine Ansprache, die Kunden bewegt. Diese Vergleichsseiten halten wir übrigens objektiv, denn Kunden achten extrem auf Fairness.

Ralf Tomczak: Auf mobile.de sehen wir deutlich, was Nutzer interessiert, wenn sie ein Auto konfigurieren. Aus solchen Daten lassen sich individuelle Fahrzeuge zusammenstellen, um Kunden gezielt anzusprechen. Zudem sammeln wir tagesaktuell Marktdaten über Bestand und Nachfragen. So können wir Auskunft geben über die Performance bestimmter Regionen und Jahreszeiten oder wie sich die Preise entwickeln. Unser Ziel ist, langfristig Vorhersagen über den Markt treffen zu können.

Thomas Hausch: Wir sind tatsächlich in der Diskussion, mit Plattformen wie Mobile zusammenzuarbeiten. Ich bin überzeugt, das wird in Zukunft auf die ein oder andere Art kommen. Denn bei diesen Anbietern findet man viele, bessere Informationen. Leute, die dort suchen, sind in ihrer Entscheidungsfindung eine Stufe weiter als die, die bei Google suchen.

Reinhard Clemens: Wir entdecken gerade die Möglichkeiten mobiler Geräte. Wie kann ein Smartphone beispielsweise dabei helfen, einen Kunden auf seinem Weg durch die Stadt in ein bestimmtes Geschäft zu locken? Welche speziellen Produkte interessieren ihn? Der Einzelhandel wiederum will wissen, wie lange sich die Käufer durchschnittlich bei ihnen aufhalten und aus welchem Einzugsgebiet sie kommen. Diese Intelligenz muss man aus vielen Quellen sammeln, das muss ein Großer übernehmen.

Thomas Henkel: Mit all diesen Daten differenziert sich der Markt immer mehr. Es gibt den 26-Jährigen mit weniger Geld, der will einen guten Preis. Dann gibt's die Familie. Und dann Off-Road-Fans. So entstehen Segmente, die immer kleiner werden. Da reicht ein Angebot nicht mehr, ich muss die 200 Varianten aufgefächert anbieten.

Thomas Hausch: Und aus etwas anderer Sicht: Wir haben etwa zwei Millionen Kundendaten. Würden wir denen alle zwei Wochen etwas schicken, wäre denen das sehr unangenehm. Wir müssen sogar partitionieren, mit den vielen Daten können wir gar nicht in die Breite gehen. Und genau das ist die Anstrengung, die wir nun zusätzlich bringen müssen im Vergleich zu früher.

Big Data und Social Media gelten als Treiber - Datenschutz als Bremser. Wie löst man diesen Konflikt?

Reinhard Clemens: Im Automobilbereich sind wir noch in einer sehr antiquierten Diskussion, wem die Daten gehören, wer was damit machen darf. Wir sind der Meinung: Die Daten gehören dem Kunden.

Thomas Hausch: Das ist ein heißes Thema. Wir arbeiten mit einem zweifachen Opt-in: Wollen wir persönliche Daten aufnehmen, muss der Kunde zweimal zustimmen.

Günther Weinrauch: Viele Kunden geben freiwillig und oftmals viel zu leichtfertig persönliche Informationen preis. Denken Sie an den quasi-öffentlichen Facebook-Account oder die Erlaubnis einzelner Smartphone-Apps, auf persönliche Informationen zugreifen zu können. Auf diesem Wege erhalten auch Unternehmen zahlreiche Daten.

Diese Angebotsvielfalt und Big Data kann Günter nicht alleine machen. Wird er sterben?

Thomas Hausch: Investiere ich 30, 40 Tausend Euro, will ich jemanden persönlich kennen. Daher glaube ich nicht, dass Günter stirbt, er wird nur anders arbeiten. Denn wie komme ich zu ihm? Wie bekomme ich Vertrauen zu jemanden? Das ist heute anders. Die Leute schauen bei Google oder Facebook nach. Man kann da unglaublich viel machen, das ist für Günter eine Herausforderung. Aber wir erwarten von unseren Händlern nicht, dass sie alles machen - aber sie sollen das, was sie machen, richtig machen. Daher haben wir einen Social-Media-Leitfaden zu TwitterTwitter und Facebook erarbeitet. Dabei ist das individuelle Engagement immer noch gefragt. Und ich behaupte: Noch mehr als früher. Man muss noch schneller sein, noch gewiefter. Noch mehr Systeme kennen. Alles zu Twitter auf CIO.de

Bernhard Winkler: Das Problem für Günter und kleinere Hersteller: Das Ganze ist nicht umsonst. Ich muss die Kompetenz im Unternehmen aufbauen, wie ich Daten vorhalte, wie ich sie analysiere. Wie kann ich das vernünftig finanzieren? Gleichzeitig muss ich mein altes Instrumentarium weiter betreiben, man will ja weiterhin bei Günter vorbeikommen und am Leder riechen.

Thomas Hausch: Genau, am Ende will der Kunde ein Look&Feel erleben und abgeholt werden. Daher haben wir es als Automobilhersteller schwerer als etwa ein Handyproduzent, wir benötigen ein flächendeckendes Verkaufsnetz. Wir brauchen also unsere Händler. Auch aus einem weiteren Grund: Wenn sich ein Kunde beschwert, wie managt man am besten seine Reputation? In solchen Fällen benötigen wir eine gute Verbindung zu dem Händler, von dem das Fahrzeug gekauft wurde oder der in der Nähe des Kunden ist. Hier kommt wieder Günter ins Spiel.

Guido Reinking: Das nächste CRM-System von T-Systems wird Günter heißen. (lacht)

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