Wirkungslos?

10 000 Sanktionen - und Putins Russland führt trotzdem weiter Krieg

27.05.2022
Die Folgen der Sanktionen des Westens gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine sind in dem Riesenreich allgegenwärtig. Doch der gewünschte Effekt, das Blutvergießen zu stoppen, ist nicht in Sicht. Wirken die Strafen nicht?

Hämisch berichten Russlands Staatsmedien über die steigenden Kraftstoffpreise in Deutschland und über explodierende Verbraucherkosten in der EU. Sie freuen sich darüber, dass im Westen alles teurer wird. Es ist der Sound der Kreml-Propaganda, dass die EU und die USA zwar wegen Moskaus Aggression gegen die Ukraine fünf Sanktionspakete erlassen haben, um Russland in die Knie zu zwingen. Aber am Ende schade der Westen selbst seiner Wirtschaft und den Bürgern massiv. Vor allem aber werde das Ziel, Russland in der Ukraine zu stoppen, weit verfehlt, heiß es zufrieden in Moskau.

Trotz schärfster Sanktionen geht der Krieg in der Ukraine unvermindert weiter.
Trotz schärfster Sanktionen geht der Krieg in der Ukraine unvermindert weiter.
Foto: Drop of Light - shutterstock.com

An die 10 000 Sanktionen gebe es inzwischen. Russland sei das Land mit den meisten Sanktionen überhaupt in der Welt, heißt es in einem fast triumphalen Ton. Dass etwa in der Hauptstadt Moskau massenhaft Geschäfte und internationale Handelsketten schließen, große Konzerne wie Siemens Zarenzeit und Sowjetdiktatur mitgemacht haben und nun aber nach 170 Jahren Abschied nehmen, quittieren Politik und viele einfache Russen mit demonstrativer Gelassenheit.

Freude über Schließung der McDonald's-Filialen

Mütter freuen sich über die Schließung der US-Schnellrestaurant-Kette McDonald's, weil sie erwarten, dass ihre Kinder sich nun gesünder ernähren. Eine junge Familie in einem neuen Restaurant am Ukrainski Boulevard in Moskau unterhält sich lachend darüber, dass ihr Glück vor allem darin liege, auf der Datscha Gurken, Tomaten, Kartoffeln anzubauen und Pilze einzulegen. Die Tradition, sich mit Konserven selbst zu versorgen, ist nie ausgestorben. "Was brauchen wir mehr zum Leben? Zum Teufel mit den Sanktionen", sagt Vater Denis. Das Benzin für die Fahrt zur Datscha sei so günstig wie lange nicht.

Wer aber gern shoppen geht, der hat es schwerer. In den Einkaufszentren der schillernden Weltstadt Moskau bietet sich teils ein tristes Bild ob der vielen geschlossenen Läden. Kremlchef Wladimir Putin versuchte erst am Donnerstag wieder, die mögliche Trauer um verlorene Konsumfreuden wegzuwischen. "Manchmal schaust du auf die, die gehen - und denkst vielleicht: Gott sei Dank. Jetzt können wir ihre Nische besetzen", sagte er bei der Plenarsitzung des Eurasischen Wirtschaftsforums vor Staats- und Regierungschefs mehrerer Ex-Sowjetrepubliken. Für Russland sei das Ansporn, schon jetzt sei die Eigenproduktion gestiegen.

Gerade erst parierte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin angesichts des Abschieds von Renault aus der Hauptstadt und kündigte an, in dem Automobilwerk werde die nach der Metropole zu Sowjetzeiten benannte Kultmarke Moskwitsch wiederbelebt. Viele Firmen sind gezwungen, Milliardeninvestitionen abzuschreiben, weil die Geschäfte in Russland kaum noch möglich sind. Vor allem auch die Sanktionen im Bankensektor erschweren die Finanztransaktionen. Die Logistik liegt brach, Lieferketten sind zerstört.

Trumpfkarte Kasachstan

Russlands Machtapparat aber spielt die Folgen der Strafmaßnahmen herunter. "Diejenigen, die Waren der Luxusklasse erwerben wollen, können die weiter bekommen, aber es wird etwas teurer", sagte Putin beim Wirtschaftsforum. Der Flugverkehr ins westliche Ausland ist zwar eingestellt. Aber wer ein iPhone oder einen Mercedes kaufen will, reist eben in Russlands Nachbarland Kasachstan.

Die Ex-Sowjetrepublik in Zentralasien mausert sich zum neuen Hotspot und ist ein Schwergewicht in der von Putin vorangetriebenen Eurasischen Wirtschaftsunion. Firmen verlegen ihre Geschäfte dorthin. Zwar versichert Kasachstan, die Sanktionen der EU und der USA nicht unterlaufen zu wollen. Aber der Westen sieht eine mögliche Umgehung der Strafmaßnahmen mit Sorge. Die Moskauer Boulevardzeitung "Moskowski Komsomolez" etwa berichtet über blühende Geschäfte in Kasachstan auf dem Automarkt, gibt Tipps, wie Käufer in Zeiten des Mangels jetzt an einen Mercedes oder an einen Porsche kommen. "Es gibt immer einen Weg."

Kritische Stimmen wie die des früheren Finanzministers Alexej Kudrin, der heute den Rechnungshof leitet, sind rar. Die Regierung habe keinen Plan, ein Schrumpfen der Wirtschaft um acht bis zehn Prozent in diesem Jahr zu verhindern. "Ich sehe heute gar keine Maßnahmen dagegen", klagte er im Parlament am Mittwoch. Der Umbau der russischen Wirtschaft werde zwei Jahre dauern, bis es Wachstum gebe.

Wirtschaftskrieg als Chance

Putin lächelt solche Bedenken oder mahnenden Worte weg. Er sieht den "Wirtschaftskrieg" des Westens auch als Chance, am Ende als Sieger dazustehen. Die Sanktionen sollten Russland stärken, nicht schwächen. Der Westen verursache mit seiner Politik "wirtschaftlichen Beben" und "Chaos" weltweit, meinte der Präsident.

Mit Blick auf die Gefahr für die Ernährungssicherheit in der Welt verlangt Putin aber etwa auch, die Sanktionen aufzuheben, damit Russland Dünger und Getreide exportieren könne. Im Gegenzug soll auch die Ukraine, ebenfalls ein wichtiger Exporteur, ihren Weizen auf den Weltmarkt verkaufen dürfen. Bisher blockiert die russische Kriegsmarine die Häfen des Landes, weshalb das Getreide nicht zu den Hungernden kommt. Die Ukraine wirft Putin Erpressung vor.

Es sei nicht möglich, Länder mit Verboten und Sanktionen zu bremsen oder zu schwächen, nur weil sie eine eigenständige Politik verfolgten, betonte Putin. "Kein Welt-Gendarm kann diesen natürlichen Prozess aufhalten, keine Kraft reicht dafür aus", sagte er mit Blick auf die USA, denen er seit langem vorwirft, sie wollten die Rohstoffgroßmacht und Europa destabilisieren. "Da sie ja Probleme in ihren eigenen Ländern haben, hoffe ich, dass sie begreifen, dass diese Politik absolut perspektivlos ist." (dpa/ad)

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