Rückblick

2016 - das Jahr der großen Überraschungen

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Digitalisierung verunsichert die Manager

Wechsel und Veränderungen zeichnen sich auch innerhalb von Unternehmen, ja ganzen Branchen ab. Das Zauberwort, das neue Chancen und mehr Geschäft verspricht, aber auch für große Verunsicherung sorgt, heißt Digitalisierung. IT lässt sich nicht mehr auf die Rolle eines Werkzeugs reduzieren, mit dessen Hilfe Abläufe noch ein wenig effizienter und damit kostensparender abgewickelt werden können. Die Effekte greifen viel tiefer. Analytics und künstliche Intelligenz versprechen, wesentlich mehr aus Daten herausholen und damit auch völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können.

Im Zuge des Internet of Things (IoT) und des mittlerweile immer mehr akzeptierten Cloud Computings greift darüber hinaus die Vernetzung aller Beteiligten – Firmen, Partner, Zulieferer, Kunden wie auch von Maschinen und Dingen – weiter um sich. Berechnungen von Accenture zufolge macht die digitale Wirtschaft bereits 22 Prozent der Weltwirtschaft aus, verglichen mit nur 15 Prozent im Jahr 2005 – und der Digitalanteil wird weiter wachsen. In einer Umfrage unter weltweit mehr als 3100 Business- und IT-Entscheidern erwarten 86 Prozent der Befragten in den kommenden drei Jahren Veränderungen, die schneller und tiefgreifender sein werden als je zuvor.

Dieses Disruptionspotenzial sorgt aber auch für Verunsicherung in den deutschen Chefetagen. Einer Bitkom-Umfrage zufolge rechnen fast zwei Drittel von über 500 befragten Unternehmen mit Veränderungen ihres Business-Modells im Zuge der Digitalisierung. Hinsichtlich der eigenen Fortschritte in Sachen digitale Transformation geben sich die Manager selbstkritisch.

Fast sechs von zehn Verantwortlichen sehen ihr Unternehmen eher als Nachzügler. Sieben Prozent glauben sogar, sie hätten den Anschluss verpasst. Insgesamt ergab die Studie, dass etliche Unternehmen schlecht auf den digitalen Wandel vorbereitet sind. Mehr als ein Viertel der Befragten räumte ein, noch gar keine Digitalstrategie zu haben.

Dazu kommt eine wachsende Furcht, kleine agile, rein digital ausgerichtete Startups könnten sich in die Wertschöpfungskette einklinken und so das eigene Geschäftsmodell kippen. Vor allem im Finanzbereich wird derzeit deutlich, welch drastische Veränderungen dieser Trend mit sich bringen könnte. Fintechs und Insurtechs rütteln am Business-Fundament von Banken und Versicherungskonzernen. Die tun sich schwer, über Jahrzehnte hinweg eingeschliffene Prozesse, an denen immer noch viel Geschäft hängt, zu reformieren oder komplett abzuschalten und selbst auf neue digitalisierte Prozesse umzustellen.

BMW, Daimler und VW brauchen Speed

Auch in der Automotive-Branche zeichnen sich massive Umbrüche ab. Die althergebrachten Mobilitätskonzepte erodieren schneller, als sich die Automobilhersteller neu positionieren können. Techniken rund um das vernetzte und autonome Fahren stehen ganz oben auf der Agenda von BMW, Daimler, VW und Co. Doch wie die Digitalisierung des Autofahrens in die Realität umgesetzt werden soll, bleibt ein einziges großes Experimentierfeld.

Kooperationen mit Internet-Konzernen wie AppleApple und GoogleGoogle werden geplant, aber auch schnell wieder verworfen. Die Automobilhersteller fürchten, potenzielle IT-Partner könnten die Herrschaft über die wertvollen Daten gewinnen, die in Zukunft Dreh- und Angelpunkt lukrativer Geschäfte sein werden. Nichts fürchten die Autobauer mehr, als zu bloßen Blechlieferanten degradiert zu werden. Konzerne wie ToyotaToyota beteiligen sich an Newcomern wie Uber. FordFord investierte einen dreistelligen Millionenbetrag in den Softwareanbieter Pivotal, um Zugang zu Softwareentwicklungsmethoden sowie Cloud-Skills zu erhalten. Top-500-Firmenprofil für Ford Top-500-Firmenprofil für Toyota Alles zu Apple auf CIO.de Alles zu Google auf CIO.de

Das Thema Mobilität verändert sich massiv. Darauf müssen sich die Autobauer einstellen. Denn nur Blech verkaufen, wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, um das eigene Geschäft zu sichern.
Das Thema Mobilität verändert sich massiv. Darauf müssen sich die Autobauer einstellen. Denn nur Blech verkaufen, wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, um das eigene Geschäft zu sichern.
Foto: RollingFishays - shutterstock.com

Die deutlichen Verschiebungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Zuge der Digitalisierung rufen verstärkt auch die Politik auf den Plan. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die deutsche Wirtschaft kurz vor der CeBIT zum Handeln in Sachen Digitalisierung aufgefordert: "Wer heute gute Maschinen, wer heute gute Autos herstellen kann, aber nicht in ausreichender Weise den Zugang zum Kunden bekommt, der wird morgen nicht mehr der Produzent oder der Hauptteil der Wertschöpfung sein", mahnte sie. Die CDU-Politikerin sprach von einem Wettlauf zwischen den Softwareanbietern, den großen Internet-Companies und der Industrie. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, müsse sich Deutschland sputen.

Die Bundesregierung kündigte einen milliardenschweren Zehn-Punkte-Plan an, um einen Rückstand beim digitalen Wandel zu verhindern. Zur "Digitalen Strategie 2025" von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gehören unter anderem der Glasfaserausbau sowie der Aufbau einer Digitalagentur. Es gehe darum, "wie wir als Europäer wettbewerbsfähig bleiben in dieser datengetriebenen Ökonomie", betonte Gabriel. Sein Ziel: Europa soll in fünf oder zehn Jahren die weltweit leistungsfähigste Infrastruktur haben.

Millionen Jobs gefährdet

Auch für die Gesellschaft dürfte die Digitalisierung Folgen haben. Für Aufsehen sorgte zu Jahresanfang eine Studie des Weltwirtschaftsforums. Demnach würden insbesondere durch den zunehmenden Einsatz von Robotern und Automatisierung bis 2020 in den 15 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern rund fünf Millionen Jobs wegfallen. Schlüsseltechniken wie Machine Learning, künstliche Intelligenz, Robotik, Nano- und Biotechnik sowie 3D-Druck3D-Druck führten zu gewaltigen Umbrüchen nicht nur der Geschäftsmodelle, sondern auch in den Arbeitsmärkten, hieß es. Angesichts dessen rief US-Vizepräsident Joseph Biden die Regierungen dazu auf, sich auf staatliche Kernaufgaben zu konzentrieren. Alles zu 3D-Druck auf CIO.de

Bildung, Infrastruktur und eine gerechtere Verteilung der Gewinne durch progressive Steuergesetze seien erforderlich, um die Veränderungen gesellschaftlich abzufedern. Einem Bericht der Weltbank zufolge führe die Digitalisierung nicht automatisch zu einer positiven Entwicklung. Immer noch seien Milliarden Menschen offline oder hätten kein Mobiltelefon. Menschen ohne Zugang zu digitaler Technik drohten immer mehr den Anschluss zu verlieren.

Die Auswirkungen der großen Beben auf die globalen IT-Geschäfte hielten sich derweil in Grenzen. Auch wenn beispielsweise Gartner-Analysten im Zuge des Brexit von einer deutlich spürbaren Verunsicherung sprachen, die in den kommenden Monaten anhalten und sich auch auf die Hightech-Ausgaben in ganz Europa auswirken werde, blieb die große Katastrophe aus. So prognostizierten die Gartner-Experten auf ihrem Europa-Symposium ITxpo in Barcelona, dass die ITK-Ausgaben in der Region EMEA in diesem Jahr zwar wenig, aber immerhin um 0,6 Prozent auf rund 1,23 Billionen Dollar anwachsen würden.

Für das kommende Jahr erwarten die Auguren ein Plus von 1,9 Prozent auf dann 1,25 Billionen Dollar. Weltweit rechnen die Gartner-Analysten 2016 mit einem ITK-Marktvolumen von knapp 3,4 Billionen Dollar. Das bedeutet für das laufende Jahr zwar ein leichtes Minus von 0,3 Prozent, doch 2017 sollen die globalen Geschäfte wieder deutlich anziehen – um 2,9 Prozent auf fast 3,5 Billionen Dollar.

Und auch für den deutschen ITK-Markt sieht es alles andere als düster aus. So rechnet der Bitkom für das laufende Jahr mit einem Wachstum in Höhe von 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Erstmals sollen die ITK-Geschäfte hierzulande die Marke von 160 Milliarden Euro knacken. Gerechnet wird mit Einnahmen von 160,5 Milliarden Euro. Auch für das kommende Jahr geht der Bitkom von einem deutlichen Plus aus. 2017 soll der deutsche ITK-Markt um weitere 1,2 Prozent auf dann 162,4 Milliarden Euro zulegen.

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