Netflix-Chef

Alles im Fernsehen wird über das Internet kommen

14.05.2015
Der Video-Dienst Netflix investiert in diesem Jahr drei Milliarden Dollar in eigene Filme und TV-Serien.

Gründer und Chef Reed Hastings sprach mit Andrej Sokolow von der Deutschen Presse-Agentur über Risiken, das Geschäftsmodell und die Kontroverse um den ersten Netflix-Film von Adam Sandler.

Was haben sie in sechs Monaten über deutsche Kunden gelernt?

Reed Hastings: Sie schirmen ihre Kinder gern vor Werbung ab, das ist für sie ein wichtigeres Argument für einen Dienst wie Netflix als für Nutzer in anderen Ländern. Inhalte für Kinder werden entsprechend stark nachgefragt. Bei Erwachsenen ist zum Beispiel "Better Call Saul" populär, wahrscheinlich weil der Vorläufer "Breaking Bad" so erfolgreich war.

In Deutschland laufen aber neue Folgen einer ihrer wichtigsten Serien, "House of Cards", zunächst beim Bezahlsender Sky. Wird das auch bei künftigen Staffeln so sein?

Hastings: Ja, das wird bis zum Ende der Serie so bleiben. Wir konnten uns damals die internationalen Rechte nicht leisten.

Sie sagten vor einiger Zeit, klassisches lineares Fernsehen werde in 15 bis 20 Jahren aussterben. Zugleich machen die Sender weiter gute Geschäfte. Bleiben Sie bei dieser Prognose?

Hastings: Ja, lineares Fernsehen wird im Niedergang sein wie die Festnetz-Telefonie nach der Ausbreitung von Handys. Die heutigen Sender werden sich zu Internet-Netzwerken wandeln. Sport wird ein wichtiger Treiber sein: Die nächste Fußball-WM etwa wird nur über das Internet mit schärferen Ultra-HD-Bildern zu übertragen sein. Auch ein Sender wie das ZDF wird in der Zukunft über das Internet übertragen.

Wird Netflix auch für Sportrechte mitbieten, wenn das so viele Kunden bringt?

Hastings: Nein. Wir werden uns auf Serien und Filme konzentrieren. Sport ist sehr teuer. Aber wir wollen schnell international wachsen. Als wir in Deutschland vor sechs Monaten starteten, hatten wir etwa 15 Millionen Nutzer außerhalb der USA, jetzt haben wir 20 Millionen. Wir sind jetzt in 50 Ländern und wollen in den nächsten 18 Monaten auch in den restlichen 150 verfügbar sein.

Das klingt nach potenziell hohen Kosten für lokalisierte Versionen. Wie wollen Sie entscheiden, wann es mit dem Geldausgeben genug ist?

Hastings: Wir werden einfach experimentieren. Wir stecken das Geld, das wir verdienen, direkt in den internationalen Ausbau.

Sie geben dieses Jahr drei Milliarden Dollar für Serien und Filme aus eigener Produktion aus - und im jüngsten Quartalsbericht hieß es, die Investitionen dafür sollen noch steigen. Werden es kommendes Jahr also noch mehr als drei Milliarden sein?

Hastings: Ja, ganz richtig.

Sind Sie mit ihrem Modell gezwungen, immer mehr Geld in neue Inhalte zu stecken, um die Kunden zu halten? Eine Serie, von der alle Folgen auf einen Schlag verfügbar sind, ist schließlich in wenigen Tagen durchgesehen - und die Zuschauer könnten weiterziehen...

Hastings: Wir behalten unsere Ausgaben im Griff. Und wir fügen regelmäßig neue Inhalte hinzu, so dass das Geschäftsmodell greift. Manchen geht es vielleicht nicht schnell genug - aber in ein paar Jahren werden sich genug Inhalte für alle angesammelt haben.

Wie messen Sie aber, ob sich die Investition in eine Sendung oder Film rechnet? Sie wissen zwar, wie oft eine Sendung angesehen wurde, mit dem Abo-Modell hat Netflix aber keinen klaren Gradmesser für den finanziellen Erfolg einzelner Projekte.

Hastings: Wir müssen schätzen, wie wertvoll eine Sendung für uns ist. Wir schauen etwa darauf, wie viele Leute sie sahen und ob sie auf Interesse in den MedienMedien stieß. Und wir machen viele Nutzerumfragen. Ähnlich ist es aber etwa auch auf Kreuzfahrtschiffen. Kommen die Leute für das Essen? Oder die Musik? Das Gesamtpaket muss stimmen. Top-Firmen der Branche Medien

Und wenn eine teure Serie durchfällt, wissen nur Sie das?

Hastings: Wir machen keine weitere Staffel, dann wissen es alle.

Sie pumpen also Milliarden zu einem Großteil geliehenes Geld in Eigenproduktionen. Wie gut schlafen sie?

Hastings: Wir haben schon viele Serien gestartet und sie gingen bisher alle in die zweite oder dritte Staffel. Wenn wir alles auf eine Karte setzen würden - etwa 500 Millionen Dollar in einen "Titanic"-Film stecken - das könnte eng werden. Aber wir gehen viele kleinere Wetten ein. Wenn überhaupt, sollten wir mehr Risiken wagen und auch mal groß scheitern, weil das bedeuten würde, dass wir die Grenzen austesten.

Mit den drei Milliarden Dollar ist Netflix jetzt auch ein großer Player in der Hollywood-Welt mit ihren Egos und Konflikten. Wie kommen Sie damit zurecht?

Hastings: Man sieht das Geschäft, das vor einem liegt - die Chance, Internet-TV aufzubauen - und man reagiert auf die Umstände, die man vorfindet. Wir können uns nicht aussuchen, ob wir nicht lieber eine Auto-Firma wären. Die verschiedenen Persönlichkeiten machen es interessant und zugleich auch zu einer Herausforderung.

Wie gut vorbereitet waren sie auf die jüngste Welle der Kritik, nachdem mehrere Schauspieler die Dreharbeiten des ersten Films von Adam Sandler für Netflix verließen, weil ihnen die Scherze über Indianer zu weit gingen?

Hastings: Das traf uns unvorbereitet. Als Produzent von Inhalten müssen wir uns Gedanken darüber machen, was akzeptabler Humor ist, oder vertretbarer Umgang mit Sex und Religion, wo liegen die Grenzen.

Wird es jetzt Konsequenzen geben?

Hastings: Nein, wir glauben nach wie vor an künstlerische Freiheit. Aber eines Tages könnte jemand zu uns mit der Idee für einen Film über den Propheten Mohammed kommen, dann hätten wir größere Konsequenzen zu bedenken. Wir haben viele Sendungen im Angebot, die nicht allen gefallen. Wir könnten sagen, wem es nicht gefällt, der muss es sich nicht ansehen - nur so läuft das nicht immer. Wir wollen Künstler aber nicht zensieren und müssen unsere Linie finden.

In Europa will die EU-Kommission dafür sorgen, dass Medieninhalte über Ländergrenzen hinweg ohne sogenanntes Geoblocking verfügbar sind. Sind sie bereit dafür?

Hastings: Wir hätten gern europaweite Lizenzen. Wir werden in eineinhalb Jahren überall in Europa verfügbar sein, das wird uns nicht schaden. Und bei Sendungen, die wir selbst produzieren, halten wir es jetzt schon so. Grundsätzlich eine schwierigere Frage ist, ob Behörden so etwas vorschreiben sollten. Auf jeden Fall wird es auch dann einige Jahre dauern, bis die aktuellen Verträge erneuert werden.

Die EU-Kommission will auch gleiche Rahmenbedingungen für Telekomanbieter und Internetfirmen durchsetzen. Die Netzbetreiber beschweren sich oft, dass Online-Unternehmen in ihrer Infrastruktur Geld verdienen, ohne sich am Aufbau zu beteiligen. Und Netflix gilt als eine der größten Datenschleudern. Was ist Ihre Antwort darauf?

Hastings: Deren Kunden wollen Netflix nutzen, deswegen holen sie sich auch teurere Verträge mit schnellerem Internet. Die Telekomfirmen wollen als gute Kapitalisten diese Erlöse behalten und uns gleichzeitig zur Kasse bitten. Das ergibt keinen Sinn. Richtig ist aus unserer Sicht: Die Telekombetreiber zahlen für das Netz, wir zahlen für die Inhalte - und der Kunde entscheidet, zu welchem Dienst er geht. Das ist Netzneutralität, wenn der Kunde entscheidet.

Zur Person: Reed Hastings (54) gründete Netflix ursprünglich als Online-DVD-Verleih. Inzwischen setzt er voll auf das Streaming von Filmen und Serien über das Internet und prophezeit gern das Ende traditionellen linearen Fernsehens.

Zur Startseite