Digitalisierung in der Logistik

CIO Sontheimer steuert DB Schenker auf Digitalkurs

26.07.2017 von Wolfgang Herrmann
Markus Sontheimer, CIO und CDO in Personalunion, trimmt den Logistikdienstleister der Deutschen Bahn auf Digitalisierung.

"Es geht nicht um Evolution, sondern um Revolution", sagt Sontheimer, wenn er über die digitale Transformation von DB Schenker spricht. Als er im Dezember 2015 von der Deutschen Bank zu dem Logistiker wechselte, wurde ihm schnell klar, dass es hier Nachholbedarf gibt. Der gelernte Wirtschaftsingenieur hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, und so kam es, dass ihn der Aufsichtsrat ein halbes Jahr später neben seiner CIO-Rolle auch noch zum Chief Digital Officer (CDO) ernannte. Jetzt musste Sontheimer liefern, und er verlor keine Zeit.

Eine eigene "Digital-Einheit" soll dem Logistikdienstleister DB Schenker neue Geschäftsfelder erschließen.
Foto: DB Schenker

Im vergangenen Jahr stellte er eine "Digital-Einheit" auf die Beine, in der heute rund 150 Mitarbeiter beschäftigt sind. Unter seiner Verantwortung entstand eine Digitalisierungsstrategie, die dem Logistikunternehmen mit mehr als 70.000 Mitarbeitern auch neue, digitale Geschäftsbereiche erschließen soll.

"Durch die Digitalisierung der Logistik entstehen bis 2030 neue digitale Geschäftsmodelle", erläutert der CIO. Für DB Schenker ergäben sich dabei zunächst Chancen im digitalisierten Speditionsgeschäft als digitaler Forwarder. Daneben wolle man auch mit der Online-Frachtplattform Drive4Schenker das eigene Geschäftsmodell im Landverkehr transformieren und digitalisieren. Die nächsten Schritte auf der Roadmap drehen sich um datengetriebene Geschäftsmodelle mit den drei Säulen "Virtual SCM", "Logistics Eco-System" und autonomes Transport-Management

Der digitale Forwarder steht laut Sontheimer für eine vollständig digitale Transaktionsebene, auf der Kunden Transportaufträge abwickeln können. Konzipiert sei sie zunächst für einfache Standardaufträge. Schnelligkeit und niedrige Kosten ständen im Vordergrund.

Online-Frachtplattform für Transportleistungen

Einen Schritt weiter geht das Konzept der Online-Frachtplattform. DB Schenker agiert hier zusätzlich als Vermittler ohne eigene Transportverantwortung. Die rund 30.000 Carrier, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet, können über die Plattform Drive4Schenker auf Aufträge zugreifen oder im Spotpricing bieten.

Die Kunden erhalten dabei in der Regel mehrere Lösungsangebote für ihr Transportanliegen. Gedacht ist die Plattform vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, die sich keine eigene Digitalplattform leisten können oder wollen. DB Schenker hat dafür das Rad nicht neu erfunden: Drive4Schenker basiert auf Technik der US-Online Frachtbörse uShip, in die DB Schenker im Rahmen einer strategischen Beteiligung im Februar 25 Millionen US-Dollar investiert hat.

Datengetriebene Geschäftsmodelle

Geht es um datengetriebene Geschäftsmodelle, sieht der CIO sein Unternehmen auch als Berater in Sachen Logistik und Supply Chain. Im Zentrum stehe die Analyse großer Datenmengen, um etwa im Kundenauftrag deren Lieferketten zu optimieren. Entscheidend ist aus seiner Sicht der Aufbau eines Logistik-Ökosystems. Er will dazu eine neue Plattform mit offenen Schnittstellen etablieren, die sowohl Kunden und Partnern als auch Transportunternehmen offensteht.

CIO Markus Sontheimer will ein Logistik-Ökosystem auf die Beine stellen: "Es geht darum, Player über verschiedene Branchen hinweg zu vernetzen."
Foto: DB Schenker

Dabei geht es auch um die Kommerzialisierung von Logistikdaten. Über Schnittstellen sollen sich Services von Drittanbietern andocken lassen, beispielsweise im Bereich "Tracking and Tracing". Sontheimer: "Es geht darum, Player über verschiedene Branchen hinweg zu vernetzen." Dass DB Schenker nicht der einzige große Logistikanbieter mit solchen Ambitionen ist, betrachtet der CIO als Ansporn. Erste Services sollen ab 2018 über die Plattform angeboten werden.

Noch etwas weiter am Horizont zeichnet sich die Vision vom autonomen Transport-Management ab. Gemeint sind damit zum Beispiel autonome LKWs, die als Bestandteil von umfassenden Transportmanagement-Modellen selbständig Waren abholen und zustellen.

CIO versus CDO - ein Spagat?

Wie schafft der Manager den Spagat zwischen klassischer CIO- und visionärer CDO-Rolle? Die Antwort liegt zum Teil in den organisatorischen Zuständigkeiten. Neben den zehn regionalen oder produktbezogenen CIOs berichten auch die drei Digitalisierungsverantwortlichen direkt an Sontheimer. Für die Koordinierung von IT- und Digitalisierungsaufgaben gibt es zwei Gremien: einerseits das globale IT Executive Commitee, andererseits das Digitalisierungs- und Innovations-Council. Letzteres tagt alle zwei Wochen und bereitet etwa Entscheidungen für den Vorstand vor. Sontheimer: "Hier wird die Agenda für die Digitalisierung gesetzt." Neben ihm selbst sitzt unter anderem die Strategiechefin sowie der Freight-Vorstand Ewald Kaiser im Council.

Sontheimer sieht CIO- und CDO-Ziele nicht als Gegenpole. Für ihn steht die Verknüpfung beider Rollen im Mittelpunkt: "Der CIO wird traditionell ja eher als 'governmental', sprich als Verwalter der IT und Zulieferer für andere Abteilungen wahrgenommen." Ganz anders der CDO: Er stoße "disruptive Transformationsprozesse" an und bewirke am Ende auch tiefgreifende Veränderungen und den Aufbau notwendiger Capabilities in den Bereichen Architektur und Infrastruktur sowie Machine Learnig und Big Data Analysis. Erst das Zusammenwirken beider Rollenmodelle bringe Unternehmen in Sachen Digitalisierung wirklich voran.

DB Schenker: Innovationen und Startup-Kultur

Wie sich DB Schenker schrittweise transformiert, zeigt auch der Umgang mit Innovationen. Das Team der Digitalisierungseinheit durchforstet den Markt systematisch nach Startups aus dem Logistiksektor. Rund 400 Kandidaten haben es bereits in die interne Datenbank geschafft. "Wir fragen dabei immer: Können diese Startups uns weiterhelfen?", erläutert Sontheimer.

Daneben gibt es eine Art "Schenker Lab", das innovative Lösungen und Geschäftsmodelle entwickeln soll. Der Logistikdienstleister kooperiert dazu mit dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund.

Auch in Sachen Blockchain hat Sontheimer erste Schritte unternommen. Die Technologie habe das Potenzial, das Geschäft massiv zu verändern, so seine Einschätzung. DB Schenker hat deshalb eine unternehmensweite Arbeitsgruppe eingerichtet, die Anwendungsszenarien sondieren soll.

Ein erstes konkretes Ergebnis dreht sich um das Thema Security in der Supply Chain. Mithilfe einer Blockchain ließen sich Produktfälschungen verhindern, wie sie etwa bei teuren australischen Weinen in Asien vorkämen, berichtet der CIO. Vorstellen kann sich der CIO auch die Zollabwicklung via Blockchain, selbst wenn der Weg dahin wegen der vielen beteiligten Behörden noch weit sei. Das Thema E-Contracting auf Basis einer Blockchain sieht er in der Logistikbranche frühestens in fünf Jahren.

Outsourcing ist der falsche Weg

Dass der digitale Wandel mit konsequentem Outsourcing schneller vorankommt, glaubt der CIO nicht: "Das totale Outsourcing ergibt keinen Sinn. Sie müssen heute auch Technologie können." DB Schenker sei gezwungen, sich zu einem technologiegetriebenen Unternehmen weiterzuentwickeln. Er denke deshalb eher an Insourcing als an das Auslagern von Key-IT-Capabilities.

DB-Schenker-CIO Sontheimer: "Das totale Outsourcing ergibt keinen Sinn. Sie müssen heute auch Technologie können."
Foto: DB Schenker

Auch zum umstrittenen Begriff Bimodal IT hat er eine klare Meinung: "Wir benutzen dieses Wort nicht." Grundsätzlich sei das Thema aber durchaus relevant. In der Praxis werde es immer Bereiche geben, in denen es auf Schnelligkeit und Agilität, beispielsweise mithilfe von Microservices, ankomme. Genauso wichtig sei aber die hergebrachte robuste und stabile IT. Die entscheidende Frage laute für ihn: " Welches sind die wettbewerbsdifferenzierenden Elemente der IT? Dort ist Agilität gefragt." Der Rest sei mit einer klassischen IT und regelmäßigen Release-Zyklen besser versorgt.

Change Management bei DB Schenker

Erfolgsentscheidend für die digitale Transformation ist auch bei DB Schenker ein funktionierendes Change Management. In diesem Kontext spielt die Initiative Freight 4.0, die Frachtvorstand Kaiser und Sontheimer auf den Weg gebracht haben, eine Schlüsselrolle. Sie soll die Digitalisierung des Geschäfts intern steuern. Dafür hat der Logistikkonzern integrierte Teams aus IT-, Digital- und Linienverantwortlichen aufgestellt.

Change Management: Für die Initiative "Freight 4.0" hat DB Schenker integrierte Teams aus IT-, Digital- und Linienverantwortlichen aufgestellt.
Foto: DB Schenker

Mit "Primus" hat DB Schenker zudem ein Strategie- und Transformationsprogramm aufgesetzt, das sich auf die drei Elemente Wachstum, Effizienz und Kultur konzentriert. Mit dessen Hilfe will das Unternehmen die führende Position in allen Segmenten der Logistikindustrie einnehmen.

Knackpunkt Talent Management

Die hohen Ansprüche des Managements erfordern auch andere Qualifikationen in der Belegschaft. Sontheimer: "Sie brauchen plötzlich Skills, die Sie gar nicht haben." Zwar haben auch andere Großunternehmen mit digitalen Ambitionen dieses Problem, doch der CIO sieht für "seine Branche" durchaus besondere Herausforderungen. Die entscheidende Frage sei für ihn: "Wie kriegt man die Millennials zu einem Speditionsunternehmen?"

DB Schenker hat dazu eine Reihe von Initiativen angestoßen. Beispielsweise gibt es im Unternehmen mittlerweile eine "Online Academy" und ein globales Talent-Management-Tool, in dem Mitarbeiter ihre Fähigkeiten und Kenntnisse hinterlegen können. Auch den Online-Recruiting-Prozess hat der Konzern modernisiert.

Lessons learned

Auf dem Weg zum digitalen Logistikdienstleister hat DB Schenker die ersten Schritte getan. Zu den wichtigste Erkenntnissen aus den bisherigen Initiativen gehört für Sontheimer die herausragende Bedeutung des Themas Analytics. "Eigene Daten zu sammeln und nutzbar zu machen, ist ebenso schwierig wie erfolgskritisch", resümiert der CIO. Ihn habe das immense Potenzial überrascht, das sich mit Advanced und Predictive Analytics eröffne.

So ließen sich im Sinne einer "Preisintelligenz" beispielsweise exakte Preisvorhersagen für Logistikdienste generieren. Die Standortplanung im Transportgewerbe könnten Unternehmen mithilfe von Datenanalysen ebenso optimieren wie die eigene Supply Chain und die Lieferketten von Kunden. Auch Prognosen für den Ersatzteilbedarf in Kundenunternehmen böten einen echten und klar erkennbaren Nutzen. Insbesondere die Fachabteilungen hätten die Chancen erkannt und forderten von der IT immer mehr Systeme in immer kürzerer Zeit, berichtet Sontheimer: "Das Business reißt uns solche Lösungen aus den Händen."