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Barbershop-Boom bringt Barbierpfosten-Blüte

09.09.2020
Ist das da eine Zuckerstange an der Hausfassade? Barbierpfosten - auch Barber Poles genannt - erobern zunehmend das Stadtbild. Die Geschichte der rot-weiß gestreiften Objekte ist blutig.

Manche denken, es sei eine Zuckerstange oder ein Windspiel. An immer mehr Friseur-Fassaden hängen Lampen mit diagonalen roten und weißen Streifen: sogenannte Barbierpfosten. Seit ein paar Jahren breiten sie sich im Stadtbild aus. Die Barber Poles genannten Stangen werden auch in Deutschland zum Erkennungszeichen einer Branche - so ähnlich wie bislang nur das Posthorn auf gelbem Grund oder das rote Apotheken-A und das grüne Pharmazie-Kreuz.

Barbierpfosten tauchen in immer mehr Innenstädten auf.
Barbierpfosten tauchen in immer mehr Innenstädten auf.
Foto: CURAphotography - shutterstock.com

Bekannt sind die Pfosten für die "Barber-Pole-Illusion", eine optische Täuschung. Das Gehirn nimmt die Drehung des Zylindergehäuses mit den schraubenförmigen Streifen nicht als Horizontalbewegung wahr, sondern, je nach Rotation, als bewegten sich die Streifen rauf oder runter. Tausende Barbierpfosten sind in den letzten Jahren bundesweit aufgetaucht. Denn: Barbershops boomen.

In der Friseurbranche führt die Entwicklung weg vom Unisex-Salon hin zum genderspezifischen. Jahrzehntelang gingen Frauen und Männer in Deutschland zum selben Friseur. Jetzt haben Männer wieder - wie ganz früher - ihre eigenen Haarschneide- und Barttrimmer-Salons. Kerle sind eine eigene Klientel und nicht mehr der klägliche Kundenrest, den Coiffeure zwischen Dauerwelle und Farbe für Frauen reinschieben.

Auf etwa 1200 schätzt der Barbershop-Experte und Großhändler Micha Birkhofer die Zahl der reinen Barber-Shops in der Bundesrepublik. Vor fünf Jahren sollen es demnach erst etwa 250 gewesen sein.

Wenn man die 10-Euro-Billigläden dazuzähle, gehe er sogar von bis zu 2500 Barber-Läden in Deutschland aus, sagt Birkhofer. Der Mann von der Firma 1o1Barbers in Waiblingen bei Stuttgart hat schon Wettbewerbe wie die German oder European Barber Awards veranstaltet.

Retrowelle der Männlichkeit

Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks, sieht eine "Retrowelle der Männlichkeit". Die Herren von heute legten viel mehr Selbstoptimierungswünsche an den Tag als frühere Generationen, meint er. Barbershops seien das wohl sichtbarste Zeichen dafür. Manche dieser Läden böten auch andere "Männersachen" an wie Whisky- oder Gin-Verkostung, Zigarren oder sie seien nebenbei noch Maßhemden-Manufaktur. Viele Barbershops sind auch türkisch oder arabisch geprägt.

Auch wenn die Hipster-Welle und der Vollbart-Hype wieder abebbten, bleibe der männliche Wille zum Gutaussehen ein Langzeit-Trend, sagt Müller in Köln. Das sehe man an den spezialisierten Hairstylisten und den steigenden Absatzzahlen für Herrenkosmetik.

"Ehrliche Pflege für echte Kerle" verspricht zum Beispiel die Marke "Butcher's Son" (deutsch also: Metzgerssohn) aus Egelsbach bei Frankfurt am Main. Die Körper-, Gesichts- und Bartpflege-Produkte sind mit Streifen in den Farben Weiß, Rot und Blau versehen.

"Die Barber-Farben haben nichts mit den Stars and Stripes der USA-Flagge zu tun", betont Jörg Müller vom Friseurhandwerksverband, auch wenn die Barber-Pole vor allem in den Vereinigten Staaten ein allgemeines Erkennungszeichen für Friseure sei.

Blutige Geschichte

Die Geschichte der Barbierpfosten beginnt jedoch in der Alten Welt, in Europa, und soll bis ins Mittelalter zurückreichen. Die Erklärungen und Legenden sind vielfältig, wenn man Fachliteratur, Friseure oder Verbände fragt. Es ist eine blutige Geschichte.

Früher bot ein Barber neben dem Haareschneiden und der Rasur auch andere Dienstleistungen an, darunter kleine chirurgische Eingriffe. Friseure vollzogen beispielsweise einen Aderlass oder führten eine sogenannte Blutreinigung durch. Sie zogen Zähne oder legten Verbände an. Neben den Barbieren existierte auch der Beruf der Bader, die fahrende Chirurgen und wandernde Heiler waren.

Jedenfalls sollen diese medizinischen Handwerker ihre Verbände zum Trocknen an Pfosten befestigt haben. Da sich der Stoff im Wind um die Pflöcke wickelte, gilt dies als Erklärung der roten und weißen Streifen beim Barbierpfosten. Es gibt auch die Erklärung, dass Menschen sich beim Aderlass am Pfosten festhielten, um die Adern sichtbar hervortreten zu lassen. Das wäre eine Erklärung für den zusätzlichen blauen Streifen. Eine andere Interpretation ist, dass Rot das arterielle Blut, Blau das venöse Blut und Weiß den noch sauberen Verband symbolisiert. (dpa/ad)

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