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Deutsche Bahn

CIO Bernd Rattey ordnet die Bahn-IT neu

Jens Dose ist Editor in Chief von CIO. Seine Kernthemen drehen sich rund um CIOs, ihre IT-Strategien und Digitalisierungsprojekte.
IT-Chef Rattey will weg von schwerfälligen Governance-Prozessen und Silodenken. Er setzt auf Doppelspitzen, vom Business getriebene Projekte und weniger zentrale Vorgaben.
"Eine klassische IT-Strategie habe ich nicht," sagt Rattey, Group CIO der Deutschen Bahn.
"Eine klassische IT-Strategie habe ich nicht," sagt Rattey, Group CIO der Deutschen Bahn.
Foto: Oliver Lang, Deutsche Bahn AG

Bernd RatteyBernd Rattey ist seit 2021 Group CIO und CDO der Deutschen BahnDeutschen Bahn. Davor leitete er unter anderem die IT der DB Fernverkehr AG. "Ich komme also von der anderen Seite des Teiches und hatte fünf Jahre Gelegenheit, die Bahn aus einem der Geschäftsfelder heraus kennenzulernen," sagt der Manager. Der Konzern funktioniert in seinen Augen wie ein föderales System. Die Gruppe setze sich aus Geschäftseinheiten mit eigenem Gestaltungsanspruch zusammen. Top-500-Firmenprofil für Deutsche Bahn AG Profil von Bernd Rattey im CIO-Netzwerk

Zentralisierung ist keine Lösung

"Bei der Bahn arbeiten schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Menschen, die ihre Arbeitszeit mit digitalen Themen verbringen," so Rattey. Dazu zählen etwa Softwareentwicklung und Demand-IT, aber auch Mitarbeitende in den Fachbereichen, die sich überlegen, wie Prozesse aussehen und welche Produkte digital angeboten werden sollen. "Dort wächst die Business-IT, die man auch gerne Schatten-ITSchatten-IT nennt, immer weiter," beobachtet der CIO. Alles zu Schatten-IT auf CIO.de

Auf der Demand-IT-Seite gibt es laut Rattey drei Ebenen. Oben ist die Corporate-IT angesiedelt, für die Rattey verantwortlich zeichnet. Darunter liegen die Geschäftsfelder, die wiederum eigene Business-Units für IT unterhalten.

"Diese dritte Ebene wird wachsen, also kann die organisatorische Lösung bei der Bahn nicht sein, alle digitalen Vorhaben zu zentralisieren," urteilt der IT-Chef. Da die Geschäftsprozesse eng mit IT verzahnt seien, sei die Wirksamkeit der digitalen Lösungen in den Business-Bereichen höher.

Die AG gibt den Rahmen vor

In der Vergangenheit hat die Group-IT über Richtlinien und Weisungen den Geschäftsbereichen vorgegeben, was sie tun sollen. Das wollte er ändern. "Ich habe aber in meiner Zeit bei DB Fernverkehr selbst gesehen, dass das nicht immer wirksam war. Diese Sicht habe ich in meiner neuen Rolle nicht abgelegt," so Rattey.

"Die CIOs der Geschäftsfelder haben die Verantwortung für die IT in ihrem Business, die AG gibt den Rahmen vor," gibt er die neue Marschrichtung vor. In der Group-IT werden künftig nur die Themen bearbeitet, die bereichsübergreifend besser funktionieren als in Einzelprojekten der Geschäftsfelder.

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Durch das föderale System schaffte die Bahn in der Vergangenheit viele dezentrale IT-Inseln. So gibt es etwa verschiedene Systeme für Personalplanung in den Geschäftsbereichen. Rattey: "Ich glaube nicht, dass wir auf eine zentrale Lösung wechseln werden, weil die Geschäftsmodelle, Anforderungen und auch die Kultur zu unterschiedlich sind."

Was der CIO jedoch vor die Klammer ziehen will, sind unter anderem technische Plattformen. Die Bahn habe etwa beim Thema Data Lake schon vor einigen Jahren gehandelt und entwickle auf dieser Basis IoT- und KI-Anwendungen.

Bahnstrategie ist IT-Strategie

"Eine klassische IT-Strategie habe ich nicht," sagt Rattey. Das bedeute jedoch nicht, dass die IT-Kolleginnen und -Kollegen arbeiten, wie sie wollen. Maßgeblich für die IT der Bahn sei die "Starke-Schiene"-Strategie, die auch über den Tellerrand der Bahn hinaus auf den gesamten Sektor Eisenbahn in Deutschland blickt.

Ziel dieser Strategie ist, das Verkehrsmittel attraktiver zu machen und Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Dazu zählt etwa, Strecken auszubauen, mehr Güter auf der Schiene zu transportieren oder den Fernverkehr zwischen Metropolen enger zu takten.

"Nichts davon ist ohne IT umzusetzen. IT spielt also eine signifikante Rolle, um das übergeordnete Ziel zu erreichen. Deshalb ist genau das unsere IT-Strategie", argumentiert Rattey. Die "Starke Schiene" definiere die Aufgaben und das Portfolio der gesamten Bahn-IT.

"Das IT-Portfolio für die nächsten Jahre und die IT-Architektur haben für mich den Platz eingenommen, den früher die IT-Strategie hatte." Diese Sicht positioniere die IT nicht außerhalb der Organisation, sondern gebe ihr eine zentrale Bedeutung im Unternehmen.

IT als fünfte Ressource

Laut Rattey galt es bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), darunter Regio, Cargo oder Fernverkehr, vier Ressourcen zu steuern: Die Züge, die befahrenen Trassen, das Personal in den Zügen und die Werke für die Instandhaltung: "Diesen Produktionskreislauf muss ein EVU steuern und gestalten."

Mit der IT sei nun eine fünfte Ressource hinzugekommen, denn der Kreislauf funktioniere nicht mehr ohne sie. In der IT geht es für ihn nicht mehr um klassische Verwaltungsaufgaben; sie sei vielmehr Teil des Produktionssystems und sorge dafür, dass die Züge fahren.

Im föderalen System der Bahn-IT können jetzt die einzelnen Geschäftsfelder bestimmte Aspekte selbst gestalten. "Es ist nicht meine Aufgabe als Konzern-CIO, ihnen dies in allen Details vorzugeben. Dennoch gibt es Themen, die wir nur übergreifend machen können," so der CIO. So werden beispielsweise die Trassen von der DB NetzDB Netz verantwortet, die Fahrzeuge von den Transporteuren. Top-500-Firmenprofil für DB Netz

Weil viele Betriebsprozesse aber über mehrere Unternehmen hinweg laufen, muss auch die IT übergreifend funktionieren. Rattey: "Es ist unsere Aufgabe, diese Dinge vor die Klammer auf die Gruppenebene zu ziehen. Damit stellen wir sicher, dass solche Verbundprozesse übergreifend funktionieren."

Die Bahn-IT nutzt etwa ein großes SAP R/3-System in der Instandhaltung. Diese Lösung wird übergreifend gesteuert, inklusive der Logistik, um die Teile zu besorgen. "Nur über die Gesamtbetrachtung können wir hier einen Nutzen erzeugen," urteilt der IT-Chef.

Herausforderung Pünktlichkeit

Ein weiteres Beispiel für übergreifende IT dreht sich um das leidige Thema Pünktlichkeit. "Ein großer Treiber für Pünktlichkeit sind Bauarbeiten," sagt Rattey. Baustellen etwa werden von der DB Netz gesteuert. Deren Auswirkungen erlebt der Fahrgast aber mit Transportunternehmen wie DB RegioDB Regio dem Fernverkehr oder einem externen EVU. "Um Verspätungen zu vermeiden, müssen hier Daten übergreifend fließen," betont der CIO. Top-500-Firmenprofil für DB Regio

Einen Einsatzplan zu erstellen, dauert Wochen. Wird nun eine Baustelle zu kurzfristig angekündigt, greifen die Prozesse nicht mehr. Dann muss ein Ersatzfahrplan erstellt werden, das Risiko für Unpünktlichkeit steigt.

Darum misst die Bahn Pünktlichkeit an vielen verschiedenen Stellen. Messpunkte sind etwa die Ankunft am Bahnsteig, das Verlassen des Werks oder die Fahrtdauer bis zum Einsatz. Diese Daten betreffen mehrere Geschäftsfelder.

Das Team um Rattey hat dazu ein intelligentes System zum Datenaustausch entwickelt: Den "Verbund-Ereignisbroker". Alle Beteiligten können über Mobilgeräte auf die Informationen zugreifen und sehen, was sie tun können, um den Prozess zu beeinflussen.

Das Management nutzt die Daten, um strukturelle Schwachstellen ausfindig zu machen. Das können etwa zu wenig Gleise oder ein ungünstig aufgebauter Fahrplan sein.

Im "Systemverbund Bahn" sind alle Akteure gebündelt, die notwendig sind, um diesen Produktionskreislauf zu bedienen. Das schließt verschiedene Geschäftsbereiche und auch Transporteure ein, die nicht zur Deutschen Bahn gehören.

Vier Hebel für effizientere IT

"Vor einigen Jahren war die oberste Ebene der Bahn-IT eigentlich eine Governance-Organisation, die versucht hat, mit Anweisungen und Richtlinien Dinge zu beschreiben" berichtet Rattey. "Wenn diese zu kleinteilig sind und überhandnehmen, halten sich nicht alle daran."

Um dem entgegenzuwirken, nutzt Rattey vier Hebel. Der erste ist die Geschäftsstrategie, wie oben beschrieben.

Der zweite Hebel ist die Governance, die der CIO schlanker gestaltet: "Wir setzten auf wenige Regeln, die wir gemeinsam leben und konsequent durchsetzen." Das zeigte sich, als im Dezember 2021 die Log4j-Schwachstelle bekannt wurde. "Da bei nur einer Lücke der gesamte Verbund gefährdet wäre, war es meine Aufgabe, sicherzustellen, dass alle Geschäftsbereiche schnell handeln," erinnert sich Rattey.

Also gab er die Order heraus: wer nicht innerhalb von 48 Stunden alle "internetzugewandten" Systeme patcht, muss offline gehen. "Das haben wir mit den CIOs und CISOs der Geschäftsfelder professionell durchgesteuert und es hat auch keinen Widerspruch von einem Konzernvorstand gegeben. Alle haben mitgezogen, da bin ich schon etwas stolz drauf," so der IT-Chef.

SAP S/4HANA - Prozesse statt Technik

Der dritte Hebel liegt in der Gestaltung und Umsetzung. Die IT soll gemeinsam mit dem Business Dinge verändern. Dazu zählt der erwähnte Verbund Ereignisbroker oder die AI Factory. (Lesen Sie dazu auch "Die Deutsche Bahn löst Probleme mit KI")

Das größte Thema ist für Rattey jedoch der Wechsel zu SAP S4/HANA: "Am Anfang wurde das Projekt eher technisch gesehen, aber für mich ist das Business-Transformation." Es ging für ihn nicht nur um einen Release-Wechsel, sondern darum, Prozesse zu verändern und konzernübergreifend zu gestalten.

Dieses Vorhaben stemmte das IT-Team in drei Blöcken: Der erste umfasst Finanzen, Beschaffung und Controlling. Der zweite ist die Fahrzeuginstandhaltung. Der dritte Block zielt darauf, technische Anlagen wie Weichen und Stellwerke zu verwalten. Um diese Prozesse zu verändern, muss die Bahn in allen Geschäftsfeldern analysieren, welche Abläufe sich standardisieren lassen und wie sich dies mit einem SAP-Produkt lösen lässt.

Darum haben solche Projekte bei der Bahn stets eine Doppelspitze. Zum einen gibt es eine Person mit IT-Hintergrund für die technische Projektleitung. Zum anderen ist ein Mitarbeiter für die fachliche Projektleitung als Business Owner gesetzt, der die Sprache des Business spricht. Diese Person soll verstehen, wie Geschäftsprozesse funktionieren und darüber hinaus Durchsetzungskraft mitbringen.

"Es geht darum, gemeinsam etwas zu gestalten, statt gegeneinander zu arbeiten," kommentiert der CIO das SAP-Projekt. Entweder müsse der Prozess an das IT-System angepasst werden oder andersherum. "Man muss immer beides betrachten und um die beste Lösung ringen. Das bilden wir mit der Doppelspitze ab," so Rattey.

Pitchen um Budget

Um übergreifende Projekte zu finanzieren, hat der IT-Chef auch die Verteilung von Finanzmitteln verändert. "In der frühen Phase der Budgetgestaltung hat die Vorstandsebene im letzten Jahr entschieden, einen Geldbetrag zentral zu reservieren, statt top-down je Sparte Ressourcen zu allokieren," berichtet Rattey.

Für diesen dreistelligen Millionenbetrag wurde ein Pitch-Prozess ins Leben gerufen. Dabei kann sich jedes Geschäftsfeld mit Projekten bewerben, die auf mehr Pünktlichkeit für den Systemverbund Bahn einzahlen. Die vielversprechendsten Vorschläge werden in das Portfolio aufgenommen.

IT als "Go-To-Organisation"

Der vierte Hebel beschäftigt sich mit IT-Services. Darunter fallen etwa die Bürokommunikation mittels Microsoft 365 oder das Cyberabwehrzentrum. Rattey: "Diese Dienste können wir zentral besser und professioneller bereitstellen. Zudem ist es bezüglich der Kosten und benötigten Ressourcen effizienter."

Die Geschäftsbereiche sind laut dem CIO jedoch nicht verpflichtet diese übergreifenden Services zu nutzen - mit Ausnahme der Cybersecurity und der oben beschriebenen Lösungen für den Verbund. Dieser Freiraum steigere die Akzeptanz. "Es ist meine Aufgabe etwas anzubieten, das die Sparten gerne nutzen, anstatt etwas aufzuzwingen" so Rattey.

"Wir wollen, dass die Geschäftseinheiten von sich aus zur Konzern-IT kommen, weil sie glauben, dass wir etwas können, was sie alleine mit ihren Kapazitäten so nicht schaffen," so der CIO. Dieses Ziel wurde unter anderem durch die schlankere Governance erreicht. Die IT sei kein Verhinderer mehr, der zahllose Richtlinien vorgibt, sagt Rattey. Stattdessen werde sie als Enabler wahrgenommen. Zudem helfe der Pitch-Prozess um IT-Budgets dabei, Vertrauen in den Geschäftsfeldern aufzubauen, dass IT tatsächlich Business-Probleme löst.

Im CIO- und CDO-Board will Rattey ebenfalls Abläufe verändern. Er ordnet die Mitglieder des Gremiums nach Themenblöcken wie Architektur, Portfolio oder SecuritySecurity. Jeder Block ist mit einer Doppelspitze aus dem Geschäftsbereichs-CIO und jemandem aus Ratteys zentralem Team besetzt. "Ich erwarte, dass die beiden als Team agieren, sodass IT und Business an einem Strang ziehen, statt gegenseitig Bedenken zu äußern," sagt der IT-Chef. Alles zu Security auf CIO.de

Am Ende geschehe DigitalisierungDigitalisierung aber in der Fläche, resümiert der CIO: "Wir müssen als IT im Grunde Strukturen aufbauen, die unser Personal und unsere Kunden unterstützen. Und wir müssen ihnen eine Stimme geben, um zu erfahren, ob wir dabei Erfolg haben." Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

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