CIO-Wette im Reality-Check

Das Ende der relationalen Datenbank

Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Marco Lenck, CIO Rhein Chemie Rheinau, DSAG-Vorstand Technologie: "Der Tenor im Kollegenkreis ist derzeit kritisch-abwartend. Schließlich gibt es zurzeit noch keine konkreten Preismodelle für ERP auf Hana."
Marco Lenck, CIO Rhein Chemie Rheinau, DSAG-Vorstand Technologie: "Der Tenor im Kollegenkreis ist derzeit kritisch-abwartend. Schließlich gibt es zurzeit noch keine konkreten Preismodelle für ERP auf Hana."
Foto: Rhein Chemie Rheinau

Die Aussage, dass klassische relationale Datenbanken zugunsten anderer Modelle signifikant an Boden verlieren werden, ist sicher richtig, bestätigt Stefan Edlich, Professor an der Beuth-Hochschule für Technik in Berlin. Der Experte für NoSQL-Datenbanken bezeichnet die Wette des SAP-CIOs als "eine ziemlich clevere Marketing-Aussage, die sehr viele Körnchen Wahrheit beinhaltet". In verschiedenen Bereichen der IT könne man derzeit sehen, wie das Universum explodiere und die Vielfalt zunehme. "Dabei verschwinden aber keine Galaxien, so wie auch Cobol, Fortran oder die Mainframes nicht ausgestorben sind", argumentiert Edlich.

Die Herausforderungen für Unternehmen liegen seiner Einschätzung nach im Wesentlichen in zwei Bereichen: Zum einen in der Skalierbarkeit (Elastizität) der Datenbanksysteme bei großen Datenmengen, zum anderen in der Bewertung der verschiedenen Modellansätze neuer Datenbanken. "Um diese Erfahrung aufzubauen, müssen Unternehmen ein wenig Zeit aufbringen und sich aus bestehenden Denkmustern und Knebelverträgen lösen", fordert der Wissenschaftler.

Seine Prognose für die mittelfristige Zukunft: "In fünf Jahren wird die Datenbanklandschaft noch unüberschaubarer sein, denn die Vielfalt wird zunehmen." Dabei, so Edlich, werden immer öfter mehrere Datenbanken eingesetzt, die ihre jeweiligen Spezialaufgaben hervorragend erfüllen - "das Zeitalter der ‚Polyglot Persistence bricht an." Ein Symbol dafür, dass die relationalen Gletscher tauen, sind NoSQL-Datenbanken, die der Professor als eine Klasse von neuartigen und freien Datenbanksystemen definiert, die sich durch horizontale Skalierbarkeit, größere Schemafreiheit, einfachere Replikation und schwächere Konsistenzanforderungen auszeichnet. "NoSQL-Systeme sind zwar Konkurrenzsysteme, aber dadurch auch wieder eine perfekte Ergänzung zu relationalen Datenbanken", erläutert Edlich. Als Beispiel verweist er auf Amazon-CTO Werner Vogels, der berichtet hat, dass 70 bis 90 Prozent seiner Daten perfekt für NoSQL-Systeme und 10 bis 30 Prozent seiner Daten für relationale Systeme geeignet sind - klassische Systeme für kritische Daten, NoSQL-Systeme für Massendaten.

IDC-Analyst Spies vermeidet bewusst den Begriff der "unstrukturierten" Daten, wenn es um die Anforderungen etwa bei der Speicherung von Bewegtbildern geht. Stattdessen spricht er von halbstrukturierten, semistrukturierten und polystrukturierten Daten: "Die können mit Sicherheit nicht alle in relationalen Datenbanken gehalten werden." Doch auf der Gegenseite sieht er eine Flut an Sensordaten aus Messsystemen etwa durch die Energiewende kommen: "Für die eignen sich natürlich relationale Datenbanken auf Festplatte, wenn keine Hochgeschwindigkeitsanforderungen bestehen." Auch für DSAG-Vorstand Lenck stellt sich primär die Frage nach der Aufwand-Nutzen-Rechnung für den Einsatz einer neuen Technologie wie In-Memory-Computing: "Was spare ich letztlich ein? In diesem Spannungsfeld bewegen sich die CIOs in den nächsten zehn Jahren."

Fazit

SAP-CIO Bussmann hat die Diskussion über Datenbanken mit einer Maximalforderung angeheizt und in eine breitere Öffentlichkeit getragen. "Viele Experten haben vor 15 Jahren behauptet, dass hier schon alles erfunden ist", freut sich Oracle-Manager Stürner über das Leben in der Branche: "SAPs In-Memory-Datenbank hat uns einen zusätzlichen Schub gebracht, das hilft in der Diskussion." Nur warnt Stürner davor, sich auf eine einzige Technologie zu beschränken: "Mit einem Stück allein legt man kein Puzzle."

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