Aufarbeitung der Stasi-Akten

Das Ende der Stasi-Unterlagen-Behörde

11.01.2021
Es wird das Jahr der großen Veränderung: Für die geretteten Dokumente der DDR-Staatssicherheit ist künftig nicht mehr die Bundesbehörde von Roland Jahn zuständig, die Einrichtung wird aufgelöst.
Zur Stasi-Hinterlassenschaft gehören allein mehr als 111 Kilometer Schriftgut. Zudem lagern bis heute in mehr als 15.000 Säcken zerrissene und noch nicht erschlossene Papiere. Die in großem Stil geplante, virtuelle Rekonstruktion kam bislang nicht zustande.
Zur Stasi-Hinterlassenschaft gehören allein mehr als 111 Kilometer Schriftgut. Zudem lagern bis heute in mehr als 15.000 Säcken zerrissene und noch nicht erschlossene Papiere. Die in großem Stil geplante, virtuelle Rekonstruktion kam bislang nicht zustande.
Foto: Anton P Daskalov - shutterstock.com

Am 15. Januar 1990 verschaffen sich aufgebrachte DDR-Bürger Zutritt zur abgeschotteten Stasi-Zentrale in Ost-Berlin. Wenige Wochen nach dem Mauerfall stoppen sie die weitere Vernichtung von Stasi-Akten. In den DDR-Bezirken haben mutige DDR-Bürgerrechtler schon zuvor diese Hinterlassenschaften gesichert. Millionen Blätter, Tausende Fotos und Tonträger werden die Basis für den Aufbau der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2020 zum 30. Jahrestag des Sturms auf das einstige Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das historische Gelände besucht, würdigt er die Öffnung der Akten als zutiefst demokratischer Akt. Die Stasi-Unterlagen-Behörde sei weltweit einzigartig und werde zu Recht respektiert und auch bewundert, hebt das Staatsoberhaupt hervor.

Stasi-Akten kommen ins Bundesarchiv

Dieses Jahr wird die Bundesbehörde nun aufgelöst. Die Akten kommen ins Bundesarchiv, die etwa 1.300 Mitarbeiter werden übernommen. Das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wird abgeschafft, Amtsinhaber Roland Jahn scheidet im Juni aus. Wiederholt hatte der frühere DDR-Oppositionelle stolz auf den einmaligen Charakter der Sonderbehörde mit rechtsstaatlicher Nutzung der Dokumente aus einem Unrechtsstaat verwiesen. Das bevorstehende Ende seiner Einrichtung sieht der 67-Jährige aber gelassen. "Die Akten bleiben offen, Auskünfte werden weiter erteilt", zeigt er sich überzeugt.

Die Überführung der Akten, die an ihren ostdeutschen Standorten bleiben, sei ein Gewinn, sagt Jahn der dpa. "Damit wird dauerhaft ein Teil des nationalen Gedächtnisses gesichert." Und es werde das Versprechen eingelöst, die Errungenschaft der friedlichen Revolution auch für nächste Generationen sicht- und nutzbar zu halten, so Jahn.

Technik, Ressourcen und Kompetenzen bündeln

Ein Argument für die gravierenden Veränderungen war: Technik, Ressourcen und Kompetenzen sollen gebündelt werden. Viele der Papiere sind in einem schlechten Zustand, Unterlagen sollen digitalisiert werden. Der Sanierungsstau in den ostdeutschen Archiv-Standorten ist riesig. Das Konzept für die Überführung der Stasi-Akten hat Jahn zusammen mit dem Chef des Bundesarchivs, Michael Hollmann, erarbeitet. Im November wurde es vom Bundestag beschlossen.

Doch es gibt auch kritische Stimmen, die eine Abwicklung von Geschichte befürchten. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sprach in der "Berliner Zeitung" von einem Schleifen der Behörde. Damit werde den Gegnern der kompromisslosen Aufarbeitung eine Freude gemacht. Die Stasi-Unterlagen-Behörde sei immer mehr als ein Archiv gewesen. Ihre Stilllegung könnte zum Menetekel der weiteren gesellschaftlichen Marginalisierung der SED-Aufarbeitung werden, kritisierte er.

In der Jahn-Behörde hätten Forschung und politische Bildung schon seit Jahren an Stellenwert verloren, so Kowalczuk. Ein Konzept, was aus der Forschung werden soll, gebe es nicht, so der langjährige Behörden-Mitarbeiter in dem Zeitungsbeitrag. Kowalczuk ist laut Jahn-Behörde seit April 2018 in einem längeren Forschungsurlaub.

Letztlich geht nun eine Ära zu Ende. Am 29. Dezember 1991 trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft, erster Bundesbeauftragter für die MfS-Überlieferungen wurde der ostdeutsche Pfarrer und spätere Bundespräsident Joachim Gauck. Auf ihn folgten im Oktober 2000 die DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler und Jahn im März 2011. Alle wurden vom Bundestag mit breiter Mehrheit gewählt.

Akteneinsicht

Seit Januar 1992 können Menschen in Unterlagen schauen, die die Stasi ohne ihr Wissen geführt hat. Als erste lasen DDR-Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley in der neuen Behörde in solchen Papieren und erfuhren, wie brutal die Stasi in ihr Leben eingegriffen hatte. Im ersten Jahr der Akteneinsicht wurden in Ostdeutschland mehr als 520.000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht gestellt. Bis Mitte der 90er Jahre wuchs die Zahl der Behördenmitarbeiter in Berlin und den Außenstellen auf knapp 3.200.

Längst werden nicht mehr so viele solcher Anträge gestellt. Im Vorjahr waren es dennoch noch mehr als 35.000. Im 30. Jahr des Mauerfalls 2019 lag die Zahl noch bei rund 56.500. Seit 1992 wurde bei der Behörde insgesamt knapp 3,4 Millionen Mal beantragt, einen persönlichen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Laut Jahn steigt nun die Zahl derer, die mehr über das Leben gestorbener Angehöriger wissen wollen - das sei eine neue Qualität. Hinzu kamen insgesamt 3,4 Millionen Ersuchen öffentlicher Stellen etwa für Überprüfungen im öffentlichen Dienst sowie Anträge von Forschern und Medien.

15.000 Säcke zerrissene Papiere

Zur Stasi-Hinterlassenschaft gehören allein mehr als 111 Kilometer Schriftgut. Zudem lagern bis heute in mehr als 15.000 Säcken zerrissene und noch nicht erschlossene Papiere. Die in großem Stil geplante, virtuelle Rekonstruktion kam bislang nicht zustande. 2019 rekonstruierten laut Jahn Mitarbeiter per Hand den Inhalt von sieben Säcken. Ob und wie das Rekonstruktionsprojekt weitergeht, ist unklar. Das bleibe aber ein gesetzlicher Auftrag, sagt Jahn.

Bis heute leiden Betroffene unter den Folgen von Repressionen in der DDR, mancher fühlt sich am Rande der Gesellschaft. Etliche hatten befürchtet, dass sie mit dem Ende der Jahn-Behörde noch weniger gehört werden. Nun soll ein Beauftragter für die Belange von Opfern direkt vom Bundestag gewählt werden - mehr als 30 Jahre nach der Einheit. Wer das sein wird, ist noch offen. Der Aufarbeitungsverein Bürgerkomitee 15. Januar meint dazu, die Zeit, da Protest gegen die SED-Diktatur oder das Engagement bei der friedlichen Revolution allein qualifizierend für neue Stellen bei der Aufarbeitung der DDR-Historie ausreiche, sei inzwischen vorbei. (dpa/rs)

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