Projekt-Management bei Geberit

Der 80:20-Ansatz reicht völlig

02.12.2010
Von Nicolas Zeitler

Dass bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Belegschaft mit dem neuen Programm zu arbeiten anfangen sollte, keineswegs alle Funktionen zur Verfügung stehen würden, war van den Berg klar. Zugunsten des schnellen Go-Live nahm er das in Kauf. Nach einem Projektstart seien die Kernanforderungen an eine neue Software meistens schnell klar. Dann werde erfahrungsgemäß die Wunschliste für spezielle Funktionen immer länger. "Das ist der Punkt, an dem man sich fragen soll, ob man wirklich alles braucht", erklärt van den Berg.

Als ein halbes Jahr nach Projektbeginn die erste Konfiguration der neuen CRM-Software in drei Ländern produktiv geschaltet wurde, standen den Mitarbeitern zunächst vor allem Basisfunktionen zur Verfügung. "Für viele war dieser Ansatz ungewohnt und sogar fraglich", erinnert sich Eric van den Berg. Zu den Grundfunktionen von Beginn an zählten natürlich die Pflege von Kunden, Kontakten, außerdem Korrespondenz und Besuchsberichte. Erst später kam dagegen zum Beispiel die erweiterte Funktion "Besuchsplanung" dazu. Die Marketing-Funktionen der Software standen anfangs ebenfalls nur als Rumpf zur Verfügung und wurden später ausgebaut. In der ersten Version der Software fehlten noch übergreifende Reporting-Funktionen, und auch die Verwaltung für Ausstellungsmaterial fügte van den Bergs IT-Mannschaft erst später hinzu. Mittlerweile arbeitet Geberit mit dem vierten Release der seit 2008 schrittweise eingeführten Software. Noch immer kommen einzelne Funktionen dazu.

Das Riskante an solch einem Ansatz: Fehlende Funktionen werden oft als Qualitätsmangel aufgefasst. Diese Erfahrung hat auch Eric van den Berg gemacht. Allerdings hat er einen triftigen Grund, solche anfängliche Kritik einzustecken: Immer wieder gerieten überraschend viele Details, die anfangs als Anforderung definiert worden seien, wieder in Vergessenheit, nachdem der Rollout einmal gestartet sei und erste Praxiserfahrungen mit der Software gemacht worden seien. "Auch bei unserer CRM-Software haben die Anwender in der Blueprint-Phase bestimmte Funktionen als wichtig beurteilt, die sie heute nicht brauchen", berichtet der CIO.

Projekte realitätsfern geplant

"Natürlich ist das eine ständige Gratwanderung", sagt Eric van den Berg über seinen Ansatz. Aber wer vor allem Wert darauf lege, ein Projekt hundertprozentig in der Theorie zu planen und dann auch so umzusetzen, der handle oft zu wenig realitätsnah. Vor allem bei einer für die Anwender neuen und unbekannten Software vorab umfassend einzuschätzen, welche Funktionen man brauche, sei oft kaum möglich. "Jetzt, da wir mit der neuen CRM-Software arbeiten, können die Anwender das viel fundierter beurteilen", meint der CIO.

Ein weiterer Grund für ihn, in Projekten nicht die Vollkommenheit von Anfang an zu suchen, ist ein psychologischer Nebeneffekt. Wer im "stillen Kämmerlein" an alles könnenden IT-Systemen arbeite, von dem höre man oft lange nichts. Wer dagegen ein halbes Jahr nach Projektstart die Arbeit mit der neuen Software anstoße und in kurzen Zeitabständen Verbesserungen in Form neuer Funktionen bringe, der produziere regelmäßig kleine Erfolgserlebnisse. "So behält man Kontinuität im Projekt", ist van den Berg überzeugt.

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