BR-Intendant Wilhelm fordert Umdenken

Der Rundfunk der Zukunft wird eine Plattform sein

08.10.2020
Nach zehn Jahren als BR-Chef verabschiedet sich Intendant Ulrich Wilhelm Ende Januar 2021. Zur Zukunft der Medien hat er aber noch einiges zu sagen.
BR-Intendant Ulrich Wilhelm: "Unserer Selbstbehauptung im Digitalen müssen wir mehr Kraft und Zeit widmen. Der Ausgang ist offen. Es gibt viele Einzelprojekte, aber es fehlt eine ambitionierte, europäische Gesamtinitiative."
BR-Intendant Ulrich Wilhelm: "Unserer Selbstbehauptung im Digitalen müssen wir mehr Kraft und Zeit widmen. Der Ausgang ist offen. Es gibt viele Einzelprojekte, aber es fehlt eine ambitionierte, europäische Gesamtinitiative."
Foto: BR / Markus Konvalin

Seit langem macht sich Ulrich Wilhelm als Intendant des Bayerischen Rundfunks für ein europäisches Gegengewicht zu Internet-Riesen wie Facebook, Google und Amazon stark. Das Ziel: Eine unabhängige digitale Infrastruktur. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse zu einer Plattform werden, sagt er zum Ende seiner Intendanten-Zeit im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Schauen wir auf den 1. Februar 2021. Sie wachen morgens auf, was haben Sie sich für den ersten Tag nach Ihrer Zeit als Intendant beim Bayerischen Rundfunk (BR) vorgenommen?

Ulrich Wilhelm: Der 1. Februar ist ein Montag - da werde ich es genießen, nicht gleich an die ersten Termine des Tages denken zu müssen. Von diesem Gefühl der immerwährenden Erreichbarkeit und der engen Taktung muss ich vermutlich erst einmal loskommen.

Erst Regierungssprecher von Angela Merkel dann Intendant des Bayerischen Rundfunks - welcher Job war anstrengender?

Ulrich Wilhelm: Beides hatte seinen Reiz, und ich würde nicht sagen, dass die Zeit in Berlin die anstrengendere war. Auch die letzten zehn Jahre als Intendant waren sehr aufreibend.

Haben Sie einen Favoriten für die Wahl zu Ihrer Nachfolge?

Ulrich Wilhelm: Das Gesetz sieht hier mit Recht keine Rolle für den ausscheidenden Intendanten vor. Ich darf und möchte mich dazu nicht äußern.

Auffällig war, dass sich schnell ein Frauennetzwerk zur Frage der BR-Intendanz geäußert hat und eine Intendantin fordert - es wäre die erste in der BR-Geschichte. Können Sie das verstehen?

Ulrich Wilhelm: Mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, ist generell ein wichtiges Anliegen unserer Gesellschaft. Hier kommt auch den öffentlich-rechtlichen Sendern eine entscheidende Rolle zu. Wie bei jeder Führungsposition stellt sich beim Intendantenamt die Frage: Welches Profil wird gesucht? Brauchen wir beispielsweise eine Persönlichkeit mit besonderer Expertise im Digitalen? Brauchen wir jemanden mit besonderem Wissen aus der Welt der Inhalte? Jede Art von Fragestellung ist legitim. Am Ende geht es darum, das Amt mit der ganzen Kraft der Persönlichkeit auszufüllen.

Es gibt auch Kritik, dass es generell im BR mit Frauen in Führungspositionen nicht gut bestellt ist.

Ulrich Wilhelm: Als ich anfing, lag der Anteil von Frauen in FührungFührung bei einem Viertel, heute sind wir weit über einem Drittel, in den journalistischen Bereichen teilweise deutlich darüber. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass der BR seit Jahren schon schrumpft und wir die Zahl der Führungspersonen insgesamt abbauen. Rund die Hälfte der Mitarbeitenden im Haus übt technische Berufe aus, die auch im Studium generell weniger von Frauen angestrebt werden. Um den Anteil an weiblichen Führungskräften weiter zu erhöhen, setzen wir zudem das Konzept "Frauen in Führung" um, das eine individuelle Potenzialförderung vorsieht. Alles zu Führung auf CIO.de

Welche Baustellen hinterlassen Sie?

Ulrich Wilhelm: Mit Blick auf den rasanten technischen Wandel gleicht jedes MedienunternehmenMedienunternehmen einer immerwährenden Baustelle. Für uns war entscheidend, unsere große trimediale Reform selbst aus der Mitarbeiterschaft heraus zu erarbeiten und die bisherige strikte Trennung von Hörfunk, Fernsehen und Online zu überwinden. Dadurch haben sehr viele an den Bauplänen für die Ausrichtung des BR mitgearbeitet und wissen, wo wir hinwollen. Top-Firmen der Branche Medien

Und wo genau will der Rundfunk hin?

Ulrich Wilhelm: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Zukunft wird eine Plattform sein. Neben eigenen Inhalten muss er auch Inhalte Dritter - zum Beispiel aus Wissenschaft und Kultur - bündeln und kuratieren können, sozusagen im Sinne einer gemeinwohlorientierten Community. Er wird weiterhin ein vielfältiges Angebot an Information, Bildung, Kultur, Sport und Unterhaltung zur Verfügung stellen, so wie es das Bundesverfassungsgericht immer wieder gefordert hat. Sein Alleinstellungsmerkmal bleibt die Gemeinwohlorientierung. Zum Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählen auch weiterhin lineare Angebote aus Hörfunk und Fernsehen.

Was muss sich an der Struktur der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland ändern, damit das Ganze zukunftsfähig bleibt?

Ulrich Wilhelm: Vor allem anderen bleiben entscheidend: Angebote von Wert für die gesamte Gesellschaft. Zudem brauchen wir mehr rechtliche Freiheiten, uns als Plattform begreifen zu dürfen. Schließlich sehe ich auch Anpassungsbedarf beim Verfahren der Finanzierung: Die KEF als unabhängiges Fachgremium für die Empfehlung zur Höhe des Rundfunkbeitrags leistet grundsätzlich eine gute und wichtige Arbeit. Sie berücksichtigt allerdings zu wenig die föderale Gliederung der ARD. Föderale Vielfalt wird schnell zu einer betriebswirtschaftlichen Doppelstruktur verkürzt.

Zuletzt schien es so, als ob sich der BR mit seinen Positionen von anderen ARD-Anstalten abhebt, wenn nicht gar isoliert: Bei der ARD-Kultur-Plattform im Osten macht der BR als einzige Anstalt nicht mit. Schadet das nicht letztlich dem Ansehen des BR?

Ulrich Wilhelm: Wir haben gefordert, vom Verfassungsrecht gezogene rote Linien einzuhalten. Die Zustimmung zu einer Beitragsanpassung darf nicht mit politischen Gegenforderungen verknüpft werden. Bei den ARD-Reformen zieht der BR voll mit. In Verwaltung und Technik wollen wir, wo sinnvoll, möglichst eng zusammenarbeiten. Bei den Inhalten brauchen wir aber die regionale Vielfalt, so wie es der gesetzliche Auftrag auch vorsieht, und wir sollten diese unbedingt erhalten.

Was wären die konkreten Auswirkungen beim BR, wenn die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 nicht kommen sollte, weil eines der Länderparlamente nicht zustimmen sollte? Gegenwind kommt schon lange aus Sachsen-Anhalt.

Ulrich Wilhelm: Wenn 15 Landesparlamente ratifizieren und eines nicht, dann ist das zuerst ein Thema der Gesamtheit der Länder, wie sie mit der Situation umgehen. Zusätzlich stellt sich für ARD, ZDF und Deutschlandradio die Frage: Wie gehen wir in der ab 1. Januar 2021 beginnenden Finanzierungsperiode damit um, dass die Mittel, die wir nach der KEF-Vorgabe benötigen, gar nicht eingenommen werden können?

Der BR wird dann beim Bundesverfassungsgericht klagen?

Ulrich Wilhelm: Selbstverständlich ist das eine Option. Der Schutz der Rundfunkfreiheit ist ein Verfassungsgut. Die Rechtslage zur Umsetzung der KEF-Empfehlung ist klar. Meine Hoffnung ist, dass es zu einer Verabschiedung des Staatsvertrags in allen 16 Landesparlamenten kommt.

Auf europäischer Ebene machen Sie sich für eine neue Architektur stark: eine digitale Infrastruktur als Gegengewicht zu US-Größen wie Google, eine Art digitales Straßen- und Wegesystem, auf dem auch Medienangebote abrufbar sein könnten. Dazu gab es jüngst ein Impulspapier der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Wo steht diese Idee jetzt?

Ulrich Wilhelm: Das Impulspapier ist auf großes Interesse gestoßen und hat eine intensive Debatte ausgelöst. Ich freue mich, dass immer mehr Stimmen aus der Politik sagen: An dem Thema ist viel dran. Unserer Selbstbehauptung im Digitalen müssen wir mehr Kraft und Zeit widmen. Der Ausgang ist offen. Es gibt viele Einzelprojekte, aber es fehlt eine ambitionierte, europäische Gesamtinitiative. Ohne staatliche Koordinierung, die über Regulierung hinausgeht, wird es nicht klappen. (dpa/rs)

Zur Person
Der gebürtige Münchner Ulrich Wilhelm (59) ist seit 2011 BR-Intendant. Nach zwei Amtszeiten verlässt er den Sender Ende Januar kommenden Jahres. Neben Bayern ist Berlin für ihn zur zweiten Heimat geworden. Der Jurist und Journalist war vor dem Wechsel an die BR-Spitze Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

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