Snowden-Vertraute im Gespräch

"Desto einfacher wird es für den nächsten Whistleblower"



Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
Weltbekannt wurde die "Wikileaks"-Journalistin Sarah Harrison, weil sie Edward Snowden auf seinem Weg ins spätere politische Asyl nach Russland begleitete. Mit uns hat sie über die Gefahren digitalen Lebens, bekannte Whistleblower und den in Gefahr geratenen Quellenschutz gesprochen.

Die Britin Sarah Harrison, vermutlich Jahrgang 1982, arbeitet als investigative Journalistin für die Enthüllungsplattform Wikileaks. Sie lebt seit November 2013 in Berlin. Da Harrison sehr auf ihre Privatsphäre bedacht ist, gibt es kaum öffentlich zugängliche, gesicherte Informationen über ihre Person und ihren privaten Hintergrund. Harrison gilt als engste Beraterin des australischen Wikileaks-Gründers Julian Assange, der seit Sommer 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London in politischem Asyl lebt.

Sie setzte sich auch für die US-Soldatin Chelsea Manning (ehemals Bradley Manning) ein, die geheime Dokumente der US-Militärs aus dem Irakkrieg öffentlich machte und nach über dreijähriger Untersuchungshaft, die teilweise ohne gesetzliche Grundlage war, zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Im Sommer 2013 begleitete Harrison den NSA-Whistleblower Edward Snowden auf einem Flug von Hongkong nach Moskau ins russische Exil.

Wir konnten mit Harrison im Rahmen der "World Hosting Days" in Rust, wo sie eine Videoschalte mit Edward Snowden moderierte, ein ausführliches Interview führen.

Sarah Harrison im Gespräch mit CW-Redakteur Simon Hülsbömer.
Sarah Harrison im Gespräch mit CW-Redakteur Simon Hülsbömer.
Foto: lenapiwitt.ch (Lena Piwitt/WHD.global)

Recherchiert man Sie im Netz, fällt auf, wie wenig über Sie als Person bekannt ist - so gibt Wikipedia Ihr Geburtsdatum beispielsweise vage mit "ca. 1981/1982" an. In Interviews betonen Sie, wie wichtig es für Sie ist, ein "analoges Leben" zu führen, so wenige Informationen wie eben möglich über sich preiszugeben. Wie schaffen Sie das als "Digital Native" überhaupt - zumal als Journalistin und damit durchaus öffentliche Person?

Sarah Harrison: Es gibt eine Menge Dinge, die ich digital nicht tue, weil sie mit Sicherheitsrisiken verbunden sind. Alles, was ich dann doch online mache, geschieht verschlüsselt. Das kann teilweise echt kompliziert werden und alles dauert etwas länger. Ich habe beispielsweise auch kein Telefon. Das musste ich meiner Familie und meinem Freundeskreis erst beibringen. Mein Vater fand es aber sogar gut, nur verschlüsselt zu kommunizieren - das hat mich schon ein wenig überrascht.

In der Tat ist diese Lebensweise problematisch - gerade in meinem Alter und in meinem Beruf als Journalistin. Heutzutage sitzen viele Journalisten - gerade auch im aktivistischen Bereich - nur noch hinter ihrem Schreibtisch und kommen nicht mehr heraus. Es gibt so viele Online-Tools, um zu recherchieren - immer weniger Kollegen sind auf der Straße unterwegs, um ihre Informanten persönlich zu treffen. Das macht aber auch den Quellenschutz schwieriger.

Es gibt noch viel zu tun, bis wir alle verstehen werden, wie gefährlich und angreifbar unser digitales Leben geworden ist und wie wir uns dagegen wehren und schützen können. Es besteht nämlich auch die Gefahr, paranoid zu werden. So gab es schon einige Journalistenkollegen, die mich nach einem persönlichen Interview fragten, warum ich sie denn nicht aufgefordert hätte, ihr Smartphone während des Gesprächs in den Kühlschrank zu legen. Denen sage ich dann, dass man es auch übertreiben kann - schließlich ging es um ein Pressegespräch, das sowieso veröffentlicht werden sollte.

Entscheidend ist, die richtige Balance zu finden - dafür müssen wir aber erst die Bedrohungen begreifen.

"Teilweise kontraproduktiv"

Wie schwer ist es, gerade jüngere Bekannte und Freunde zu überzeugen, sicherheitsbewusster online unterwegs zu sein?

Sarah Harrison: Mir persönlich fällt das leicht. Ich stelle sie vor die Wahl, sich entweder daran zu halten oder auf einen Kontakt mit mir ganz verzichten zu müssen. Diese Einstellung können sich natürlich viele andere nicht erlauben; hier Überzeugungsarbeit zu leisten ist entsprechend schwierig. Teilweise wird es dann sogar kontraproduktiv - Beispiel E-Mail-Verschlüsselung: Wenn ich nur einige meiner Mails verschlüssele, weil nicht alle Empfänger Verschlüsselung einsetzen können oder wollen, werden gerade die Nachrichten, die verschlüsselt sind, die Aufmerksamkeit von Netzermittlern und Geheimdiensten auf sich ziehen und mich dann erst überhaupt "interessant" für sie machen.

Sarah Harrison im Gespräch mit CW-Redakteur Simon Hülsbömer.
Sarah Harrison im Gespräch mit CW-Redakteur Simon Hülsbömer.
Foto: lenapiwitt.ch (Lena Piwitt/WHD.global)

Das einzige, was hilft, ist, wirklich alles und immer zu verschlüsseln - und zwar bei allen. Aber das verstehen sehr viele Menschen nicht - da kommt dann immer sofort das Argument "Ich habe doch nichts zu verbergen." Das ist für meine Begriffe aber nicht nachvollziehbar - es hilft der Vertrauenswürdigkeit dieser Menschen nicht. Journalisten lassen sich noch am ehesten überzeugen, dass sie ihre Kommunikation verschlüsseln - wenn es beispielsweise um den Schutz von Informanten aus Regierungskreisen geht. Wenn Sie denen nicht nachweisen, dass Sie Ihre Kommunikation verschlüsseln, bekommen Sie die Informationen erst gar nicht.

Sie sind nun seit vielen Jahren im Rahmen von "Wikileaks" aktivistisch tätig und haben viele Whistleblower und andere Geheimnisträger persönlich kennen gelernt - unter anderem Wikileaks-Gründer Julian Assange, Irakkrieg-Whistleblowerin Chelsea Manning und NSA-Enthüller Edward Snowden. Wie hat sich Ihre Einstellung dem digitalen Leben gegenüber in dieser Zeit verändert?

Sarah Harrison: Für uns als Organisation hat sich fast nichts verändert. Noch bevor die ersten Snowden-Dokumente veröffentlicht wurden, hat Julian sein Buch "Cypherpunks" herausgebracht, in dem es bereits zahlreiche Informationen gab, die dann erst später durch die NSA-Enthüllungen die breite Weltöffentlichkeit erreichten. Ich habe damals mit einer Redakteurin des "Guardian" über das Buch gesprochen und sie hat mich fast ausgelacht.

Sie sagte so etwas wie "Sie wollen mir also erzählen, dass die Regierung meine E-Mails mitlesen kann? Sie sind wohl etwas paranoid!" Sie hat das Buch tatsächlich für eine fiktionale Geschichte gehalten. Keine zwei Wochen später musste ich dann ebenfalls lachen - da gab es die erste "Guardian"-Titelseite zu Snowden.

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