"Best Bets" – Eprimo-CFO droht, seine Wette zu gewinnen

Deutschland sackt weiter ab

Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.

Fünf Jahre später muss ich nun (leider für den Standort Deutschland) feststellen, dass meine Vorhersage - zumindest für die erste Hälfte des Wettspiels - zutreffend war. Und so sehr ich auch weiterhin überzeugt bin, dass sich im Valley einzigartige Innovations-"Assets" entwickelt haben, die sich nicht ohne weiteres an einem anderen Standort nachbilden lassen, so komme ich doch zunehmend zu der Erkenntnis, dass eine Replikation für den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg auch nicht zwingend erforderlich ist. Meines Erachtens nach kann der Standort Deutschland den Punkterückstand aus der ersten Spielhälfte somit durchaus noch aufholen, sofern ein essenzielles Umdenken in den Unternehmen und - gegebenenfalls nachlaufend - in der Gesellschaft stattfindet.

Die initiale Wettbegründung

Im Jahr 2015 fußte ich die meines Erachtens nach unschlagbare Innovationsdominanz des Silicon Valley auf zwei nicht replizierbare "Assets", die das einzigartige Ecosystem formen und somit - im Silicon Valley Jargon - die "Secret Sauce" der Bay-Area darstellen. Da wären zum einen vier strukturelle Gegebenheiten, die in der Region zwischen San Francisco und San Jose in einzigartiger Weise ausgeprägt sind:

Erstens, die Universitäten und Bildungseinrichtungen wie die Stanford University, die Universität in Berkeley, aber auch die Singularity University, eine unter anderem von Google mitgegründete Institution, die sich vorrangig mit exponentiellen Technologien und deren Einfluss auf die Welt beschäftigt. Alle diese Forschungsstätten ziehen mit ihrem Weltruhm und immensen Forschungsbudgets die Top-Wissenschaftler aus aller Welt an. Diese einzigartige Dichte an "Brain-Power" manifestiert sich regelmäßig in bahnbrechenden, weltverändernden Erfindungen - angefangen von Suchalgorithmen bis hin zur Sequenzierung des menschlichen Genoms.

Beim zweiten Strukturfaktor handelt es sich um die Entrepreneure. Während es in Kontinentaleuropa immer noch erstrebenswerter scheint, eine "solide" und sichere KarriereKarriere bei einem Großunternehmen zu verfolgen, ist in Kalifornien das Gründen und der Aufbau eines eigenen Unternehmens (und dessen Skalierung zu Weltruhm) das klar erstrebenswertere Ziel. Oft entspringen die Unternehmer direkt den zuvor genannten Bildungseinrichtungen, welche allesamt eine marktwirtschaftliche Verwertung der Forschung nicht nur begrüßen, sondern oft aktiv forcieren - und nicht wie im alten Europa vorrangig nach "höheren" akademischen Zielen streben. Alles zu Karriere auf CIO.de

Alternativ handelt sich aber auch um Gründer aus aller Welt, die nicht zuletzt vom dritten strukturellen Faktor des Valleys angezogen werden: den Wagniskapitalgebern. Nirgendwo sonst auf der Welt wird so viel Geld in junge Unternehmen beziehungsweise oft gar nur in vielversprechende Ideen und Gründer investiert wie rund um die Sand-Hill-Road in Menlo Park. So wurde 2019 rund ein Sechstel des globalen Venture Capital Spends in der nordkalifornischen Region investiert, wobei sich das Investitionsvolumen auf rund 47,2 Milliarden Dollar belief, was grob der gesamten Wirtschaftskraft von Slowenien entspricht.

Aber nicht nur Gründer werden von den idealen Bedingungen angezogen. Auch Großunternehmen - der vierte Strukturbaustein - erhoffen sich durch eine Präsenz im Valley einen "competitive advantage". Indem sie früh mit für sie vielversprechenden Start-Ups partnerschaftliche "Win-Win"-Beziehungen eingehen, Technololgie- und Business-Trends "scouten" oder innovative, neue Business-Modelle schlicht kopieren, soll das eigene Geschäft entweder abgesichert oder selbst "disrupted" werden - bevor Start-Ups diesen Job übernehmen.

Die Einzigartigkeit des Valleys erwächst jedoch nicht aus der puren Existenz dieser vier strukturellen Gegebenheiten. Diese sind heute nahezu in jedem Innovations-Hotspot der Welt sowie fast jeder großen Wirtschaftsmetropole vorzufinden. Vielmehr ist es die Größe dieser Strukturen sowie deren Dichte, die das Valley herausragend macht. Besonders aus der Verdichtung resultiert eine enorme Geschwindigkeit und extreme Geschäftsfokussierung in den oder zwischen den vier Strukturelementen, die sich in eine immense Anzahl und stets auf aktuelle Opportunitäten ausgerichtete Business-Modelle übersetzt. Allein aus dieser Anzahl und Entstehungsgeschwindigkeit von neuen Geschäften resultiert eine Innovationserfolgsquote, die sich nur schwerlich in kleineren, weniger dichten Strukturen nachbilden lässt.

Innovationskultur

Aber es ist nicht nur die aus Strukturgröße und - dichte erwachsende Anzahl tragfähiger Geschäftsideen, die den Erfolg des Valley bestimmt. Vielmehr formt die Dichte dieser unternehmerisch fokussierten Elemente auch einmalige, effektive Methodiken und Herangehensweisen, welche sich ultimativ in eine einzigartige Kultur - dem zweiten Asset des Valley - übersetzten. So stellt beispielsweise das "Design ThinkingDesign Thinking" den Kunden mit seinen Problemstellungen in das Zentrum des unternehmerischen Handelns. Alles zu Design Thinking auf CIO.de

Denn nur wenn das Kundenproblem richtig verstanden wird, kann eine effektive Lösung mit echtem Mehrwert kreiert werden, für die Kunden zu zahlen bereit sind. Und während die Entwicklung einer Lösung in klassischen Strukturen oft nach dem Wasserfallmodell erfolgt (also der Konzeptionierung einer ausgefeilten Lösung, die dann am Ende des Entwicklungsprojektes in absoluter Markreife "gelauncht" wird), bedient man sich im Valley lieber dem "Lean Start-Up"-Approach.

Hierbei wird ein Minimal Viable Product (MVP) - also ein Produkt, was gerade "gut genug für den Markt" ist - iterativ über die Erstellung von Prototypen entwickelt, welche sukzessive mit potenziellen Kunden verprobt und sukzessive verbessert werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das Produkt die sich im Zeitablauf zunehmend schneller ändernden Kundenbedürfnisse (Stichwort VUCA-Welt) befriedigt und außerdem so früh wie möglich gelauncht werden kann, um Umsatz zu generieren. Teure, langwierige Entwicklungen, die dann womöglich noch am zwischenzeitlich geänderten Kundenbedarf gänzlich vorbei gehen, kann man sich einfach nicht leisten.

Aber es sind nicht diese Methoden, die das einzigartige Asset des Valleys bilden. Diese lassen sich ohne Weiteres replizieren. Was sich nicht ohne Weiteres nachbilden lässt, ist das Mindset und die Kultur, die durch das konsequente Anwenden dieser Methoden geformt wird. So sind das Denken und die Vorstellung im Valley grenzenlos, Chancen werden konsequent ergriffen und im Zweifel wird eine fixierte Strategie und Geschäftsausrichtung eben geändert, wenn dies erfolgsversprechender scheint; kein Problem. Auch das Scheitern ist in der Bay-Area nicht stigmatisierend, sondern nur der Anfang von etwas Neuem, was (wieder) die Chance auf globalen Impact in sich trägt. Und Fehler? Kein Problem, solange man einen Fehler nicht zweimal macht und solange man aus jedem Fehler wichtige Lehren zieht.

Diese Säulen (große und dichte Strukturelemente und eine einzigartige Schaffenskultur) bilden die Basis für bedeutende Innovation, die wiederum herausragenden wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt.

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