"Best Bets" – Eprimo-CFO droht, seine Wette zu gewinnen

Deutschland sackt weiter ab

Horst Ellermann ist Herausgeber des CIO-Magazins und Ambassador für CIOmove in Deutschland.

Die Zwischenbilanz

Die vorangegangene Rationale, welche ich in meiner Tätigkeit als Innovationsmanager vor Ort aus erster Hand ableiten konnte, motivierte mich zu wetten, dass das (reale) Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Region Kalifornien stärker wachsen wird als in Deutschland. Dabei fokussierte ich auf den Staat Kalifornien - und nicht nur die Bay-Area - um nicht einen souveränen Staat wie Deutschland mit heterogenen regionalen, sozioökonomischen Gegebenheiten mit einer homogenen High-Tech-Region zu vergleichen.

Ferner wählte ich die Kennzahl BIP per Capita, da sie für mich den ultimativen, normierten Indikator von volkswirtschaftlichem Wohlstand darstellt. Somit ist die Analyse des Wachstums dieser Größe zu übersetzen als die Veränderung des volkswirtschaftlichen Wohlstands pro Bürger - und damit eben den ultimativen Erfolg von Innovation.

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Indikator für Innovation in Kalifornien und in Deutschland
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Indikator für Innovation in Kalifornien und in Deutschland
Foto: Statista 2020, Auswertung durch Hans-Martin Hellebrand

Betrachtet man nun diese Kennzahlen für die beiden Regionen, so ist zunächst festzustellen, dass der reale Pro-Kopf-Wohlstand über die letzten Jahre hinweg in beiden Regionen kontinuierlich angewachsen ist. Sowohl in Deutschland als auch Kalifornien wurde somit Wohlstand gemehrt. Gut!

Vergleicht man jedoch die Zuwachsraten miteinander, so übertrifft das Wachstum in Kalifornien in fast allen relevanten Jahren den Zuwachs in Deutschland - und das sehr deutlich. Kumuliert man diese Entwicklung unter Berücksichtigung von Zinseszinseffekten über die letzten sechs Jahre auf (ich wählte im Jahr 2015 das Jahr 2013 als Baseline meiner Wette), so war der Wohlstandszuwachs in Kalifornien insgesamt doppelt so groß wie der in Deutschland. Ein sehr klares Ergebnis mit Blick auf die "erste Halbzeit"! Hier hat Kalifornien in puncto Innovationskraft übersetzt in Wohlstandszuwachs klar die Nase vorn.

Aber wie sieht die Prognose nach vorne aus?

Kann Deutschland diesen Vorsprung noch aufholen?

Bei Abschluss meiner Wette im Jahr 2015 war ich überzeugt davon, dass die Innovationskraft der Bay-Area nicht übertreffbar ist, da die treibenden Elemente nicht in vergleichbarer Größe und der notwendigen, kulturformenden Dichte repliziert werden können. Obgleich somit für mich die Wette klar schien, empfahl ich - als kleinen Hoffnungsschimmer für deutsche Unternehmen - das Valley durch Vor-Ort-Präsenz maximal zu "leveragen", um so wenigstens teilweise am Erfolg zu partizipieren. Die obigen BIP-Wachstumsergebnisse hätten mich damals somit in absoluter Siegesgewissheit gewähnt.

Heute - 30 Monate mehr Silicon-Valley-Erfahrung sowie eine erfolgreiche Rückkehr nach Europa später - habe ich eine andere Sicht auf die Dinge. So bin ich zwar immer noch überzeugt davon, dass das Silicon Valley einzigartig und magisch ist, allerdings glaube ich, dass es nicht zwingend eine solche starke Region braucht, um Innovationskraft zu entfalten.

Wie bei den Unternehmen selbst scheint es mir, dass auch bei Wirtschaftsmächten nicht länger die großen, zentralistischen Strukturen dominieren, sondern es die kleinen, agilen, dezentralen Einheiten sind, die sich in der heutigen VUCA-Welt deutlich schneller an die sich zunehmend rascher wandelnde Gegebenheiten anpassen können. Wandel entsteht somit stärker als in der Vergangenheit "bottom-up" durch viele kleine, gleichartige Veränderungen, die sich dann in einem Veränderungsströmung kumulieren.

Hieraus abgeleitet schwindet somit die Notwendigkeit und Stärke EINES "Valley" mit Mindset "at scale". Vielmehr gilt es, viele kleine Veränderungs-Nuklei zum Beispiel in innovativen Unternehmen auszuprägen, die dann in der Gesamtheit wiederum auch die Kultur eines ganzen Landes nachhaltig verändern. Die innovative Bewegung ist somit dezentral bottom-up skalierend und nicht zentral top-down skaliert!

Das erforderliche Wissen, um diese Veränderung "im Kleinen" (das heißt einem Start-Up, einem Unternehmen oder Konzern) zu leisten, ist längst vorhanden. Es gibt ausreichend Literatur-, Schulungs- und Beratungsangebote zu modernen Innovationsansätzen, digitalen Plattform-Geschäftsmodellen und agiler FührungFührung. Doch es braucht mutige Führungskräfte und Mitarbeiter, die bereit sind, all dieses Wissen einzusetzen, um eine Kulturänderung im eigenen Wirkungsbereich zu forcieren, die sich dann schrittweise auf andere Firmen überträgt und schlussendlich den ganzen Standort Deutschland prägen könnte. Alles zu Führung auf CIO.de

Ich selbst habe diesen Wandel gemeinsam mit großartigen Kollegen und Teams seit meiner Rückkehr nach Deutschland in 2018 mitgestaltet und freue mich sehr über die Früchte, die dies trägt: Zufriedene, erfüllte Mitarbeiter, die intrinsisch motiviert herausragende Lösungen für unsere Kunden entwickeln, die sich in wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaften übersetzen.

Fazit

Zusammenfassend bin ich somit heute immer noch hoffnungsfroh, dass sich meine Wette erfüllt und das Silicon Valley somit auch im Jahr 2025 in puncto Innovationskraft die Nase vorne haben wird. Ich bin aber auch zuversichtlich, dass der Standort Deutschland den Punktevorsprung der ersten Halbzeit durch mutige, dezentrale Kulturveränderungen in den Unternehmen wird aufholen können.

Und wer weiß, vielleicht ist es in schwierigen Zeiten wie diesen ausgerechnet der unsichtbare Feind Corona, der flächendeckend zu einem Umdenken und Neuerfinden der Arbeitsweise in deutschen Unternehmen anregt - und zu einem Booster für die zweite Halbzeit wird.

Mich würde es freuen, denn schließlich lehrt uns gerade das Valley, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Wir werden sehen …

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