IT-Arbeitsmarkt

Die Experten sind bescheiden geworden

Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.

Kein Wunder, dass Michael Jäkel, Bereichsleiter IT beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, sich Sorgen um seine Mitglieder aus der IT-Branche macht. Er sehe nicht nur ein sinkendes Gehaltsniveau, sondern fürchte auch um Arbeitsplätze. Zudem habe er den Eindruck, dass manche Unternehmen die Krise nutzen, um sich gezielt von geringer qualifizierten oder älteren Arbeitskräften zu trennen - und um sich dann bei wieder belebter Konjunktur mit jüngeren, besser qualifizierten und zudem kostengünstigeren Fachkräften zu verstärken. Er gehe davon aus, dass es sich bei der derzeitigen Entwicklung "lediglich um eine Delle in einem langfristigen Aufwärtstrend der IT-Branche und nicht um eine Strukturkrise handelt". Schon deshalb sei es kurzsichtig, sich jetzt von Mitarbeitern zu trennen, die wahrscheinlich spätestens im Laufe des Jahres 2004 fehlen würden. Denn Entlassungen wirkten sich nicht nur negativ auf die Motivation der verbleibenden Mitarbeiter aus; auch schlüge jede Neueinstellung mit durchschnittlich rund 50000 Euro zu Buche. Sein Rezept: Weiterbildung und breite Qualifizierung der Mitarbeiter, Urlaub und Bildungsmaßnahmen vorziehen und notfalls sogar Kurzarbeit.

Conrad Pramböck, Consultant bei Kienbaum Wien: "In Zeiten, da Personalkosten eingespart werden, bleiben Retention-Programme nicht selten auf der Strecke."

In den durch Bitkom vertretenen Betrieben der IT- und TK-Branche sind etwa 450000 der insgesamt 800000 Mitarbeiter IT-spezifisch tätig. Ausgehend von einer Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), rechnet Arbeitsmarktexperte Pfisterer mit rund doppelt so vielen IT-spezifisch Beschäftigten in allen anderen Bereichen der deutschen Volkswirtschaft; das sind nochmals rund 850000 Arbeitnehmer. "Die IT- und TK-Branche ist von der derzeitigen Konjunkturlage besonders betroffen - von einem Massenexodus kann aber nicht die Rede sein", stellt Pfisterer klar. Für das vergangene Jahr kalkuliere sein Verband mit einem Minus von gut drei Prozent, wobei das Beschäftigungsvolumen voraussichtlich von 819000 auf 791000 sinke. Die Arbeitsverhältnisse der IT-Mitarbeiter in Anwenderunternehmen, die die Bitkom-Statistiken nicht erfassen, sind nach Pfisterers Einschätzung branchenabhängig stabiler und vom Rückgang weniger betroffen als der eigentliche IT- und TK-Sektor.

Wie Trutzburgen nehmen sich derzeit die großen und erfolgreichen Unternehmen im unsicheren IT-Arbeitsmarkt aus. Claus Heinrich, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor bei SAPSAP, macht klar, dass die Personalpolitik seines Hauses langfristig ausgelegt und von Konjunkturschwankungen kaum betroffen sei. "Wir suchen immer Mitarbeiter unterschiedlichster Qualifikation und zahlen marktgerechte Gehälter." Als IT-Kräfte knapp waren, habe er sich nicht unter Druck setzen lassen und auf Bewerber mit unrealistischen Gehaltsforderungen verzichtet. "Selbstverständlich bleiben wir unserer Linie treu und weichen heute auch nicht nach unten ab", sagt der Personalvorstand. Dabei verzeichne SAP ebenfalls eine steigende Zahl von Initiativbewerbungen. Alles zu SAP auf CIO.de

Dwight Cribb, Geschäftsführer der Cribb Personalberatung: "IT-Professionals, die Erfolge vorweisen können, dürfen sich gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt ausrechnen."

Rosige Zeiten also für Personalchefs? Im Moment sieht es so aus, aber die Zeiten könnten sich schnell ändern. "Die Unternehmen werden nach der Konsolidierungsphase mit einer jüngeren, besser qualifizierten und kostengünstigeren Mannschaft dastehen; das sollten sie aber nicht zum Anlass nehmen, an der betrieblichen Weiterqualifizierung zu sparen", warnt Bitkom-Mann Pfisterer. Ihn beunruhigen auch die sinkenden Zahlen von IT-Studienanfängern und vor allem die Bevölkerungsentwicklung: Ab 2007 gibt es einen demographischen Knick, dem kein weiterer Anstieg mehr folgt. Bei einer alternden Mitarbeiterschaft bleibe dann der Nachwuchs aus. "Der jetzige Rückgang des IT-Arbeitsmarkts ist eine Ausnahmesituation. Ab 2004 geht es wieder bergauf, und spätestens in zehn Jahren werden die Unternehmen verzweifelt nach IT-Fachleuten suchen", so die Prognose des Arbeitsmarktexperten.

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