Strategien


Leoni-CIO Joerg Kohlenz

"Die klassische IT kommt an ihre Grenzen"

Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Joerg Kohlenz, CIO bei Leoni Wire & Cable Solutions, fordert im Interview mit dem CIO-Magazin eine viel engere Verzahnung von IT- und Fachbereichen.
„Wenn sich Erwartungen an Unternehmen durch die Digitalisierung verändern, dann muss sich die IT verändern“, sagt Leoni-CIO Joerg Kohlenz.
„Wenn sich Erwartungen an Unternehmen durch die Digitalisierung verändern, dann muss sich die IT verändern“, sagt Leoni-CIO Joerg Kohlenz.
Foto: Joerg Kohlenz

Die Erwartungen an die Unternehmens-IT verändern sich rapide. Sie soll nicht nur agiler und effizienter werden, sondern auch Treiber von Innovationen sein. Sind die klassischen IT-Organisationen dafür richtig aufgestellt?

Joerg Kohlenz: Das hängt vom Kontext und dem Umfeld des Unternehmens ab. Wenn sich Erwartungen an Unternehmen durch die DigitalisierungDigitalisierung verändern, dann muss sich die IT verändern. Klar ist, dass die klassische IT-Organisation bei schnellen Veränderungen, kurzen Innovationszyklen und dem Beherrschen zunehmender Vernetzung sowie deren Komplexität an ihre Grenzen kommt. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Oft wird gefordert, die Fachbereiche müssten die Digitalisierung vorantreiben. Gartner hat in diesem Kontext den Begriff des "Citizen Developer" geprägt. Als Mitarbeiter in einer Fachabteilung soll er ohne tiefe Programmierkenntnisse eigene Anwendungen erstellen. Was halten Sie davon?

Kohlenz: IT-Innovationen entstehen idealerweise dort, wo sie später auch zum Einsatz kommen - nämlich in den Fachbereichen. Fachbereich und IT zu vermischen, ist für mich eine logische und notwendige Konsequenz. Insbesondere wenn es darum geht, neben Effizienz schnell auf Marktbedürfnisse reagieren zu können. Eine derartige Vernetzung ermöglicht es, IT-spezifisches Wissen mit dem des Fachbereichs zu koppeln und eine gemeinsame Verantwortung für Geschäft und ProjekteProjekte zu übernehmen. Alles zu Projekte auf CIO.de

Im CIO Jahrbuch 2021 wetten Sie, dass die IT-Organisation im Jahr 2026 durch einen Kulturwandel im Unternehmen völlig agil geworden ist und sich größtenteils mit den Fachabteilungen des Unternehmens vermischt hat. Braucht es in so einem Szenario überhaupt noch einen zentralen IT-Bereich?

Kohlenz: Eine zentrale IT-Organisation wird für übergreifende Themen weiterhin wichtig und notwendig sein. Sie wird sich auf Kernkompetenzen konzentrieren wie IT Governance, IT-Enterprise Architekturmanagement (EAM), die Koordination der Innovationstätigkeiten (Technology-Scouting), die Steuerung des gemeinsamen Projektportfolios, das Provider- und Sourcing-Management, also die Leistungssteuerung, sowie auf das Monitoring aller IT-Services, vor allem der Plattformen. Hinzu kommen deutlich mehr Aufgaben im Zusammenhang mit der Informationssicherheit. Dabei geht es um Themen wie IT-Sicherheit, Cyber-Security und DatenschutzDatenschutz aus IT-Sicht. Alles zu Datenschutz auf CIO.de

In Ihrem Jahrbuch-Artikel schreiben Sie auch: "Die Entwicklung von IT-Systemen sowie IT-basierten Produkten (…) wird in interdisziplinären Teams erfolgen, welche organisatorisch in der Fachabteilung verortet sind." Wie lassen sich solche Teams koordinieren?

Kohlenz: Wie die einzelnen Teams koordiniert werden, hängt von der Größe der Organisation ab. Im agilen Kontext von Projekten wird das beispielsweise ein ScrumScrum Master übernehmen. Erprobte Methoden und Prinzipien wie LeSS (Large-Scale Scrum) oder SAFe (Scaled AgileAgile Framework) zeigen, wie sich agile Organisationsmethoden im Unternehmen skalieren lassen. Wenn es um FührungFührung der Teams geht, muss man verstehen, dass diese sich im agilen Kontext am Servant Leader-Ansatz orientiert: Es geht um eine andere Art von Führungskultur und -verständnis. Alles zu Agile auf CIO.de Alles zu Führung auf CIO.de Alles zu Scrum auf CIO.de

Leadership und Management müssen als Führungsinstrumente zusammenwachsen. Der Wirtschaftswissenschaftler Warren Bennis hat dazu treffend gesagt: "Leaders do the right things, managers do the things right." Agile Führung funktioniert also grundsätzlich anders als klassische Führung. Es gilt das Prinzip der selbstorganisierten Teams mit einer hohen Autonomie, zugleich aber einer konsequenten Ausrichtung an einem Zielbild.

Agile Methoden sind in der Softwareentwicklung mittlerweile weit verbreitet. Aber wie steht es mit der klassischen Produktentwicklung, beispielsweise im Maschinenbau?

Kohlenz: In unserer digitalisierten Welt ist Agilität ein Wettbewerbsvorteil. Es geht um die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren. Das trifft meines Erachtens gerade auch auf Produkte zu. Ein häufig genanntes Argument gegen Agilität im Bereich der physischen Produktentwicklung ist das Stichwort Komplexität. Physische Produkte seien nun mal viel komplexer als Software. Aber ist Komplexität wirklich ein Argument GEGEN agiles Vorgehen? Aus meiner Sicht spricht eine höhere Komplexität gerade FÜR eine agile Vorgehensweise, um die Komplexität beherrschbar zu machen. Im Umfeld physischer Produkte geht es ja immer mehr um schnelles Handeln und schnelles Feedback vom Kunden, um etwa die Traktion eines Produkts zu überprüfen.

Mehr Flexibilität und Skalierbarkeit, aber auch eine verbesserte Effizienz versuchen immer mehr Unternehmen durch Cloud Computing zu erreichen. Wie wird sich das mittel- und langfristig auf die IT-Organisationen auswirken?

Kohlenz: Zumindest werden sich der Fokus beziehungsweise die Kernkompetenzen der IT-Organisation verschieben. Wir spüren in den letzten Jahren bereits, dass sich durch die vermehrte Cloud-Nutzung die internen SkillsSkills verändert haben. Die Betriebsleistung wird vom Cloud-Anbieter erbracht, wohingegen die zugehörigen Architekturvorgaben, IT-Governance und die Steuerung der Cloud-Anbieter über die eigene IT-Organisation erfolgt. Aus meiner Sicht wird in den kommenden Jahren kein CIO am Thema Cloud Computing vorbeikommen. Alles zu Skills auf CIO.de

In Ihrem Beitrag für das CIO-Jahrbuch fordern sie neben mehr Agilität auch eine stärkere Kundenorientierung und eine völlig neue produktorientierte Entwicklung, um den Anforderungen in einer dynamischen und volatilen Welt begegnen zu können. Wie kommen Unternehmen dahin?

Kohlenz: Entscheidend ist die Veränderungsrate, das heißt die Fähigkeit eines Unternehmens, mit Veränderungen Schritt zu halten. Agilität selbst benötigt Veränderung in organisatorischer, prozessualer, personeller und kultureller Hinsicht. Das ist eine Aufgabe des gesamten Unternehmens, mit der rechtzeitig begonnen werden sollte. Unternehmen sollten die Veränderung zunächst in ihrer strategischen Planung berücksichtigen und ihre Zukunftsvision konkretisieren. Sie können damit kontinuierliche Veränderungen zu einem Gewinn machen.

Der Wandel zu einer agilen IT-Organisation und die Vermischung der IT mit Fachabteilungen stellt Unternehmen nicht nur vor technische Herausforderungen, argumentieren Sie in Ihrem Artikel. Das bringe vor allem organisatorische Konflikte mit sich, die sich ohne einen Kulturwandel im ganzen Unternehmen kaum lösen ließen. Wie lässt sich dieser Change-Prozess bewältigen?

Kohlenz: Jedes Unternehmen hat einen anderen Ausgangspunkt. Der muss zunächst analysiert werden. Man kann nicht erwarten, dass alles in einem einzigen Schub erledigt ist. Inkubatoren oder externe Einheiten können beispielsweise zu Beginn hilfreich sein. Ich bin aber überzeugt, dass der Change grundsätzlich immer aus dem Kern des Unternehmens heraus entstehen muss. Die bestehende Wertschöpfung muss "mitgenommen" werden. So können auch Veränderungen und Umsatzsteigerungen direkt gezeigt werden. Es ist immer eine Aufgabe des gesamten Unternehmens.

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