Nützliche Nähe

Die neue Offenheit der Top-Manager

18.11.2014
Von Kristin Schmidt, Martin Seiwert und Lin Freitag

Das Interesse am Menschen rückt in der Vordergrund

Hinzu kommt: Gerade in Zeiten, in denen wirtschaftliche Zusammenhänge immer komplexer und die Nachrichtenberge immer unüberschaubarer werden, suchen Mitarbeiter, Verbraucher und Investoren nach Orientierung, die ihnen verklausulierte Jahresberichte oder weichgespülte Pressemitteilungen nicht geben können.

"Menschen", sagt Dopheide, "vertrauen Menschen."

Weshalb gerade anonym anmutende Unternehmen oder abstrakte ökonomische Zusammenhänge vermehrt über die verantwortlichen Manager an der Spitze sinnbildlich kommuniziert werden. Laut CEO Communications Monitor der Beratung Keynote Kommunikation ist die Medienpräsenz der Dax-Chefs im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 7,2 Prozent gestiegen. Das Interesse an den Menschen rückt in den Vordergrund, und auch die Nähe zu Promis aus Wirtschaft und Politik wächst, vor allem dank der sozialen Medien. Das Bild vom knallharten Manager mit der ernsten Mine und dem grauen Anzug bekommt ein menschliches Antlitz, wenn - wie kürzlich bei Opels Marketingvorstand Tina Müller geschehen - ein Urlaubsfoto auf dem offiziellen Twitter-Kanal auftaucht.

Mitarbeiter müssen informiert werden

Was auf den ersten Blick selbstverliebt, beliebig oder gar gedankenlos wirken mag, folgt in der Regel einer ausgeklügelten Strategie, mit der Zeitpunkt, Umfang, Adressat und Formulierung der Information gezielt gewählt werden.

So wie von Regine Stachelhaus, bis zum vergangenen Sommer Personalvorstand beim Essener Energiekonzern E.On. Was ihre Mitarbeiter schon seit Jahren wussten, erfährt die Öffentlichkeit erst, als sie im Jahr 2013 ihren Rücktritt bekannt gibt und den Grund für ihr Ausscheiden gleich mitliefert: Weil ihr Ehemann schwer erkrankt ist, will sie sich mehr Zeit für ihn nehmen.

"Ich bin ein Fan von Offenheit", sagt die 59-Jährige, die zuvor jahrelang beim US-Technologieunternehmen Hewlett-Packard gearbeitet hatte, zuletzt als Geschäftsführerin der deutschen Sektion. Heimlichtuerei belaste sie. Aber: "Ich informiere die Menschen erst, wenn es aus meiner Sicht für sie relevant wird."

Für ihre Mitarbeiter war die Krankheit ihres Mannes von Anfang an von Belang. Stachelhaus erinnert sich an eine Veranstaltung in Berlin. Ihr Handy vibrierte - eine SMS. Die schockierende Nachricht: Ihr Mann musste ins Krankenhaus. Intensivstation. Sofort bläst sie all ihre Termine ab, fährt auf direktem Weg zu ihm. "In solchen Fällen müssen die Mitarbeiter Bescheid wissen", sagt Stachelhaus. "Sonst können sie mein Verhalten nicht nachvollziehen."

Mutmaßungen entgehen

Und das wäre fatal. Denn wer vertraut einer Chefin, die wichtige Verabredungen unter Vorgabe fadenscheiniger Gründe absagt? Niemand.

Als Stachelhaus beschließt, wegen der Krankheit ihres Mannes ihren Posten bei E.On aufzugeben, ist es aus ihrer Sicht an der Zeit, auch die Öffentlichkeit über ihre privaten Sorgen zu informieren. Alle sollten verstehen, warum sie geht. Schließlich stand die Managerin, als eine der wenigen Frauen im Vorstand eines Dax-Konzerns, schon seit Amtsantritt im Rampenlicht. "Hätte ich die Gründe für mich behalten, wäre reichlich spekuliert worden", sagt Stachelhaus. War die Belastung zu hoch? Konnte sie sich nicht gegen die Männer durchsetzen? War sie doch nur eine Quotenfrau und nicht qualifiziert genug? "Solchen Mutmaßungen wollte ich entgehen." Gleichzeitig aber das Heft des Handelns in der Hand behalten. Über Details der Krankheit ihres Mannes spricht sie nie, Hausbesuche von Reportern lehnt sie ab.

"Am besten gibt man immer nur so viel von seinem Privatleben preis", empfiehlt Personalberater Heiner Thorborg, "dass Missverständnisse ausgeschlossen sind."

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