Digital Farming

Disruption in der Landwirtschaft

18.05.2018


Dries Guth verantwortet seit 2016 das IoT Innovation Lab der itelligence AG. Er hat ein Studium der Neuroinformatik und Künstliche Intelligenz an der Universität Bielefeld absolviert.
Es ist an der Zeit, über die Disruption in der Landwirtschaft zu reden. IoT-Technologien, künstliche Intelligenz, Robotersysteme und Satellitenbilder haben das Potenzial, die bisherige Vorstellung von Landwirtschaft von Grund auf zu verändern.

In diesem Beitrag bekommen Sie Einblicke in unsere Innovations- und Forschungsprojekte, mit denen wir uns in unseren IoT InnovationInnovation Labs gemeinsam mit Kooperationspartnern, Kunden und digitalen Agrarexperten beschäftigen, um Lösungen für die globalen Herausforderungen im Bereich Ernährung und Landwirtschaft der Zukunft zu finden. Alles zu Innovation auf CIO.de

So könnte Digital Farming aussehen: Selbstfahrende landwirtschaftliche Maschinen, die ihre Route aufgrund von aktuellen Analysen erhalten.
So könnte Digital Farming aussehen: Selbstfahrende landwirtschaftliche Maschinen, die ihre Route aufgrund von aktuellen Analysen erhalten.
Foto: Beros919 - shutterstock.com

Dass nur einige wenige, weltweite Konzerne den Markt für Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion beherrschen, ist an sich nichts Neues. Ab Mai 2018 werden voraussichtlich nur noch drei Konzerne rund 60 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes kontrollieren und ihre Marktmacht in den kommenden Jahren weiter ausbauen. Davor warnt die IPES – ein Expertengremium für nachhaltige globale Ernährungssysteme.

Natürlich geht es um einen riesigen Markt. Prognosen der Bayer AG zufolge könnte der weltweite Markt für Saatgut- und Pflanzenschutz in den nächsten beiden Jahren auf ein Volumen von 100 Milliarden US-Dollar ansteigen. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 hatte Bayer für den Markt noch eine Größe von 50 Milliarden US-Dollar berechnet. Hauptgrund für dieses rasante Wachstum ist die wachsende Weltbevölkerung. Laut einer Berechnung der Vereinten Nationen werden bis zum Jahr 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben.

Ein großer Teil dieser Menschen, schätzungsweise 7 Milliarden, wird in Städten leben– und die Städte selber werden die Versorgung mit Nahrung sicherstellen müssen. Deshalb ist neben dem effizienten Einsatz von Ressourcen im Rahmen von Precision Farming auch das Vertical Farming auf Flächen innerhalb von Megacities ein entscheidender Schritt zur Ernährung der Menschen.

Lesetipp: Was Sie über Landwirtschaft 4.0 wissen müssen

Die deutsche Land-, Forstwirtschaft und Fischerei erzielte 2016 einen Produktionswert von 51,1 Milliarden Euro. Der direkte Vergleich des Deutschen Bauernverbandes zu anderen Industrien zeigt die Bedeutung. Der Produktionswert des gesamten deutschen Textil-, Bekleidungs- und Schuhgewerbes zusammen liegt bei etwa 22,4 Milliarden Euro, der Produktionswert der pharmazeutischen Industrie wird mit rund 46,2 Milliarden Euro berechnet.

Doch viele Menschen verbinden Landwirtschaft mit Romantik und Handarbeit und die tägliche Werbung leistet ein übriges, um diese Klischees zu füttern. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Bei Aussaat und Ernte nutzen die Maschinenparks der landwirtschaftlichen Betriebe GPS-Daten. Mähdrescher werden automatisiert über die Felder gesteuert. Der Führerstand dieser Maschinen ist mit dem Cockpit eines Flugzeuges zu vergleichen, Sensoren analysieren die Bodenbeschaffenheit.

Ein Sachstand-Dokument der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit dem Titel "Digitalisierung in der Landwirtschaft" aus dem Jahr 2016 gibt eine gute Übersicht über Technologien, Kennzahlen, Anwendungsbeispiele und Marktstudien.

Laut einem im Dokument zitierten Artikel aus der Wirtschaftswoche gelte die Landwirtschaft bei der Digitalisierung und Automatisierung als beispielhaft. Die Informationstechnologie mache etwa 30 Prozent der Wertschöpfung aus, schreiben die Autoren. In der Automotive Industrie sehen sie einen Anteil von gerade einmal zehn Prozent. Und sie verweisen auf die International Federation of Robotics, nach deren Angaben Landwirtschaftliche Betriebe bereits jeden vierten Serviceroboter bestellen.

Doch Digitalisierung ist mit hohen Kosten verbunden. Und obwohl viele Betriebe offensichtlich eine höhere Digitalisierung anstreben, haben sie Probleme die Kosten dafür aufzubringen.
Dies belegt eine gemeinsame Marktuntersuchung des IT-Verbandes Bitkom und des Deutschen Bauernverbandes. 60 Prozent der Landwirtschaftlichen Betriebe klagen über hohe Investitionskosten. Ein weiteres Problem bei der Digitalisierung sei, dass auf dem Land häufig keine Internetinfrastruktur vorhanden ist, geben jedenfalls 39 Prozent der Befragten an.

Landwirtschaft 4.0 Digital Farming
Landwirtschaft 4.0 Digital Farming
Foto: Bitkom, DBV

Trotz dieser enormen Hürden ist die digitale Kompetenz ganz offensichtlich für die Zukunft vieler Betriebe grundlegend wichtig – etwa ein Viertel möchte in diesem Bereich in die Fort- und Weiterbildung investieren.

Landwirtschaftliches Wissen + IT = Digital Farming

Denn es ist keine Frage: Digitale Kompetenz hat den Landwirtschaftlichen Betrieben neue Geschäftsmodelle und neue Anbaukonzepte eröffnet. Eines davon ist das „Precision Farming“. Mit der Unterstützung unterschiedlichster Datenquellen – beispielsweise Datenbanken über Bodenbeschaffenheit, Wachstumsmodelle von Saatgut, Wetter- und Unwettermeldungen – erhalten die Betriebe die Möglichkeit ihr Saatgut optimal für die Böden und deren Beschaffenheit abzustimmen.
Das Versprechen der Saatguthersteller ist ein garantierter Ertrag.

Digitale Plattformen sind hier der entscheidende Lösungsbaustein, um Analytics-Systeme, Künstliche Intelligenz, neue digitale Dienste, Daten und Bilder intelligent zu vernetzen. Die Betriebe profitieren – denn auf Basis exakter Daten wird Precision Farming erst möglich.

Doch diese Präzisionslandwirtschaft kann sich in Deutschland nur durchsetzen, wenn es gelingt, die Kosten der Digitalisierung schnell und nachhaltig zu senken. Der nächste Schritt ist ohne Frage der Wechsel in die Cloud und die damit verbundene Disruption der bisherigen Prozesse.

Lesetipp: Digitalisierung auf dem Acker

Im itelligence IoT Innovation Lab beschäftigen wir uns mit dieser Aufgabe. Die wichtigsten Frage sind:

  • welche disruptiven Technologien unterstützen die landwirtschaftlichen Geschäftsmodelle und

  • welche besonderen IoT-Werkzeuge benötigen die Landwirte.

Dabei ist es aus unserer Sicht wichtig, das Wissen rund um den Betrieb einer stabilen Infrastruktur und der nötigen Backbone-Systeme beispielweise innerhalb einer stabilen digitalen Cloud-Plattform bereitzustellen. Denn erst, wenn dieses Fundament gelegt ist, werden spezialisierte Anbieter und Datenquellen ihre Dienste auf dieser Plattform anbinden.

Precision Farming ist am Ende eine Frage der Orchestrierung der Datenquellen: Heute spricht ein Landwirt mit fünfzehn oder zwanzig verschiedenen Anbietern, die ihm alle die ein oder andere Information geben. Die Vision innerhalb eines Netzwerkes ist es aber, dass ein Portal dem landwirtschaftlichen Betrieb alle benötigten Informationen fertig verarbeitet und ausgewertet anbietet. Ziel muss es sein, eine Plattform aufzubauen, deren Algorithmen alle Daten so auswerten, dass dem Landwirt die für ihn wichtige Information bereitstehen. Eine Plattform, die einen garantierten Ernteerfolg berechnen und vorhersagen kann. Auf dieser Basis kann jeder Landwirt seinen Betrieb und seinen wirtschaftlichen Erfolg klug und vorausschauend planen.

Einige Beispiele, wie die Digitalisierung dem Precision Farming schon heute zu neuen Möglichkeiten verhilft:
Geodaten und Satellitenbilder
Das Kopernikus-System liefert Satellitenbilder der Erde: Die Bilder sind frei zugänglich und die Grundlage für Geodaten und Bodenanalysen.

Karten und GPS-Daten
Betriebe zeichnen ihre Flächen und Schläge in Karten ein. Eine digitale Plattform bewertet die Felder, ermittelt die Bodenbeschaffenheiten und schickt Ratschläge für deren Bewirtschaftung.

Saatgut und Wachstumsmodelle
Saatgut-Lieferanten verkaufen den Landwirten einen garantierten Ertrag. Die Wachstumsmodelle sind bekannt, die Saat wird optimal an Böden und Klima angepasst.

Informationen über Boden und Ertrag
Aufgrund der Bodenbeschaffenheit und mithilfe eines Abgleichs mit den Wachstumsmodellen des Saatgutes kann die Plattform sehr genaue Angaben zu dem erwarteten Ertrag machen.

Bilderkennung und KI gegen Krankheiten und Ungeziefer
Anhand von Bildern erkennt die Künstliche Intelligenz, ob ein Feld oder eine Pflanze von Krankheiten oder Ungeziefer befallen sind. Insbesondere hier zeichnet sich durch den Eintritt einiger vielversprechender Startups eine Disruption in der Bewertung- und Erkennung von Pflanzenkrankheiten ab.

Wetterdaten und prognostizierte Wetterdaten

Die Feuchtigkeit der Böden hat einen direkten Einfluss auf die Bodenbeschaffenheit sowie auf das Wachstum der Saat und damit wiederum auf den garantierten Ertrag. Eine Analytics-Engine kann diese Daten auswerten und so den Landwirten exakte Vorschläge machen, wann und wo welche Saat den größten Erfolg für das Unternehmen versprechen.

In einem aktuellen Innovationsprojekt werden Teile dieser Ansätze auf die Gegebenheiten und Anforderungen von Smart Cities angewendet. Eine Farming Plattform für zukünftige Landwirtschaft in Städten, hier werden die Verfahren und Werkzeuge des Precision Farming mit dem Vertical Farming verbunden.

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