Fridays for Future

Ein Jahr Angstmacherin Greta Thunberg

18.08.2019
Am 20. August 2018 hätte Greta Thunberg eigentlich zur Schule gehen müssen. Stattdessen streikte sie zum ersten Mal fürs Klima. Aus ihrem einsamen Protest ist schnell eine internationale Bewegung geworden. Doch es gibt Gegenwind - nicht nur bei ihrer Atlantik-Überfahrt.
Greta Thunberg auf einer Veranstaltung in Rom.
Greta Thunberg auf einer Veranstaltung in Rom.
Foto: Daniele COSSU - shutterstock.com

Vor einem Jahr hockte sich ein damals 15-jähriges Mädchen vor den Reichstag in Stockholm, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Ihren Namen kannte damals kaum jemand: Greta Thunberg. Heute ist die junge Schwedin eines der bekanntesten Gesichter der Erde, ihrem Vorbild zum Klimaprotest folgen Abertausende vor allem junge Menschen in aller Welt, besonders viele davon in Deutschland. Aus dem stillen Protest einer einzelnen ist innerhalb eines Jahres eine Weltbewegung geworden - und aus dem einst unbekannten Mädchen eine Kandidatin für den Friedensnobelpreis.

Protest statt Schule

Am 20. August 2018 war all das völlig undenkbar. An dem Tag fing für Thunberg das neue Schuljahr an, neunte Klasse, das letzte Jahr vor dem Wechsel aufs Gymnasium. Statt in den Unterricht ging sie vor den Reichstag in Stockholm und setzte sich im Schatten des Gebäudes mit einem Schild mit der Aufschrift "Skolstrejk för klimatet" (Schulstreik fürs Klima) auf den Boden. Bis zum Tag der schwedischen Parlamentswahl Anfang September werde sie aus Protest fürs Klima nicht zur Schule gehen, kündigte das Mädchen damals auf einem DIN-A4-Zettel an, von dem sie einige Kopien vor ihr Protestschild gelegt hatte.

"Ich habe mir damals gedacht, dass ich etwas tun muss", sagte Thunberg kürzlich in einem schwedischen Podcast einer Mitschülerin. Nachdem sie sich lange mit Klimawandel und Erderwärmung beschäftigt habe, sei sie an der Erkenntnis verzweifelt, dass niemand etwas für das Klima unternehme. Also setzte sie sich vors Parlament. Die Leute seien zunächst einfach so an ihr vorbeigegangen, ohne ihr Beachtung zu schenken, sagt sie rückblickend. "Das war ein hoffnungsloses und einsames Gefühl. Aber auch ein ziemlich hoffnungsvolles, dass ich etwas mache."

Klima-Kampagne

Nach kurzer Zeit entschloss sich die Schülerin, die Aktion immer freitags abzuhalten. Was folgte, ist bekannt: Mit regelmäßigen Einträgen auf Twitter, Facebook und Instagram begeisterte sie Schüler in verschiedenen Ländern dafür, ihrem Beispiel zum Klimaprotest zu folgen. Auftritte wie der auf der Weltklimakonferenz im polnischen Kattowitz oder der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ("Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen, denn das tut es.") taten ihr Übriges. Mittlerweile wird jeden Freitag in rund 100 Ländern regelmäßig fürs Klima protestiert.

In Deutschland ist die Bewegung, die sich den Titel Fridays for Future gegeben hat, besonders stark gewachsen. Erste größere Proteste gab es in Berlin, Hamburg, München und Köln bereits im Dezember 2018. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut", skandieren junge Deutsche immer freitags, um die Bundesregierung zu einem beherzteren Einsatz gegen die Klimakrise aufzurufen. Dreimal war Thunberg bislang selbst bei Protesten in Deutschland dabei, erst in Hamburg, dann zweimal in Berlin. Vor wenigen Tagen besuchte sie erstmals den Braunkohletagebau Hambach - mit dem umkämpften Hambacher Forst wohl der symbolträchtigste Ort der deutschen Klimabewegung.

Gretas Einfluss reicht bis Deutschland

Der Ruf der Klimademonstranten ist längst in Bundestag und Kanzleramt angekommen, Debatten wie die über eine CO2-Steuer sind die Folge. Damit hat Thunberg letztlich auch die deutsche Gesellschaft verändert. "Greta und Fridays for Future haben sicherlich die Politik und Öffentlichkeit aufgeweckt", sagt Klimaforscher Stefan Rahmstorf. "Die Debatte in Deutschland hat sich verändert, viele nehmen das Thema jetzt erstmals ernst." Ob daraus konkrete politische Maßnahmen gegen die Klimakrise entstehen, müsse sich aber erst noch zeigen.

In den vergangenen Monaten ist Thunberg mit Preisen überhäuft worden, unter anderem erhielt sie die höchste Auszeichnung von Amnesty International. Manche sehen in ihr bereits die nächste Friedensnobelpreisträgerin. Sie traf Menschen wie Obama und den Papst, Lob gab es unter anderen vom Dalai Lama.

"Der zutiefst verstörte Messias der Erderwärmungsbewegung"

Aber nicht jeden kann Thunberg mit ihrer Botschaft abholen. Zu krass ihre Ideale, zu groß die Angstmache vor der Klimakrise, meinen manche. In einem Beitrag in der australischen Zeitung "Herald Sun" wurde sie letztens gar als "der zutiefst verstörte Messias der Erderwärmungsbewegung" bezeichnet. "Ich habe noch nie ein so junges Mädchen mit so vielen psychischen Störungen gesehen, die von so vielen Erwachsenen wie ein Guru behandelt wird", schrieb der Kolumnist Andrew Bolt über die junge Schwedin und ihre Asperger-Erkrankung, die Thunberg selbst als Vorteil bezeichnet.

Thunberg lächelt solche Beleidigungen weg, auch wenn immer wieder durchklingt, dass solche Attacken nicht so leicht für eine 16-Jährige zu verdauen sind. "Man kann heute nicht mehr für etwas Gutes stehen, ohne dafür infrage gestellt zu werden, Todesdrohungen zu erhalten und gehasst zu werden. Es ist sehr traurig, wohin wir da gekommen sind", sagte sie in dem Podcast. "In jüngster Zeit gab es eine gewaltige Polarisierung in der Gesellschaft, nach dem Motto, du bist entweder für Greta oder gegen sie." Mit einem Lächeln sagt sie aber auch: "Die meiste Kritik ist eigentlich ziemlich lustig." Sie zeige letztlich nur, dass ihren Gegnern die Argumente fehlten.

Klima-Diskussion allgegenwärtig

Die Kritik von vielen Seiten beweist auch: Die Klimaschutzbewegung wird nicht mehr bloß belächelt. Die Weltöffentlichkeit verfolgt Thunberg mittlerweile auf Schritt und Tritt. Fotos von Thunberg neben vermummten Aktivisten im besagten Hambacher Forst lösen somit sofort Diskussionen aus, ebenso Berichte, es habe auf einer Fridays-for-Future-Konferenz in Lausanne Streit über einen Forderungskatalog der Bewegung gegeben. Das Klima ist stärker in den medialen Fokus gerückt - die Personen hinter der Bewegung aber auch.

Unabhängig davon konzentriert sich Thunberg nun auf ihre nächste Mission: Mit einer Hochseejacht ist sie am vergangenen Mittwoch in Richtung USA gestartet. Drüben auf der anderen Atlantikseite beginnt die nächste Phase in ihrem Klimakampf, es warten unter anderem der UN-Klimagipfel in New York im September und die Weltklimakonferenz in Chile im Dezember auf sie. Rund um den New Yorker Gipfel wird weltweit in einer Aktionswoche besonders ausdrücklich fürs Klima gestreikt - mit der Initiatorin erstmals in der Welthauptstadt. Thunberg nimmt für all das ein Jahr Schulpause, um sich in Übersee ausschließlich aufs Klima konzentrieren zu können.

Segeltörn über den Atlantik in die USA

Dass ihr erster Segeltörn gleich quer über den Atlantik geht, ist für ein Mädchen durchaus bemerkenswert, für das es einst ein Erfolg war, vor die Haustür und in den Supermarkt zu gehen. Thunberg hat in ihren 16 Lebensjahren nie gern geredet oder Kontakte gesucht, für ihre Sache ist das aber unumgänglich. "Ich bin nicht so, wie die Leute denken. Ich bin ziemlich ruhig. Privat spreche ich so gut wie gar nicht", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur zu Jahresbeginn in einem Interview in Stockholm.

Thunbergs leise Stimme darf nicht über ihre klare Botschaft hinwegtäuschen. "Greta sagt die Dinge sehr, sehr deutlich und kompromisslos. Sie lässt kein Hintertürchen offen. Genau deswegen macht sie die Menschen aufmerksam und nimmt vor allem die junge Generation mit", sagt der Meteorologe und TV-Moderator Sven Plöger. Boris Herrmann - der Profisegler, der sie in diesen Tagen über den Atlantik bringt - sagt: "Sie ist bereit, das Unbekannte und ein Stück weit auch Unkontrollierbare für ihre Mission in Kauf zu nehmen. Das zeigt, wie weit Greta für ihre Botschaft bereit ist zu gehen."

Zukunftsvision CO2-freies Reisen

Doch bei ihrem Vorhaben muss Thunberg auch an ihrem kompromisslosen Idealismus gemessen werden: Kaum jemand bekommt wie sie die Möglichkeit, mit einem Spezialboot nach New York fahren zu können - eine Alternative für alle ist diese Form des Reisens logischerweise nicht. Der Besitzer der "Malizia", der Stuttgarter Immobilienunternehmer Gerhard Senft, sieht in dem Transatlantik-Törn dennoch große Symbolkraft. "Natürlich kann das nicht jeder machen, aber es ist ein Anfang. Jetzt muss man daran arbeiten, dass es für die große Masse möglich wird, CO2-neutral um die Welt zu reisen", sagte er der "Stuttgarter Zeitung".

CO2-freies Reisen bleibt heute in der Tat noch eine Zukunftsvision. Auch in anderen Bereichen steht die Frage im Raum, wie die Gesellschaft dem Weg der Idealistin Thunberg am besten folgen kann. Viele fühlen sich von ihrer extrem konsequenten Haltung überrumpelt. Indem sie etwa nicht fliege und vegan lebe, stelle sie grundlegende Einstellungen mancher Menschen infrage, sagte der Sozialpsychologe Ulrich Wagner von der Universität Marburg dem Nachrichtenportal "t-online.de". "Das können wir nicht gut vertragen." Thunbergs Verhalten zwinge die Menschen dazu, über sich selbst nachzudenken und ihre Ansichten selbstkritisch zu betrachten.

Gleichzeitig herrscht vielerorts Einigkeit, dass etwas für das Klima getan werden muss - nicht zuletzt die Rekordhitze in Deutschland und anderswo in Europa hat viele zu dieser Erkenntnis gebracht. Was vor einem Jahr mit einem Protestschild und ein paar Zetteln vor dem Stockholmer Reichstag begonnen hat, hat somit auf lange Sicht zu einem Umdenken geführt. Und Thunberg hat auch bewiesen, dass niemand zu klein dafür ist, Wandel in der Gesellschaft herbeizuführen. "No One Is Too Small to Make a Difference" ist einer ihrer Leitsprüche - niemand ist zu klein, um einen Unterschied zu machen. (dpa/rs)

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