Digitalisierung in Zeitlupe

Energieversorger drohen abgehängt zu werden

Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Die Verantwortung ruht auf vielen Schultern

In der Umfrage wird auch danach gefragt, wer die organisatorische Verantwortung für den digitalen Umbau hat. Ergebnis: Sie ist meistens (57 Prozent) auf mehrere Business-Bereiche verteilt. Die Zentral-IT ist nur in sieben Prozent der Fälle zuständig, weitere sieben Prozent haben die Verantwortung auf mehrere IT-Bereiche verlagert. Außerdem kann die Zuständigkeit in einem oder mehreren Business-Bereichen, einem eigenständigen Bereich außerhalb von IT und Business oder in einer Stabsfunktion angesiedelt sein. Auffällig dabei: Zwei Drittel der Befragten sind sich nicht sicher, ob ihre derzeitige Aufstellung eine Langfristlösung sein wird.

Welche Ansätze der Digitalisierung haben für Versorger Bedeutung und welche wurden schon umgesetzt?
Welche Ansätze der Digitalisierung haben für Versorger Bedeutung und welche wurden schon umgesetzt?
Foto: Ardour Consulting

Die Frage, welche Ansätze Versorger im Rahmen der Digitalisierung verfolgen, ergab überraschende Ergebnisse. Die meisten Vorstände (66 Prozent) denken demnach zunächst an eine Zusammenarbeit mit Startups. Ebenfalls beliebt ist das Aufbauen neuer Disziplinen wie Data Science (64 Prozent), das Nutzen privater oder öffentlicher Cloud-Technologien sowie agile Arbeitsmethoden (Scrum, Design Thinking). Alle anderen Aspekte, etwa der Aufbau eines eigenen Digital Lab oder die Einführung einer CDO-Rolle, folgen mit einigem Abstand. Bereits umgesetzt wurden der Cloud-Einsatz (52 Prozent), neue Arbeitsmethoden (39 prozent) und die Kooperation mit Startups (38 Prozent).

Die Technik ist nach Meinung der meisten Befragten nicht der Hemmschuh auf dem Weg in die digitale Zukunft. Schwierigkeiten treten eher dort zutage, wo es gilt die Organisation zu verändern und die Rollen und Prozesse zu optimieren. Es gilt, besser bereichsübergreifend zusammenzuarbeiten, IT-Projekte erfolgreich umzusetzen, die Kommunikation zu verbessern, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln sowie mehr über die Kunden in Erfahrung zu bringen.

Keine Digitalstrategie

Ernüchternd fallen die Antworten auf die Frage nach einer ausformulierten Digitalisierungsstrategie aus: 93 Prozent der EVU haben keine! Die Studienmacher von Ardour Consulting sehen sich mit dieser Feststellung nicht allein: Die Beraterkollegen von PwC hatten in der Studie "Deutschlands Energieversorger werden digital" ermittelt, dass 17 Prozent der EVU eine Digitalisierungsstrategie verfolgten. Auch wenn das fast doppelt so viele sind, ist die Tendenz erschreckend. Damit werden Auswirkungen und Potenziale offenbar noch nicht systematisch bewertet, keine Zielbilder entwickelt und keine strategischen Maßnahmen definiert.

IT-Strategie wird nur selten erneuert

Immerhin gibt es in 73 Prozent der EVU eine IT-Strategie, die von der Hälfte der Befragten allerdings nur alle fünf Jahre erneuert wird. Die Ardour-Berater glauben, dass die Versorger "Fähigkeiten, Prozesse, Rollen und Ressourcen aufbauen müssen, um in kürzeren Zyklen von 1-2 Jahren regelmäßig ihre IT-Strategie zu erneuern." Dazu sei eine stärker strategisch denkende und handelnde IT-Organisation nötig. IT-Chefs müssten die Bedeutung der IT für ihre Unternehmen herausarbeiten und die Zusammenarbeit mit dem Business attraktiver gestalten.

Strategische Stoßrichtungen in Sachen Digitalisierung in der Energiewirtschaft
Strategische Stoßrichtungen in Sachen Digitalisierung in der Energiewirtschaft
Foto: Ardour Consulting

Die Vorstände wollen ihre IT-Verantwortlichen dabei nicht alleine lassen: Fast 90 Prozent sehen das Entwickeln einer IT-Strategie als eine Aufgabe an, die die Verantwortlichen im gesamten Unternehmen fordert. Wichtigste Ziele sind demnach ein höherer Gesamtnutzen von IT-Investitionen, eine verbesserte Effizienz und mehr Agilität durch neue Vorgehensweisen.

Gleichzeitig muss sich die Rolle der IT generell ändern. Fast 70 Prozent der Befragten sehen die IT-Organisationen nicht als Innovatoren, mehr als die Hälfte glaubt zudem nicht, dass sie Multi-Supplier-Umgebungen managen kann. Auch die Rolle als "Business-Partner", der auf Augenhöhe berät, scheint unterentwickelt. Konsens besteht hingegen darin, dass die IT Infrastrukturen entwickeln und betreiben kann (73 Prozent), als interner Full-Service-Anbieter positioniert ist (79 Prozent) und dass sie IT-Anwendungen entwickeln und betreiben kann (60 Prozent). Als Business-Berater wird sie jedoch nicht wahrgenommen.

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