Albtraum Transparenz

Es lebe das Geheimnis!

27.10.2014
Von Ferdinand Knauß

Völlig geheimnisfreie Organisationen sind unter anderem deswegen unrealisierbar, weil Geheimnisse, also nicht öffentliches Wissen, eine der Quellen von Macht sind. Und eine Firma oder einen Staat ohne Macht liegt jenseits des menschlichen Erfahrungsraumes. Daher ist das Versprechen der Transparenz nicht, wie der BND-Chef und die nordrhein-westfälische Durchblicksinitiative behaupten, eine Voraussetzung für Vertrauen. Eher das Gegenteil ist der Fall.

Der Albtraum der Transparenz

Eine imaginäre Behörde oder ein Unternehmen, das konsequente Transparenz zum obersten Ideal erhebt und damit den Menschen den - letztlich unerfüllbaren - Anspruch erlaubt, braucht nämlich eigentlich gar kein Vertrauen. Vertrauen braucht nur derjenige, der nicht alles preisgibt. Wer alles sieht und weiß, muss nicht mehr vertrauen, denn er weiß ja alles. Aber bekanntlich tut das nur der liebe Gott. Weil der Anspruch auf Transparenz nie völlig einlösbar ist, säht er eher Misstrauen gegen die eben doch nicht ganz durchschaubaren Institutionen und ihre Amtsträger.

Seltsam, wie unreflektiert von der Transparenz geschwärmt wird. Letztlich träumen die unkontrollierten Datensammler der Geheimdienste ebenso wie die globalisierte Allianz der Spionagekritiker von Wikileaks über den Chaos Computer Club bis zum Whistleblower-Netzwerk denselben "Transparenztraum", wie Manfred Schneider in seinem gleichnamigen Buch erkannt hat. Der Unterschied zwischen beiden ist nur, dass erstere alles alleine wissen wollen, während letztere wollen, das alle alles wissen. Beide Wünsche geben totalitäre Ziele vor, die nie endgültig erreichbar sind. Und genau das macht sie gefährlich: Sie haben nie genug.

Seltsam, wie kleinlaut sich dagegen der Anspruch auf das Geheimnis im öffentlichen Diskurs gibt. Nicht erst heute. Das Kapitel über das Geheimnis in Georg Simmels Hauptwerk "Soziologie" von 1906, in dem er feststellt, dass es "eine der größten Errungenschaften der Menschheit" ist, hat im Gegensatz zu vielen anderen seiner Erkenntnisse so gut wie keine Resonanz erfahren.

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