Wolfgang Ischinger über den Cyberkrieg

"Früher hätte man Geiseln genommen"

16.12.2014
Von Christof Kerkmann
Viele Kriege toben auch im Internet: Terroristen werben online Nachwuchs, Stromnetze sind für Cyberattacken anfällig. Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger fordert, dass der Westen aufrüstet und sich notfalls wehrt.

Wolfgang Ischinger hat den Kalten Krieg als Diplomat miterlebt und die deutsche Außenpolitik über Jahre mitgestaltet- nun beobachtet der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, wie das Internet zum Schlachtfeld der Zukunft wird. Im Interview spricht er über die Gefahren von Cyberangriffen aufs Stromnetz und warum Abschreckung auch im digitalen Zeitalter wirkt. Das Gespräch wurde auf dem Cybersecurity Summit der Deutschen Telekom geführt.

Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger: "Ist der Cyberangriff nicht genauso zu werten wie ein klassischer militärischer Angriff?"
Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger: "Ist der Cyberangriff nicht genauso zu werten wie ein klassischer militärischer Angriff?"
Foto: Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (gemeinnützige) GmbH

Herr Ischinger, wie wirken sich die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten auf die Cybersicherheit aus?

Wir haben ein neues Spielfeld für militärische Akteure. Das wird seit geraumer Zeit befürchtet, aber wir erleben 2014 zum ersten Mal massiv und an mehrere Stellen eine hybride Kriegsführung.

Was heißt das?

Das ist eine neuartige Mischung. Es gibt klassische Instrumente der Kriegsführung - sprich: Panzer, Mörser, uniformierte Soldaten. Und es gibt Menschen, die nicht als Soldaten erkennbar sind. Das macht sich zum Beispiel bemerkbar bei der Rekrutierung von Terroristen übers Internet. Die meisten Leute werden nicht von Personen angeheuert, sondern mit diesen wahnsinnigen Bildern von Enthauptungen geködert. Das Netz wird zudem benutzt als Instrument zur massiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung, in einer Weise, von der Herr Goebbels nur träumen konnte.

Welche Gefahren sehen Sie konkret?

Wir müssen damit rechnen, dass Gruppen, die ohnehin internetaffin sind, offensive Mittel der CybertechnologieCybertechnologie anwenden und ihren Gegnern Schaden hinzufügen. Wenn der Krieg als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung nach Europa zurückgekehrt ist, dann wird es nicht lange dauern, bis diese modernen Möglichkeiten zumindest wirtschaftlichen Schaden hervorrufen. Das ist die schöne neue Welt, vor der wir uns sehen. Alles zu Security auf CIO.de

Drohen auch Deutschland Cyberangriffe?

Lassen Sie mich die Frage zurückstellen: Würden Sie eine Wette eingehen, dass der sogenannte Islamische Staat nicht solche Mittel einsetzen würde, um Italien, Griechenland oder auch Deutschland unter Druck zu setzen? In früheren Konflikten hätte man Geiseln genommen. Stattdessen wäre das Lahmlegen eines Kraftwerks oder einer Fabrik eine großartige Möglichkeit modernster Kriegsführung. Nach dem Motto: Ihr werdet sehen, was euch das kostet, wenn ihr so weiter macht. Das ist eine moderne Beeinflussung des Gegners. Wir müssen für solche neuartigen Fragestellungen nicht nur technologisch gerüstet sein, sondern auch politisch-psychologisch. Wie sollen auf solche Propaganda-Aaktivitäten reagieren?

Sind wir wenigstens technologisch gerüstet gegen solche Sabotageakte?

Sicher nicht gut genug. Es hilft ja nichts, wenn in Deutschland kein einziges Kraftwerk übers Internet erreichbar wäre, wenn gleichzeitig in einem unserer europäischen Nachbarländer das Licht ausgeht - wir sind ja vernetzt, was die Gas- und Stromleitungen angeht, was die Kommunikationsnetze angeht. Wenn der große Internetknoten in Frankfurt aus welchen Gründen auch immer für ein paar Stunden ohne Strom wäre, würde die gesamte europäische Bankenindustrie lahmgelegt werden. Das ist ein Thema für die gesamte Europäische Union und für die Nato.

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