Mehr analog als digital

Führungskompetenzen in der Digitalisierung

Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.
Welche Fähigkeiten benötigen Führungskräfte, um im digitalen Zeitalter erfolgreich und nachhaltig zu führen? Dieser Frage geht eine Meta-Studie des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) nach.
  • Meta-Studie wertete 30 Befragungen aus
  • Disziplin und Risikobereitschaft spielen gar keine Rolle
  • Menschlichkeit und Vertrauen liegen im Ranking weit vorne
  • Agilität und disruptives Führen könnten Trenderscheinungen sein
Kompetenz-Ranking der Meta-Studie des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ).
Kompetenz-Ranking der Meta-Studie des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ).
Foto: IFIDZ

Im digitalen Zeitalter müssen sich die Führungskräfte umstellen, also auch die CIOs. "Disruptiv" und "agil" lautet das neue Management-Credo. Oder etwa nicht? Falls das so sein sollte, dann sind deutsche Führungskräfte dem Glaubensmanagement der digitalen Ära bisher abhold geblieben, wie eine Studie des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) zeigt.

Silicon Valley offenbar kein Führungsvorbild

Ob die genannten neuen Führungskompetenzen tatsächlich unausweichlich sein werden in naher Zukunft, lässt die Studie offen. Fest steht: Im Silicon Valley ist disruptives und agiles Führen ziemlich en vogue; hierzulande überhaupt nicht. Die IFIDZ-Studie betont demgegenüber, dass offensichtlich traditionelle Führungskompetenzen auch in vermeintlich neuen Zeiten zentral geblieben sind.

30 Studien ausgewertet

Die Studie des in Frankfurt am Main ansässigen Instituts ist im Übrigen eine besondere Untersuchung: eine Meta-Studie, die nicht auf der Auswertung eigener Befragungsergebnisse fußt, sondern auf der Analyse von 30 Studien und Umfragen aus den Jahren 2012 bis 2016. Analysiert wurde Material unter anderem von Accenture, Deloitte, Hays und Kienbaum, von der Deutschen Telekom, IBM und dem Bundesforschungsministerium. In der Summe wurden laut IFIDZ in den zu Grunde liegenden Untersuchungen 18.274 Menschen befragt, darunter mehrheitlich Führungskräfte.

Die Leitfrage der Meta-Studie ist eine, die jeden Praktiker in Führungsverantwortung per se interessiert: Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte, um im Zeitalter der DigitalisierungDigitalisierung erfolgreich und nachhaltig führen zu können? Gerade weil dazu in schneller Abfolge Studien veröffentlich werden, wollte das Institut die Quintessenz aus einer Fülle dieser Publikationen ziehen. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Verlässlicher Überblick über den Stand der Diskussion

Mit einer durchaus bescheidenen Haltung zum eigenen Tun: Das Ergebnis sei nicht als verlässliches und abschließendes Bild der relevanten Kompetenzen zu verstehen, sondern als guter und verlässlicher Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion. Das entstandene Ranking liefere "im Kompetenz-Dschungel" einen "ersten Indikator, wohin die Reise gehen könnte".

71 relevante Kompetenzen wurden in allen Basis-Studien genannt. Mit Abstand am häufigsten - nämlich zu 70 Prozent - taucht Kommunikation "als Meta-Kompetenz des digitalen Zeitalters" vorne im Ranking auf. Explizit als Kompetenzen aufgeführt werden in den Studien auch Aspekte, die das IFIDZ dem Bereich Kommunikation zuordnet: "Feedback geben" mit 23 Prozent, "zuhören" mit 10 Prozent und "analog vor digital" mit 7 Prozent.

Menschlichkeit wichtig

Zweitwichtigste Kompetenz im Ranking mit 50 Prozent ist "Menschlichkeit". In der Studie heißt es dazu: "Der Begriff Menschlichkeit ist so in keiner der Studien oder Umfragen verwendet worden. Wir haben ihn als Sammelbegriff gewählt, um die verschiedenen Aussagen zusammenzuführen, die das grundsätzliche Verlangen nach mehr Wertschätzung, Respekt und Akzeptanz des Mitarbeiters als Mensch und Individuum auszudrücken."

Mit 37 Prozent auf den Plätzen Drei bis Fünf im Ranking folgen Transparenz, Vertrauen schaffen und Vernetzungsfähigkeit. Dahinter mit 33 Prozent Entscheidungsfähigkeit/-stärke und "Hierarchie verlernen" - ein vom Institut konstruierter Begriff, um Kompetenz im Bereich der Auflösung von Hierarchien zu fassen.

Digitale Medienkompetenz und Teamfähigkeit

Ebenso häufig genannt wurden digitale Medienkompetenz und Teamfähigkeit - vom IFIDZ zusammen betrachtet als "Digital Teamship". Dahinter folgen mit jeweils 27 Prozent eher klassische Führungskompetenzen: Kooperationsfähigkeit, Kreativität und Innovationen, Kundenorientierung, Motivation und Veränderungsfähigkeit.

Belastbarkeit und Fehlerkultur/Kritikfähigkeit weit hinten

Die Autoren der Studien zeigen sich überrascht, dass bestimmte Kompetenzen innerhalb der Rangliste weit unten zu finden sind oder überhaupt nicht in den Basis-Studien genannt wurden. Von geringer Relevanz sind demnach Führen auf Distanz mit 20 Prozent, Belastbarkeit sowie Fehlerkultur/Kritikfähigkeit mit jeweils 13 Prozent, die eingangs genannten Trendbegriffe Agilität und disruptives Führen mit jeweils 10 Prozent, Konsequenz mit 7 Prozent und Gerechtigkeit/Fairness mit nur 3 Prozent. Gar nicht erwähnt in den Studien wurden Begriffe wie Akquisitionsstärke, Beratungsfähigkeit, Disziplin, Experimentierfreude, Humor und Risikobereitschaft.

"Kompetenzen des analogen Zeitalters dominieren die Erwartungen an Führungskräfte", urteilt das IFIDZ. "Neue Kompetenzen der Digitalisierung bilden eine wichtige Ergänzung." Bereits in den Top-Ten finden sich Vernetzungsfähigkeit, "Hierarchie verlernen" und Medienkompetenz. Dahinter folgen als Beispiele Führen auf Distanz, IT-Kompetenz und Partizipationsfähigkeit.

Der Begriff "agil" taucht erst 2016 auf

Ebenfalls hinten in der Rangliste liegt das Begriffspaar "disruptiv" und "agil". Die Studie nährt durchaus den Verdacht, dass es sich dabei um Modewörter handeln könnte. Der Begriff "disruptiv" sei jedenfalls nur in Studien des Jahres 2015 häufig zu finden, 2016 aber nicht mehr. "Agilität" wiederum wurde 2012 bis 2015 gar nicht genannt, sondern erst 2016.

Aus der IFIDZ-Studie: die wachsende Häufung des Modebegriffs "Disruption" in Print-Medien.
Aus der IFIDZ-Studie: die wachsende Häufung des Modebegriffs "Disruption" in Print-Medien.
Foto: IFIDZ

Die in Deutschland anzutreffende Zurückhaltung gegenüber diesen Begriffen kann laut Studie aber auch daran liegen, dass hierzulande eher passiv als aktiv geführt werde und ein mehr traditionelles als modernes Innovationsverständnis vorherrsche.

Bestenfalls 'Half Digital Natives'

Einen Indikator dafür liefert eine Analyse von Russel Reynolds Associates, die als eine der 30 Basis-Studien vom IFIDZ analysiert wurde. Darin heißt es: "In den USA finden sich 'Productive Disruptors' häufiger als in anderen Teilen der Welt als CEO an der Unternehmensspitze. In Europa hingegen und insbesondere in Deutschland ist die aktuelle Manager-Generation schon biografisch nicht optimal für die neuen Herausforderungen aufgestellt. Bestenfalls kann sich diese als 'Half Digital Natives' bezeichnen."

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