Management

Intuition von Anfängern nicht unterschätzen

08.04.2013
Von Andreas Zeuch

Tacit Knowledge

Dieses Modell des "Erfahrungswissens" (tacit knowledge) erklärt hervorragend, warum Experten schneller, eleganter und oft treffsicherer zu Entscheidungen kommen als Anfänger. Das klassische Beispiel zur Illustration sind Schach(groß)meister, die den nächsten Zug und ihre Strategie wesentlich weniger durchdenken müssen als Anfänger. So wird auch schnell plausibel, warum Schachexperten in Synchronspielen gegen mehrere schwächere Gegner trotzdem häufig gewinnen können.

Was bei diesem Erklärungsmodell, das durchaus plausibel ist, jedoch so gut wie immer verschwiegen wird: Experten unterliegen naturgemäß häufiger der Erfahrungs- oder Erfolgsfalle als Anfänger. Wiederum ist der Grund simpel: Die aktuelle Erfahrung muss keineswegs deckungsgleich mit einer gespeicherten Erfahrung sein. Das führt dazu, dass die aktuelle Situation über die Klinge alter Erfahrungen geschoren wird. Sprich: Bedeutsame Unterschiede, die ein anderes Vorgehen als das bereits einmal oder mehrmals erlebte erfordern, werden übersehen. Die aktuelle Situation führt beim Experten dann zu derselben Entscheidung, die bereits einmal oder mehrmals erfolgreich war.

Expertise kann des Weiteren dazu führen, dass sich Experten ihrer Sache zu sicher sind. Es entsteht, was Nassim Nicholas Taleb, der Autor des Weltbestsellers Der Schwarze Schwan als epistemische Arroganz bezeichnet hat. Wir neigen auch als Experten dazu, unser Wissen und Können zu überschätzen, unser Nichtwissen jedoch zu unterschätzen.

Unbewusste Wahrnehmung und Informationsverarbeitung

Ausgesprochen falsch ist das Hohelied der Expertise, wenn sie zu dem Rat führt, Anfängerintuitionen nicht ernst zu nehmen. Denn neben dem Erklärungsmodell des Erfahrungswissens gibt es noch das genauso fundierte Erklärungsmodell der unbewussten Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Es ist mittlerweile unstrittig, dass wir unbewusst wesentlich mehr Daten wahrnehmen und zu Informationen weiterverarbeiten als bewusst. Und zwar immer. Unabhängig davon, ob wir in einem Gebiet schon Experte sind oder nicht.

Ein über 30 Jahre zurückliegendes wissenschaftliches Experiment illustriert diesen Mechanismus: Probanden wurden einige der Regeln einer sogenannten "künstlichen Sprache" beigebracht. Danach wurden ihnen Zeichenkombinationen gezeigt (zum Beispiel: XCAAF) und sie sollten spontan entscheiden, ob diese Zeichenfolge richtig oder falsch ist, also den Regeln entspricht. Das überraschende Ergebnis: Obwohl die Testpersonen nur einen Teil der Regeln zuvor bewusst erlernt hatten, antworteten sie weit überzufällig richtig (was unmöglich gewesen wäre, wenn die Testpersonen nur über die bewusst erlernten Regeln verfügt hätten).

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