Employer of Record

IT-Talente weltweit einstellen - so helfen Startups

Matthew Finnegan lebt in Großbritannien und schreibt für unsere US-Schwesterpublikation Computerworld zu den Thema Collaboration und Enterprise IT.
Remote Work eröffnet Unternehmen ganz neue Möglichkeiten, sich am weltweiten Arbeitsmarkt zu bedienen. Employer-of-Record-Dienste können helfen, Schwierigkeiten zu überwinden.
Recruiting rund um den Globus: Eine Reihe von Startups hilft Unternehmen dabei, diese Vision zu erträglichen Kosten umzusetzen.
Recruiting rund um den Globus: Eine Reihe von Startups hilft Unternehmen dabei, diese Vision zu erträglichen Kosten umzusetzen.
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Bevor Job van der Voort das Personalvermittlungs-Unternehmen Remote mitgründete, war er Vice President of Products bei der devOps-Plattform GitLab, einem Technologieunternehmen, in dem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter global verstreut in einer virtuellen Organisation zusammenarbeiten. GitLab gelingt es, Talente weltweit zu finden und einzustellen. Diese positiven Erfahrungen nahm van der Voort mit in sein neues Unternehmen.

"Wenn wir jemanden zum ersten Mal in einem neuen Land einstellen, müssen wir uns vieles überlegen", sagt der heutige CEO von Remote. "Wie bezahlen wir ihn? Wie bieten wir ihm Sozialleistungen an? Wie halten wir alle gesetzlichen Vorschriften ein?" Eine Möglichkeit bestehe darin, in jedem einzelnen Land eine Niederlassung zu gründen und eine juristische Person einzusetzen. Dieser Rechtsträger müsse sich dann vor Ort mit den Arbeitsbestimmungen vertraut machen.

Für GitLab, das Mitarbeitende in mehr als 60 Ländern weltweit beschäftigt, schien das nicht praktikabel. Also musste sich das Unternehmen im Einzelnen mit den lokalen Arbeitsgesetzen, den Prinzipien der Gehaltsabrechnung, den steuerlichen Anforderungen und auch den Gehältern und Benefits beschäftigen. Für jedes Land habe im Einzelnen festgelegt werden müssen, wie GitLab die Lohn- und Gehaltsabrechnung und die Arbeitsregeln organisieren will. Dabei sei jeweils eine ganz eigene Lösung gefunden worden. Selbst zwischen den EU-Ländern habe es große Unterschiede gegeben - "absurderweise, würde ich sagen", kommentiert van der Voort.

Ein Employer of Record kann helfen

Eine alternative Möglichkeit bestand darin, einen Employer-of-Record-(EOR-)Dienst in Anspruch zu nehmen. Dabei handelt es sich um Service-Unternehmen, die über bereits in verschiedenen Ländern ansässige juristische Personen im Namen ihres Kunden Arbeitnehmer einstellen. Der Employer of Record kümmert sich um Personal-, Finanz- und Rechtsthemen. Er nimmt Gehaltsabrechnungen, Steuerthemen, Sozialleistungen und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften in die Hand.

GitLab arbeitete mit einem solchen EOR zusammen, doch der war teuer und bot nicht das von van der Voort erhoffte Serviceniveau. "Es war schwierig, mit ihm zu arbeiten, weil der Employer of Record unser schnell wachsendes Technologieunternehmen nicht wirklich verstand. Das war ein reiner Dienstleister, der keinerlei Produkte oder Software entwickelt hat, um seine Angebote zu rationalisieren oder das Kundenerlebnis zu verbessern."

Besonders deprimierend sei für die GitLab-Mitarbeitenden die schlechte Customer Experience gewesen. "Unsere Leute mussten in manchen Ländern Quittungen an ein Büro faxen oder per Post verschicken und hoffen, dass diese korrekt verarbeitet würden", blickt van der Voort zurück. Diese Erfahrungen hätten ihn veranlasst, im Jahr 2019 gemeinsam mit Marcelo Lebre, dem heutigen COO und CTO, das StartupStartup Remote zu gründen. "Als Covid aufkam, konnten wir noch keine Produkte anbieten, aber wir haben uns schnell auf den Markt gestürzt. Seitdem sind wir unglaublich gewachsen", freut sich van der Voort. Tausende von Mitarbeitern würden inzwischen über ihre Plattform eingestellt. Alles zu Startup auf CIO.de

Startup Remote erobert Land für Land

Das Startup Remote verfolgt das Ziel, Unternehmen das internationale Anheuern von Fachkräften leicht zu machen. Es fungiert als technisch affiner Personaldienstleister und ermöglicht dabei seinen Kunden, über seine Softwareplattform verschiedenste Aufgaben abzuwickeln wie zum Beispiel Gehaltsabrechnungen in der jeweiligen Landeswährung, Steuerberechnungen, Sozialleistungen und teilweise auch die Einarbeitung der Mitarbeitenden.

Die Plattform ist offen gestaltet und lässt sich mit anderen HR-Anwendungen integrieren. Kunden können Vollzeit- und Vertragsmitarbeiter über juristische Personen in mehr als 60 Ländern einstellen, weitere 28 Länder sollen in diesem Jahr hinzukommen. Nach einer kürzlich erfolgten Finanzierungsrunde in Höhe von 300 Millionen US-Dollar beläuft sich die Bewertung des Startups inzwischen auf drei Milliarden US-Dollar.

Arbeitgeber-Services wie die von Remote sind eigentlich nichts Neues, aber die Abbildung aller Prozesse mit Software verschafft dem Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal. Zudem spielt den Gründern die aktuelle Marktentwicklung in die Hände: Die Corona-Pandemie mit den Schließungen der Büros hat Remote Work zum Durchbruch verholfen, auch haben neue Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie virtuelle Zusammenarbeit auf ein höheres Niveau gehoben. Junge Beschäftigte betrachten ortsunabhängiges Arbeiten inzwischen als eine Art Grundrecht und viele Firmen sind aufgrund des Fachkräftemangels dazu übergegangen, weltweit einzustellen.

Remote Work ist gekommen, um zu bleiben

Eine kürzlich durchgeführte Gallup-Umfrage zeigte, dass im Februar dieses Jahres 39 Prozent der US-Beschäftigten, für die Remote Work organisatorisch möglich ist, im Home-Office arbeiteten. Mit der Wiedereröffnung der Firmenbüros sinkt dieser Anteil, doch auch in Zukunft dürfte etwa ein Viertel der Beschäftigten remote arbeiten - vor der Pandemie waren es nur acht Prozent.

Einer Gartner-Studie aus dem Jahr 2021 zufolge nehmen die Borderless Workforces - gemeint sind international zusammengestellte Teams, die virtuell zusammenarbeiten - in vielen Unternehmen Gestalt an. Diese Arbeitsform ergänzt demnach die gängigen Arbeitsformen Büro-, Hybrid- und Heimarbeit um eine vierte Variante. Die Analysten erwarten, dass etwa fünf Prozent der Belegschaften in diese Kategorie fallen werden. Die international gemischten Teams setzen sich aus Angestellten, Freiberuflern, Auftragnehmern und Gigworkern zusammen, die oft nach ihren eigenen Regeln und Zeitplänen arbeiten.

Lily Mok, Analystin bei Gartner, sieht hier ein zartes Pflänzchen aufkeimen: "Im Vergleich zu anderen Arbeitsformen ist dieser Prozentsatz noch gering, aber die Tendenz ist ansteigend. Firmen sehen darin eine Chance, den Mangel an IT-Talenten in den Griff zu bekommen."

EOR ist ein 6,6-Milliarden-Dollar-Markt

Wie MarketResearch.com berichtet, hatte der globale Markt für Employer-of-Record-Leistungen 2021 einen Wert von 4,3 Milliarden Dollar. Er soll bis 2028 auf 6,6 Milliarden Dollar anwachsen. Zu den bekannteren Unternehmen, die solche Dienste anbieten, gehören weltweit führende Personaldienstleister wie Randstad oder Adecco, doch zahlreiche Startups sehen Chancen, hier mitzuspielen. Ein ähnliches Beispiel wie Remote ist deel., ein Startup, dessen Wert bereits auf zwölf Milliarden Dollar beziffert wird. Kapitalkräftige Firmen wie Oyster, Velocity Global, Globalization Partners und Papaya Global hocken ebenfalls in den Startlöchern.

Ben Wright, Gründer und CEO von Velocity Global, konnte sich erst kürzlich über eine neuerliche Serie-B-Finanzierungsrunde über 400 Millionen Dollar freuen. Das 2014 gegründete Unternehmen erreicht mit derzeit 2.000 Kunden eine jährlichen Nettoumsatz von 200 Millionen Dollar. Es ermöglicht die Beschäftigung in mehr als 180 Ländern weltweit. "Viele Betriebe stellen fest: 'Remote Work funktioniert bei uns wirklich. Wir können jetzt überall auf der Welt Leute einstellen, sofern sie die Fähigkeiten haben, unsere Arbeiten zu erledigen", fasst Wright den Trend zusammen. Die Pandemie mit der erzwungenen Arbeit aus dem Home-Office sei der ultimative Test gewesen.

Laut Wright geht es beim internationalen Recruitment nicht nur um neue Talente, die Firmen wollten auch ihren vorhandenen Arbeitnehmern, die es in andere Länder ziehe, eine Perspektive bieten. "Hier ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen", stellt der Chef von Velocity Global mit Blick auf den Workation-Trend fest. "Es gibt Leute, die sagen: 'Ich arbeite wirklich gerne für mein Unternehmen hier in Kanada, aber eigentlich würde ich gerne in Costa Rica leben'. Und inzwischen sagt mancher Unternehmer: 'Wir müssen uns das anhören, das sind wirklich wichtige Mitarbeiter für uns - und wenn sie sowieso schon von zu Hause aus arbeiten, ist das eigentlich kein Problem." Solange die Beschäftigten einen stabilen Internet-Zugang hätten, sei es egal, von wo sie arbeiteten.

Unternehmen suchen weiter entfernt nach Talenten

Genauso wichtig ist es aber für Unternehmen, weltweite Pools von IT-Talenten anzuzapfen. Quincy Valencia, Marktforscherin bei Ventana Research, sieht ein zunehmendes Problem darin, dass Unternehmen Spitzenkräfte oft weder in der eigenen Stadt noch in ihrem Land fänden. "Viele haben erkannt, dass es große Vorteile bringt, Mitarbeiter jenseits des eigenen Standorts einzustellen." Da gehe es nicht nur um die Vorteile der Diversität, die zu einer größeren Vielfalt an Ideen und Skills führten, sondern auch um Produktivität, wenn an Problemen rund um den Globus 24 Stunden in einer Sieben-Tage-Woche gearbeitet werden könne.

Das in Berlin ansässige Marketing-Software-Unternehmen Talon.One begann im vergangenen Jahr, den Service von Remote zu nutzen, um aufgrund expandierender Geschäfte mehr Vertriebs- und Marketingmitarbeiter einzustellen. "Wir haben ehrgeizige Wachstumspläne. Ohne die Möglichkeit, Mitarbeitende in anderen Ländern einzustellen, wäre das eine enorme Herausforderung für uns, vielleicht sogar unmöglich", sagt Tatiana Jimenez, Leiterin der Abteilung Personal und Kultur. Die Leistung der Remote Worker sei großartig, für Talon.One sei es nicht sinnvoll, Leute nur in Berlin, Deutschland oder sogar Europa zu beschäftigen.

Talon.One hatte Laut Jimenez zunächst internationale Niederlassungen aufgebaut, um Mitarbeiter vor Ort einzustellen. Doch das habe sich als zeitaufwändiges und kompliziertes Unterfangen herausgestellt: "Wir haben heute unsere Niederlassungen in den USA, in Singapur und in Großbritannien. Inzwischen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es zu schwierig und aufwändig ist, Niederlassungen in allen Ländern aufzubauen. Deshalb haben wir eine andere Lösung gesucht." Die Personalchefin von Talon.One betont, dass es vor allem auf die Einhaltung der lokalen Gesetze, Compliance-Regelungen und arbeitsrechtlichen Vorschriften ankomme. Fehler hätten hier mitunter unmittelbar negative finanzielle Folgen.

Der große Vorteil der EOR-Startups besteht darin, dass sie Cloud-Software einsetzen, die es ihren Kunden ermöglicht, Onboarding und Gehaltsabrechnung über eine zentrale Plattform zu verwalten, Prozesse zu automatisieren und vorhandene HR-Systeme anzubinden. Analystin Valencia rät den Unternehmen, die einen solchen Dienstleister suchten, genau darauf zu achten, wie oft er seine Software aktualisiert und ob er sicherstellt, dass alle lokalen Vorschriften und Gesetze ständig erfasst und auf dem neuesten Stand gehalten werden. Zudem sollten die Unternehmen eine Beziehung zu den externen Beschäftigten aufbauen und dies nicht dem Dienstleister überlassen. "Es geht darum, eine optimale Mitarbeitererfahrung zu bieten, damit er oder sie weiter für das eigene Unternehmen arbeiten möchte", rät Valencia.

Die Einsetzung eines EOR-Dienstleisters sei sinnvoll, da sich viel Zeit einsparen lasse. "Es geht ja nicht nur um die Kosten für die Gründung einer Niederlassung, sondern auch um den damit verbundenen Verwaltungsaufwand: Wie werden Sie die Mitarbeiter bezahlen? Welche Benefits werden Sie ihnen anbieten? Wie erfassen Sie die Arbeitszeit? Was ist mit den Versicherungen und den Arbeitsverträgen?" Der Analystin zufolge sind das Dinge, die Startups wie Remote, Deels oder Velocity Global übernehmen können, während die Kunden sich um ihre Personalverantwortung und die Beziehungen kümmern. (hv)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.

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