Interview mit Wolfgang Wahlster

"Künstliche Intelligenz ist besser als natürliche Dummheit"

Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Aber Firmen forschen daran. Kann dabei so eine Superintelligenz herauskommen?

Wolfgang Wahlster: Da Internet-Firmen derzeit stark im Bereich der KI investieren, entsteht schnell auch ein Hype-Zyklus, den wir leider in der Geschichte der KI schon mehrfach durchlaufen haben. Dabei werden oft durch Persönlichkeiten, die in der internationalen Forschergemeinschaft zur KI selbst wissenschaftlich gar nicht anerkannt sind, in der Öffentlichkeit mit populärwissenschaftlichen Texten überzogene Erwartungen an die Leistungsfähigkeit von bestimmten Technologien erweckt. Dies war in der Vergangenheit schon bei Begriffen wie "Neuronale Netze" und später "Expertensysteme" der Fall, und jetzt wird rund um das maschinelle Lernen erneut eine solche Blase erzeugt.

Künftige Informatik

Die deutsche Forschung ist immer gut damit gefahren, hier auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, seriöse Grundlagenforschung zu betreiben, sinnvolle Anwendungen voranzutreiben und zusammen mit der Industrie umzusetzen. Dadurch blieben wir in Deutschland von den sogenannten KI-Wintern in den USA verschont, wenn völlig überzogene Erwartungen herb enttäuscht wurden und die Forschungsinvestitionen dann drastisch heruntergefahren wurden. KI kann auch als Abkürzung für "künftige Informatik" verstanden werden: Die künstliche Intelligenz bildet eine Avantgarde in der Informatik, weil dieses Forschungsgebiet seit seiner Gründung immer wieder an die jeweiligen Grenzen der Digitalisierung und Algorithmisierung heranführt.

Aber Skeptiker wie der Technikvisionär Raymond Kurzweil finden viel Gehör.

Wolfgang Wahlster: Ja, leider. Aber unter Wissenschaftlern sind seine Thesen sehr umstritten. In den USA haben sich namhafte Informatiker von Kurzweils extremen Vorstellungen einer Superintelligenz bis hin zur Unsterblichkeit klar distanziert. Trotz der großen Fortschritte auf vielen Teilgebieten der KI sind wir selbst von den alltäglichen Intelligenzleistungen eines Menschen noch weit entfernt und erreichen hier nicht einmal Vorschulniveau. Laien finden es oft paradox, dass dagegen KI-Systeme in speziellen Bereichen tatsächlich dem Menschen überlegen sind. So bestätigen menschliche Weltmeister, daß die Spielstärke der besten Backgammon-Programme inzwischen höher als die der besten Spieler ist.

Künstliche Intelligenz ist besser als natürliche Dummheit, aber natürliche Intelligenz ist bei sehr vielen Aufgabenstellungen besser als künstliche Intelligenz. Wenn Unsicherheit, Vagheit und wenig Erfahrungswerte eine Problemstellung dominieren oder soziale und emotionale Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Problemlösung spielen, haben heutige KI-Systeme kaum Chancen. So könnte kein heutiges KI-System einem Kind das Fahrradfahren beibringen. Warum auch? Das sollte weiterhin eine schöne Herausforderung für die Eltern mit all ihrer Empathie bleiben. Trotz der Fehlbehauptungen von Kurzweil muss man die Ängste als Reaktion auf dessen Thesen aber sehr ernst nehmen und die Risiken von selbstlernenden Systemen offen adressieren.

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