Vernetzte Technologien

Neues Licht macht schlau

09.07.2013
Von Thomas Kuhn

Optischer Espresso

Gut 200 Jahre lang galt das menschliche Auge unter Wissenschaftlern als weitgehend erforscht - bis Forscher vor gut 20 Jahren auf der Netzhaut Unerwartetes fanden: Eine bis dato unbekannte Art lichtempfindlicher Zellen, die weder der Farb- noch der Helligkeitswahrnehmung diente.

Heute weiß man, dass die Zellen so etwas sind wie das Zeitsignal für die innere Uhr des Menschen. Sie hemmen, wenn Licht darauf fällt, die Ausschüttung des Hormons Melatonin. Die Folge: Körpertemperatur und Puls steigen, und selbst eingefleischte Morgenmuffel werden dynamischer. Parallel dazu bringt der Nervenimpuls - wie optischer Espresso - Hirnregionen in Schwung, die für die Gedächtnis- und Reaktionsfähigkeit wichtig sind.

Entscheidend ist dabei nicht die Quelle, sondern das Farbspektrum des Lichts. Die Wirkung ist umso stärker, je mehr blaue Anteile auf die Sensorzellen fallen. Das belegen Untersuchungen des Schlafforschers Christian Cajochen vom Zentrum für Chronobiologie an der Universität Basel, aber auch Studien an Schulen in Ulm sowie Hamburg. Die Probanden schnitten bei Denkversuchen und Konzentrationstests besser ab.

Doch auch umgekehrt sind die Ergebnisse aufschlussreich. Denn sie erklären, warum mancher, der abends im Bett auf dem Tablet-PC liest oder surft, anschließend kaum zur Ruhe findet. Auslöser ist dann oft der hohe Blauanteil im Licht der LED-Hintergrundbeleuchtung des Computers, der unbemerkt die Ausschüttung des schläfrig machenden Melatonins hemmt.

Zwar sind die Ergebnisse der Schulversuche mit Zurückhaltung zu genießen; in beiden Fällen wurden die Wissenschaftler von den Leuchtenherstellern Philips beziehungsweise Osram unterstützt. Doch die Erfahrungen aus Hamburg und Ulm decken sich mit Erkenntnissen unabhängiger Forschungsgruppen. Und sie lassen das Potenzial erahnen, das speziell in LED-Leuchten steckt, deren Farbtemperatur die Hersteller exakt steuern können. Das warme Licht der Glühbirnen von weniger als 3000 Kelvin ist dagegen von der biologisch wirksamen Farbe des Tageslichts jenseits 5000 Kelvin weit entfernt.

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