Prio 1: Stabilisierung

Post Merger: Fehler bei der IT-Integration

Dirk Möbus ist Principal bei Roland Berger und verantwortlich für die Practice Group Information Management. Er berät Kunden aus unterschiedlichen Branchen zu den Themen IT-Strategie, IT-Transformation, IT-Post Merger Integration sowie der Steuerung komplexer Umsetzungsprojekte mit dem Schwerpunkt auf digitalen Technologien. Er ist Absolvent der Frankfurt School of Finance and Management und hat in früheren beruflichen Stationen unter anderem für die Commerzbank, CSC sowie die Thales-Gruppe gearbeitet.



Sebastian Grunow ist Senior Consultant bei Roland Berger und unterstützt seit mehreren Jahren Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer IT- und Digitalisierungsstrategien. Seinen Master-Abschluss erwarb er an der Technischen Universität München und schrieb seine Master-Thesis am KTH Royal Institute of Technology in Stockholm.
Um die hohe Komplexität einer Übernahme zu beherrschen, hat sich ein zentraler Erfolgsfaktor herausgestellt: Eine klare Priorisierung von Stabilisierung gegenüber Optimierung.
  • Zu Projektbeginn muss die Priorität klar auf der Vorbereitung von Day-1 liegen, um die Kontinuität des Geschäftes sicherzustellen.
  • Zeitweilige Ineffizienzen nach Day-1 müssen zu Gunsten von Stabilisierung akzeptiert werden.
  • Parallel zur Vorbereitung von Day-1 wird bereits mit der Planung des IT-Zielzustandes begonnen.
  • Weil die Maßnahmen häufig langfristig angelegt und mit Einschnitten für die einzelnen Bereiche verbunden sind, ist ein striktes Monitoring des Fortschritts essentiell.

Komplexe, oftmals globale Unternehmenszusammenschlüsse stellen das Management vor signifikante Herausforderungen. In der Regel werden die gesetzten Ziele jedoch nicht oder nur teilweise erreicht. Ein wesentlicher Grund hierbei ist die häufig unzureichende Einbindung der IT in den Prozess der Post Merger Integration (PMI) der zusammenzuführenden Unternehmen(steile).

Post Merger
Post Merger
Foto: Roland Berger GmbH

Typische Fehler

Fehler führen dabei nicht nur zu zusätzlichem Kosten- und Zeitaufwand, sondern auch zu negativen Effekten für die Wettbewerbsfähigkeit und die Kundenbeziehungen. Beispiele dafür wären:

  1. Elektronische Verbindungen (EDI) zu Kunden werden nicht rechtzeitig fertiggestellt, sodass keine Bestellungen aufgegeben werden können.

  2. Signifikante Systemfehler treten auf, da Applikationen nach nicht mehr vorhandenen Schnittstellen suchen. Dies führt beispielsweise dazu, dass Bestellungen nur mit Verzögerung verarbeitet werden können, was erhebliche Pönalen seitens der Kunden zur Folge hat.

  3. Mitarbeiter, die ihre Aufgaben nicht erfüllen können, da sie aufgrund eines unzureichenden Rechtemanagements keinen oder nur einen eingeschränkten Zugriff auf die relevanten Daten oder Applikationen haben.

Eine IT-Integration ist extrem komplex

Die IT-Integration ist dabei hoch komplex. Nicht nur alle IT-Segmente einschließlich der Anwendungs-/Infrastrukturlandschaft sind zu betrachten, es muss auch sichergestellt werden, dass IT in allen Geschäftsbereichen entsprechende Berücksichtigung findet (siehe Bild 1). Zudem sind die Ressourcen in der Regel begrenzt und die beteiligten Personen von Unternehmenszusammenschlüssen häufig unerfahren. Gleichzeitig müssen die Arbeiten aber unter hohem Zeitdruck aufgrund enger Deadlines bis zum Closing der Transaktion erfolgen.

In der Praxis hat sich dabei vor allem ein Erfolgsfaktor herausgestellt, um mit dieser Komplexität umzugehen: Eine klare Priorisierung von Stabilisierung gegenüber Optimierung, welche bei den Beteiligten im Verlauf des Projektes strikt durchzusetzen ist.

  • Priorität 1 - Stabilisierung: Sicherstellung der Kontinuität des Geschäftes nach Day-1 und stabile Geschäftsprozesse nach Day-100

  • Priorität 2 - Optimierung: Erreichen des IT-Zielzustands zur Hebung der angestrebten Synergien und Optimierungspotenziale

Natürlich gibt es bei vergleichbaren Projekten in der Praxis immer die Tendenz, den optimalen Zielzustand an Day-1 zu erreichen, um beispielsweise Kosten durch einheitliche IT-Plattformen zu senken. Aufgrund limitierter Ressourcen ist es aber häufig nicht möglich, alle Maßnahmen direkt umzusetzen. Entsprechend müssen temporäre Ineffizienzen nach Day-1 zu Gunsten von Stabilisierung akzeptiert werden. Dies spiegelt sich auch in dem von uns verfolgten Vorgehen wieder.

Priorität 1 - Stabilisierung

Zu Projektbeginn muss die Priorität klar auf der Vorbereitung von Day-1 liegen, um die Kontinuität des Geschäftes sicherzustellen, d.h.:

  • Keine negativen Einschnitte für Kunden

  • Reibungslos ablaufende Prozesse

  • Motivierte IT-Mitarbeiter

Die Hebung erster Synergien (Quick-Hits) ist dabei lediglich ein Nebenziel.

Abhängig von der Art des Unternehmenszusammenschlusses unterscheidet sich der Aufwand signifikant: Handelt es sich um eine Komplettübernahme einschließlich IT oder um eine Akquisition eines Geschäftsbereiches? Bei letzterem sind die IT-Organisation und -Systeme häufig eng mit dem Mutterunternehmen verwoben (beispielsweise IT Shared Services).

Fokusthemen für die Anwendungslandschaft

Gemeinsam mit allen Geschäftsbereichen sowie in enger Abstimmung zwischen den beteiligten Unternehmen, ist ein Day-1-Konzept für jedes IT-Segment zu erarbeiten. Die Anforderungen für eine reibungslose Fortführung des Geschäftes nach Day-1 sind den Ressourcen / Möglichkeiten gegenüberzustellen. Fokusthemen am Beispiel der Anwendungslandschaft sind unter anderem:

  • zu migrierende Applikationen inklusive Eigenschaften (zum Beispiel Lizenzen und Schnittstellen) und Funktionalität,

  • durch Drittanbieter bereitgestellte IT-Services einschließlich Möglichkeit der Fortführung nach Day-1,

  • zu ersetzende IT-Funktionen inklusive Möglichkeit der Bereitstellung durch das ehemalige Mutterunternehmen (temporär) beziehungsweise durch die IT-Infrastruktur des Käufers,

  • Übernahme von Wissensträgern (vor allem bei stark angepassten Applikationen) sowie Aktualität der Dokumentationen.

Aus dem Konzept werden die notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung von Day-1, für die Migration sowie zur Stabilisierung der Systeme und Abläufe in den ersten Wochen danach abgeleitet. In Vorbereitung auf die Migration wird die IT-Landschaft dabei häufig in einen Zwischenzustand überführt (unter anderem temporäre Abschaltung der Schnittstellen).

Nicht alle Probleme lassen sich vermeiden

In der Regel erhalten transferierte Geschäftsbereiche nach Day-1 temporär noch Unterstützung durch das ehemalige Mutterunternehmen in Form von Transition Services (beispielsweise weiterführende Nutzung von Applikationen). Die Bedingungen werden im Transition Service Agreement festgehalten (zum Beispiel SLAs).

Nicht alle Probleme in den ersten Tagen nach Day-1 lassen sich vermeiden. Diese müssen durch entsprechende Maßnahmen antizipiert werden, beispielsweise durch das Vorhalten zusätzlicher Ressourcen sowie klar kommunizierte Prozesse zur Fehlerbehandlung.

Priorität 2 - Optimierung

Parallel zur Vorbereitung von Day-1 wird bereits mit der Planung des IT-Zielzustandes zur Erreichung der angestrebten Synergien und Optimierungspotenziale begonnen. Optimierung und Stabilisierung sind dabei eng miteinander verwoben. Schließlich bildet das Day-1-Konzept die Grundlage für die weitere Migration.

Um sicherzustellen, dass die übergreifenden Ziele des Unternehmenszusammenschlusses erfüllt werden, müssen diese in entsprechende IT-Guidelines übersetzt werden, welche die führenden Prinzipien bei der Entwicklung des IT-Zielzustandes bilden. Wesentliche Themen dabei sind unter anderem Harmonisierung der Anwendungs-/Infrastrukturlandschaft (zum Beispiel einheitliches ERP) und KonsolidierungKonsolidierung der IT Sourcing-Verträge. Alles zu Konsolidierung auf CIO.de

Striktes Monitoring ist wichtig

Die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung des Zielzustandes werden abgeleitet und in ein Transformationsprogramm überführt. Da die Maßnahmen häufig langfristig angelegt und mit Einschnitten für die einzelnen Bereiche verbunden sind, ist ein striktes Monitoring des Fortschritts essentiell.

Unternehmenszusammenschlüsse sind meist mit einem hohen Zeit-und Ressourceneinsatz bei großen Umsetzungsrisiken verbunden. IT ist ein zentraler Bestandteil und muss daher entsprechenden Raum in der Integrationsplanung einnehmen.

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