Büroarbeit nach Corona

Radikales Umdenken bei Arbeitsplatzgestaltung

Martin Klaffke lehrt Personalmanagement und Organisation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und leitet das HICM Hamburg Institute of Change Management. An führenden internationalen Management-Hochschulen ist er als Gast-Dozent und Forscher engagiert – unter anderem an der Tongji Universität Shanghai, der University of California-Berkeley und der University of Technology Sydney. Zu seinen Forschungsthemen zählen die Professionalisierung des Personalmanagements, Diversity Management sowie die Gestaltung agiler Arbeitswelten.
Durch die Corona-Krise kommt es zu einer drastischen Flexibilisierung der Arbeitswelt. Nicht allein aus Kostengründen sollten Unternehmen jetzt ihre Büros für die Zeit nach der Pandemie entwerfen.
Den klassischen Arbeitsplatz wird es weiterhin geben. Aber neue Arbeitsplatzformen kommen dazu.
Den klassischen Arbeitsplatz wird es weiterhin geben. Aber neue Arbeitsplatzformen kommen dazu.
Foto: Jacob Lund - shutterstock.com

Umbruchsituationen haben Potenzial, gesellschaftliche Entwicklungen zu verstärken und in der Folge das ArbeitslebenArbeitsleben radikal zu verändern. So wird sich nach der Krise der Trend zum räumlich flexiblen, virtuellen Arbeiten für geeignete Büro-Tätigkeiten nicht zurückdrehen lassen. Denn die aktuelle Ausnahmesituation zeigt, es funktioniert. Beschäftigte aller Altersgruppen mussten on the job den Umgang mit neuen Technologien erlernen. Einer Bitkom-Studie vom März zufolge sollen knapp die Hälfte der befragten Arbeitnehmer nun ganz oder teilweise von zu Hause arbeiten. Alles zu Personalführung auf CIO.de

Dieser unfreiwillige großformatige Test des flexiblen Arbeitens bedeutet jedoch nicht, dass Büros ausgedient hätten. Nicht nur für kreative Tätigkeiten erscheint persönliches Zusammensein weiterhin erforderlich. Zu kurz gesprungen wäre daher, allein aus Kostengründen zu prüfen, inwieweit infolge des Digitalisierungsschubs die Anzahl fester Arbeitsplätze über Desk-Sharing reduziert und Bürofläche eingespart werden kann. Allerdings dürfte der Bedarf an geschäftlicher Bürofläche abnehmen, wenn Beschäftigten zukünftig ein Ökosystem an Arbeitsplätzen offensteht, das sowohl das klassische Büro, das Homeoffice als auch weitere externe Arbeitsorte umfasst.

Ökosystem an Arbeitsplätzen anbieten

Grundlegendes Merkmal zeitgemäßer Bürolandschaften ist eine offene Fläche mit flexiblen Raumwandsystemen zur Abtrennung von Arbeitsbereichen. Dies erlaubt, Büroraum in Abhängigkeit von Beschäftigungsumfang atmend zu skalieren, unterschiedliche Nutzungsanforderungen zu geringen Umbaukosten zu realisieren und eine Vielzahl an Arbeitsmöglichkeiten anzubieten. Letzteres ist zwingend erforderlich für das Aktivitäten-basierte Arbeiten, bei dem Beschäftigte den zur jeweiligen Aufgabe passenden Ort frei wählen: vom Einzelarbeitsplatz im "Team Space" für Routine-Tätigkeiten über "Projektinseln" für Teamarbeit bis hin zum "Thinktank" für hoch konzentriertes Arbeiten.

Das Büro ist da, wo der Mitarbeiter ist.
Das Büro ist da, wo der Mitarbeiter ist.
Foto: GaudiLab - shutterstock.com

Offenheit der Fläche und stetiger Wechsel zwischen Arbeitsplätzen sorgen für mehr räumliche Nähe und persönliche Kommunikation. Denn Menschen greifen eher zur E-Mail, wenn sie mehr als 20 Meter laufen müssen, um jemanden zu treffen. Auch informellen Orten, wie etwa Lounges, kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Sie fördern den zufälligen Kontakt unter Kollegen aus unterschiedlichsten Einheiten, helfen Silos aufzubrechen, stimulieren das kreativ-produktive Geschehen und tragen dadurch zur Agilität von Unternehmen bei.

Wohlbefinden im Büro steigern

Das Angebot einer Vielzahl an Arbeitsmöglichkeiten kann zudem Gesundheit und Wohlbefinden im Büro unterstützen – ein weiterer Trend, der nach der Pandemie vermutlich Bestand haben dürfte. Dies geht über die Nutzung ergonomisch geformten Mobiliars, höhenverstellbarer Tische oder die Umsetzung neuer Hygiene-Standards weit hinaus.

Studien zeigen, dass es kaum möglich ist, acht oder mehr Stunden mit kontrollierter Aufmerksamkeit an einer Sache zu arbeiten. Um das Leistungsvermögen des Gehirns optimal zu nutzen, gilt es vielmehr, zwischen fokussierter Arbeit und Regenerations- beziehungsweise Inspirationsphasen auch räumlich zu wechseln und zudem für Aktivierung des Gehirns durch körperliche Bewegung zu sorgen.

Der kurze Ausflug mit dem Macbook in den Park kann beflügeln.
Der kurze Ausflug mit dem Macbook in den Park kann beflügeln.
Foto: Olena Yakobchuk - shutterstock.com

Wohlbefinden am Arbeitsplatz lässt sich ferner durch ein Raumdesign nach den Grundsätzen der Biophilie steigern, indem eine visuelle und physische Verbindung zur Natur geschaffen wird. So finden sich bereits vielerorts neben hellen Inneneinrichtungen mit einem großen Holzanteil, Pflanzenarrangements und Echt-Moos-Paneele ebenso wie Wasserelemente. Zur Gesunderhaltung der Beschäftigten richten Unternehmen ferner sogenannte "Feel Good Areas" ein.

Salesforce in San Francisco verfolgt beispielsweise das Prinzip der Achtsamkeit, u.a. indem sich auf der Fläche eine Meditationszone befindet und Bodenbeläge die Anmutung eines Zen-Gartens haben. Um zur Ruhe zu kommen oder kurz Abstand zu Kollegen zu gewinnen, bietet Swiss Life in Zürich Entspannungsräume mit Ruheliegen an. Hierdurch wird gerade bei non-territorialer, also gemeinschaftlicher, Nutzung aller Arbeitsplätze Bedürfnissen nach Ungestörtheit und nach Kontrolle von Außenreizen entsprochen.

Strukturelle Voraussetzungen schaffen

Um passende Arbeitsszenarien zu entwickeln, ist zunächst für jeden Bereich zu untersuchen, wie die Bürogestaltung die Arbeitsprozesse optimal unterstützen kann. Standardisierte Abläufe etwa im Call Center oder in der Buchhaltung stellen andere Anforderungen an die Bürogestaltung als wissensintensive Beratungs- und Entwicklungstätigkeiten. Zweckmäßig ist es daher, zunächst einen Katalog mit Modulen für die Raumkonfiguration nach Flächennutzungsart zu erarbeiten.

Module umfassen etwa Spezifikationen im Hinblick auf die Raumgliederung oder die Ausstattung mit Möbeln. Auf Basis des Katalogs werden dann für einzelne Abteilungen die passenden Raum-Module zusammengestellt. Der Modularisierungsansatz erlaubt nicht zuletzt die Nutzung von Standardisierungsvorteilen und bietet sich gerade bei umfangreichen oder mehrere Standorte umfassenden Büro-Modernisierungsvorhaben an.

Leistungsfähige IT-Infrastruktur bereitstellen

Damit die Beschäftigten ihren Arbeitsort tatsächlich frei wählen können, müssen entsprechende technologische Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehören das papierlose Büro ebenso wie eine IT-Infrastruktur, die orts-unabhängige Arbeit mit einem beliebigen Endgerät ermöglicht. Zur Reservierung non-territorialer Arbeitsplätze empfiehlt sich ferner die Einführung Cloud-basierter und auf mobilen Endgeräten verfügbarer Ressourcen-Buchungssysteme.

Auch die Belegungserfassung über Sensoren bietet sich an, um Anhaltspunkte für die Zweckmäßigkeit von Bürolayout und Kapazität zu gewinnen. Beispielsweise lässt sich aufgrund vergangener Auslastungszahlen, verbunden mit anstehenden Projekten oder anderen Vorhaben im Unternehmen erkennen, ob Arbeitsplätze temporär zu einer Co-Location ausgelagert oder Meeting- und Rückzugsflächen in Arbeitsplätze umgestaltet werden sollten.

Nutzung von Coworking prüfen

Ergänzend zu den Arbeitsplätzen im Büro und dem Home OfficeHome Office sollte das mobile Arbeiten in Coworking-Spaces als weitere Komponente einer zukunftsweisenden Arbeitswelt berücksichtigt werden. Während sich Coworking Spaces im stylischem Design, wie etwa von Wework oder Mindspace, bislang in den Zentren von Großstädten etablierten, dürften erste Spaces nach der Corona-Krise an ländlichen Knotenpunkten in der Nähe von Schulen, Kinderbetreuungsstätten und Einkaufscentern öffnen. Alles zu Home Office auf CIO.de

Diese Arbeitsplätze mit kompletter Büroausstattung bieten sich als Satelliten-Büro nicht nur an, um den Flächenspitzenbedarf flexibel abzufedern. Im Gegensatz zum Home Office vermittelt das Arbeiten in Anwesenheit anderer ein Gemeinschaftsgefühl, schafft neue Impulse und hilft, eine produktive Balance zwischen Arbeit und Privatem zu finden.

Indem zumindest an einigen Tagen die oftmals lange Fahrzeit zum traditionellen Arbeitsplatz im Büro entfällt, gewinnen Beschäftigte zudem an Lebensqualität und stärken die Ökobilanz. Dies sollte sich nicht zuletzt vorteilhaft auf die Arbeitgeber-Attraktivität auswirken. Denn, sobald die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie überwunden sind, dürften aufgrund des unverändert anhaltenden demografischen Wandels Fachkräfte-Engpässe erneut aufkommen.

Führung neu interpretieren

Zur Hebung des Potenzials neuer Arbeitswelten müssen sich schließlich auch FührungFührung und Zusammenarbeit verändern. Studien zeigen, dass diejenigen Mitarbeiter am engagiertesten sind, die kontrollieren können, wie und wo sie arbeiten. Gerade die aktuell im Home Office vielerorts ad hoc geübte Selbstorganisation mit Ergebnisorientierung und Vertrauensvorschuss sollte daher nach der Krise nicht zurückgedreht, sondern institutionalisiert werden. Alles zu Führung auf CIO.de

Dies bedingt eine zeitgemäße Interpretation der Rollen einer Führungskraft, die nicht anweisen und kontrollieren, sondern als Gestalter und Berater Rahmenbedingungen für eine optimale Leistung der Beschäftigten schaffen sollte. Deutlich wird damit, dass die Gestaltung zukunftsweisender Arbeitsszenarien keine alleinige Aufgabe des Facility Managements mit Unterstützung der IT-Abteilung ist, sondern wichtiges Element der PersonalstrategiePersonalstrategie. Es gilt, den Raum der Arbeit als umfassenden Wertschöpfungsfaktor zu verstehen und so zu gestalten, dass sowohl betriebliche Effizienz als auch Innovationskraft und Engagement der Beschäftigten gesteigert werden. Alles zu Personalführung auf CIO.de

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